Gemeinderat,
20. Sitzung vom 25.10.2002, Wörtliches Protokoll - Seite 19 von 106
Verfahren der SUPerNOW kommen: Das Verfahren dauert zu lange;
Wien möchte sich nicht entscheiden; alles ist viel zu kompliziert;
Niederösterreich denke daran, die Nordostumfahrung selbst zu errichten. Da ist
einmal die berühmte Trasse Fischamend durch die Medien gegeistert.
Wie stehen Sie dazu, Herr Stadtrat, und was ist Ihre
Meinung über diese Aussagen?
Vorsitzender GR Rudolf Hundstorfer:
Bitte.
Amtsf StR Dipl Ing Rudolf Schicker:
Herr Gemeinderat!
Ich sehe in diesen Diskussionen, die von einem
niederösterreichischen Hofrat und nicht vom Landesrat geführt werden, doch
gewisse Vorbereitungen auf einen Wahlkampf, und ich sehe vor allem eines: Wir
haben dieses Instrument der Strategischen Umweltprüfung in Wien zum zweiten Mal
in Anwendung, und dieses Instrument ist eines, das sich zu bewähren beginnt,
ist eines, von dem wir auch wissen, wie es funktioniert. Niederösterreich hat
das noch nie ausprobiert und hat daher keine Erfahrungen damit. Noch dazu hat
Niederösterreich jetzt Straßenplanungen in Richtung Marchegg vorgenommen, die
durch geschützte Natur führen würden, und hier besteht die Forderung der
Umweltorganisationen, eine Strategische Umweltprüfung durchzuführen.
Ich gehe daher davon aus, dass es sowohl aus der
Tatsache der bevorstehenden Nationalratswahl, aber auch aus der Angst vor dem
Umgang mit Bürgerbeteiligungsgruppen resultiert, dass hier sozusagen Angriffe
gegen die SUPerNOW unterwegs sind. Denn Tatsache ist, dass das Land
Niederösterreich von Beginn an in die Beratungen bei der SUPerNOW eingebunden
ist und die Teilnahme gerade auch dieses eines Hofrats dort immer Platz greift,
indem er sehr engagiert mitdiskutiert. Also, möglicherweise will sich selbiger
Hofrat nur ersparen, in Niederösterreich so ein Instrument einzurichten und
einzusetzen. Ich könnte ihm das aber nur empfehlen.
Was die Brücke oder die Donauquerung bei Fischamend
betrifft, so halte ich es da mit dem zuständigen Landesrat in Niederösterreich,
der meint, das kommt für ihn dort nicht in Frage.
Vorsitzender GR Rudolf Hundstorfer:
Danke. - Somit ist die Fragestunde abgeschlossen.
Wir kommen nun zur Aktuellen Stunde (AST/04599/2002/0002-KGR/AG).
Der Grüne Klub hat eine Aktuelle Stunde verlangt zum
Thema "'Lesen macht keinen Spaß', sagt fast die Hälfte der
österreichischen Jugendlichen. Knapp 15 Prozent können nicht oder kaum
lesen, so der alarmierende Befund der PISA-Studie. Welche Konsequenzen zieht
daraus die Wiener Politik?"
Dieses Verlangen wurde gemäß
§ 39 Abs. 2 der Geschäftsordnung von der genügenden Anzahl
unterzeichnet, und ich bitte nun den Erstredner, Herrn GR Mag Chorherr, die
Aktuelle Stunde zu eröffnen. Ich darf bemerken: Deine Redezeit beträgt
10 Minuten.
GR Mag Christoph Chorherr (Grüner
Klub im Rathaus): Meine Damen und Herren!
Vorweg: Wir erlauben uns da ein Experiment. Wenige Wochen
vor der Wahl müsste jetzt Regierung gegen Opposition agieren, müssten bekannte
Standpunkte zugespitzt formuliert werden. Wir leisten uns etwas Wichtiges. Ohne
jetzt einen Frontalangriff gegen irgendjemanden zu fahren, möchten wir ein aus
unserer Sicht völlig unterbelichtetes Thema, bei dem es schwierig ist,
Antworten zu finden, mit Ihnen gemeinsam diskutieren.
Aktuelle Stunde zu etwas - auch weil einige
Schülerinnen und Schüler hier anwesend sind - Erschreckendem. Für mich war das
Erschreckende an der PISA-Studie, dass fast die Hälfte der österreichischen
Schülerinnen und Schüler sagt, "Lesen macht keinen Spaß", dass also
die selbstverständliche Benützung des Buches für die Hälfte uninteressant ist.
Ich gehe dann auch noch auf den signifikanten Unterschied zwischen Burschen und
Mädchen in diesem Bereich ein. Alarmieren sollte uns zusätzlich, dass
15 Prozent der Schülerinnen und Schüler nicht oder kaum lesen können.
Jetzt wird viel zu wenig darüber diskutiert, wie
wichtig die Benützung des Buches ist, wie wichtig es für eine Gesellschaft ist,
dass Jugendliche in eine Buchhandlung gehen, dort schmökern, etwas ausprobieren
oder, zugespitzt formuliert, nicht nur jeden Tag die "Kronen Zeitung"
mit ihren Ressentiments lesen.
Lassen Sie mich diese Zahlen ein bisschen festmachen
- gerade vor dem Unterschied zwischen Burschen und Mädchen.
Auf die Frage "Wie gerne liest du in deiner
Freizeit Bücher?" - nicht, wie viele oder welche, sondern die
Grundhaltung: Liest du gerne?; das ist etwas sehr Wesentliches, meine Damen und
Herren - antworten 73 Prozent der 15-jährigen Burschen: "Überhaupt
nicht gerne oder nicht so gerne." Fast drei Viertel der Burschen in
Österreich haben mit 15 Jahren - und das ist das Ergebnis unseres
Erziehungs- und Bildungssystems - eigentlich mit dem Buch nichts am Hut - mit
all den Konsequenzen, die wir erleben.
Ein paar Verbindungen: Der Zugang zum Fremden, der
Zugang und die Neugierde, etwas anderes kennen zu lernen, ein anderes Land,
eine andere Mentalität, einen anderen Menschen, die Neugierde und die Tatsache,
dass Lernen nie fertig ist, sondern immer weitergehen muss, all das ist aus
meiner Sicht ganz wesentlich mit der Frage verbunden: Habe ich einen Zugang,
einen persönlichen Zugang zum Buch? Gehe ich gelegentlich gerne in eine Bibliothek,
gehe ich in eine Buchhandlung und verspüre eine Neugierde, ein Prickeln, ja,
das würde mich doch interessieren, einen Roman, Gedanken ein anderes Land
kennen zu lernen? Und da ist es verheerend - verheerend! -, wenn fast drei
Viertel der Burschen sagen: Nein, interessiert mich eigentlich überhaupt nicht.
Eine andere Zahl im Vergleich: In Finnland gehen
80 Prozent der Bevölkerung manchmal oder gelegentlich in eine Bibliothek.
80 Prozent! Wissen Sie, wie hoch die Zahl in Wien ist? - Ich habe extra den
Direktor der Wiener Bibliotheken angerufen: 7 bis 8 Prozent. 7 bis
8 Prozent der Wiener Bevölkerung - das ist ein Zehntel von Finnland -
nutzt eine Bibliothek.
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