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Gemeinderat, 11. Sitzung vom 01.2.2002, Wörtliches Protokoll  -  Seite 34 von 94

 

nicht immer Brüssel schuld! Wir haben da schon auch eigene Spielräume, die wir nicht nützen. Zum Beispiel, es ist heute schon angesprochen worden, die Frage der Querfinanzierung von der Straße zur Schiene, die im Weißbuch der Europäischen Union zur gemeinsamen Verkehrspolitik eindeutig begrüßt wird. Davon ist in dem vorliegenden Generalverkehrsplan nicht das Mindeste davon zu lesen. Das, meine Damen und Herren, ist mangelnde EU-Reife und das müssen wir gerade aus aktuellem Anlass auch in Wien ganz scharf kritisieren! Statt hier Beitrittskandidaten irgendwelche gute Ratschläge zu geben, was sie noch schnell vor dem Beitritt tun sollten, sollten wir eigentlich darauf schauen, dass wir unsere Beitrittsvorbereitungen intensivieren.

 

Ich möchte daher den heutigen Tagesordnungspunkt nützen, um ein bisschen auf die Bedeutung der EU-Erweiterung für Wien und auf die Verantwortung einzugehen, die wir als politische Akteure und Akteurinnen in diesem Vorbereitungsprozess haben und möchte als stadtaußenpolitisches Signal eine Resolution einbringen, die ein klares Bekenntnis Wiens zur EU-Erweiterung, insbesondere zum Beitritt Tschechiens, und eine klare Absage an Vetodrohungen jeglicher Art umfasst - Vetodrohungen haben mit den Beitrittsverhandlungen nichts zu tun und dort nichts verloren -, aber auch eine Intensivierung der Beitrittsvorbereitungen Wiens, insbesondere jener Bereiche, wo bisher noch nicht sehr viel passiert ist, zum Beispiel im Beschäftigungsbereich, zum Beispiel beim Ausbau der Bahn, zum Beispiel auch im Bereich Bildung und Forschung.

 

Wien ist von der EU-Erweiterung besonders betroffen. Ich brauche das hier nicht wahnsinnig lange auszuführen. Wir haben über den wirtschaftlichen Profit, sage ich jetzt einmal, obwohl mir als Grüne dieses Wort missfällt, auch schon debattiert. Aber Wien ist eindeutig Hauptprofiteur der Ostöffnung. Wien ist als Grenzregion von der Erweiterung besonders betroffen und als Nachbar natürlich auch von den unmittelbaren Auswirkungen, die diese Erweiterung auf die Menschen in der Grenzregion hat. Wien darf sich hier im Vorbereitungsprozess nicht als Außengrenze verstehen, sondern Wien muss sich klar - wie wir es auch in einer Deklaration 1997 schon getan haben - dazu bekennen, hier politischer Akteur zu sein, hier eine VorreiterInnenrolle innerhalb des Vorbereitungsprozesses zu übernehmen, die Chancen der EU-Erweiterung zu nützen, nicht nur davon zu reden, sondern auch danach zu handeln, und die Nachbarn, unsere Nachbarn, unsere Nachbarländer, unsere Menschen in den Nachbarländern zu unterstützen und sie hier im Vorbereitungsprozess an die Europäische Union heranzuführen, und zwar nicht nur im wirtschaftlichen Bereich und auch nicht nur in den Bereichen, die von den Beitrittsverhandlungen abgedeckt werden, sondern insbesondere auch in jenen Bereichen, die die Lebensinteressen und die Lebensqualität der Menschen betreffen. Dazu gehören europäische Verkehrslösungen, die nicht nur auf die Straße, sondern natürlich auf die Schiene setzen, und dazu gehören auch Intensivierungen regionaler, grenzüberschreitender Kooperationen, auch im Beschäftigungsbereich, im Sozialbereich und im Frauenbereich. All das passiert von Wiener Seite zu wenig.

 

Aber lassen Sie mich ein paar Worte zu der Resolution verlieren, die wir heute aus aktuellem Anlass einbringen. Wien hat Handlungsbedarf. Wien hat großen Handlungsbedarf, wenn die Erweiterung erfolgreich sein soll. Und die Erweiterung muss erfolgreich sein! Ist sie es nicht, dann wird nicht nur die Europäischen Union, sondern der ganze Prozess der europäischen Integration in eine tiefe Legitimationskrise geraten und das kann sich insbesondere Wien, das kann sich Österreich nicht leisten, das kann nicht in unserem Interesse sein. Das heißt, wir sind alle aufgerufen, hier aktiv tätig zu werden, diesen Erweiterungsprozess erfolgreich und nachhaltig zu gestalten und alles dazu zu tun, dass die Vorbereitungen rechtzeitig und gut in einem guten nachbarschaftlichen Klima und Verhältnis geführt und Ende des Jahres abgeschlossen werden. Deshalb ist diese Resolution, dieses klare Bekenntnis, das wir heute erneut bekräftigen wollen, dieses "Ja" zur europäischen Erweiterung insbesondere deshalb notwendig, weil uns die österreichische Bundesregierung derzeit wieder einmal in ein außenpolitisches Desaster führt. Es hat ja schon mit der Regierungsbildung begonnen, die ja zu nachhaltiger Irritation bei allen demokratischen Kräften Europas geführt hat. In ein außenpolitisches Desaster haben sie uns jetzt mit ihrer Vetoandrohungspolitik, mit der Diskussion über Temelin, über das Anti-Erweiterungs-Volksbegehren, über die Benes-Dekrete, wieder geführt. Wir stehen im politischen Abseits, meine Damen und Herren! Österreich steht im politischen Abseits und hat jegliche Glaubwürdigkeit in außenpolitischen Fragen verloren und es hat jede Glaubwürdigkeit - falls es sie jemals hatte - in Fragen der EU-Erweiterung verloren! Österreich gilt mittlerweile in der Europäischen Union als Hauptblockierer der Erweiterung, denn ich brauche nicht zu betonen, dass das Anti-Temelin-Volksbegehren in Wahrheit ein Anti-Erweiterungs-Volksbegehren und ein Anti-Tschechien-Volksbegehren war. Das sagen nicht nur die GRÜNEN (Beifall der GRin Mag Sonja Wehsely.), das sagt auch die gesamte europäische Presselandschaft!

 

Ich will Ihnen nur ein paar Zitate der europäischen Presse vorlesen, die sich in vernichtenden Urteilen über die österreichische Außenpolitik überschlägt. Da ist die Rede von der Veto-Falle, die uns zurück in die Schmuddelecke Europas bringt. Da ist die Rede von populistischem Schüren von Ressentiments, von verdrängten Minderwertigkeitsgefühlen und von großer Ignoranz gegenüber den slawischen Nachbarn.

 

Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" schreibt: "Man fühlt sich tief ins 19. Jahrhundert zurück versetzt, als der aufkeimende Nationalismus das Habsburger Kaiserreich zentrifugal auseinander zu reißen begann."

 

Meine Damen und Herren, besonders von der ÖVP, von der Europapartei ÖVP, wollen Sie das? Wollen Sie wirklich so eine Presse haben? Wollen Sie wirklich im Ausland vollkommen im Abseits stehen und als Blockierer der EU-Erweiterung gelten? Wollen Sie das wirklich?

 

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