«  1  »

 

Gemeinderat, 29. Sitzung vom 23.06.2003, Wörtliches Protokoll  -  Seite 92 von 122

 

Generation für die Lebenssicherung der älteren Menschen zu vermeiden. Wir verzichten im Pflegebereich auf den Kostenersatz durch die Kinder. Wir tun das, weil wir nicht wollen, dass sich eine Generation aus Gründen der eigenen Existenzsicherung den Tod der Eltern wünscht und weil wir keine sozialen Barrieren bei der Inanspruchnahme von stationären, Pflege- und ambulanten Diensten wollen. Natürlich kostet dieses Leistungspaket für unsere ältere Generation viel Steuergeld. Aber wir Sozialdemokratinnen sehen dazu keine Alternative, vor allem nicht die neoliberale Alternative, welche die Bundesregierung anpreist. Denn glaubt wirklich jemand, dass es der Mehrheit der Bevölkerung möglich ist, durch Eigenvorsorge soviel anzusparen, dass sie dann im Alter all die heute in Wien zur Verfügung stehenden Leistungen auf einem privaten Dienstleistungsmarkt suchen, finden und einkaufen kann? Ich glaube das nicht. Hier unterscheiden sich sozialdemokratische und neoliberale Konzepte so klar, dass das jeder unterscheiden kann! (Beifall bei der SPÖ.)

 

Bevor ich noch einmal zu einigen dieser Unterschiede zurückkomme, möchte ich noch ein paar Worte zu einer besonderen Dimension der Wiener Gesundheitspolitik, nämlich zur Prävention, verlieren. Ein wichtiger Teil unseres Verständnisses von Gesundheitspolitik ist ganz allgemein die Forcierung präventiver Maßnahmen und Aktivitäten. Neben der Palette von Initiativen in der Frauengesundheit, die ich Ihnen gerade dargestellt habe, hat die MA 15 im vergangenen Jahr und in den letzten Monaten ganz besondere Initiativen gesetzt. Hier steht die Verwaltung mitten im Leben, genau dort, wo die Menschen sind und Beratung und Informationen brauchen, seien es Gesundheitsberatung, Beratung im Ernährungs- und Belastungsbereich, Seminare zur Arbeitsmedizin, Bürgerbusaktionen oder Gesundheitsberatung für Bedienstete der Stadt Wien, die Kleinkinderberatung, die Zahnvorsorge oder einige Informationsbroschüren, Zeitungsserien, Forschungsprojekte, Aufstellung des vierten mobilen Gesundheitsuntersuchungsteams, die Hygienerichtlinien für Piercer und Tätowierer oder Hepatitis-B-Informations- und Präventionsveranstaltungen, seien es die Erweiterung des Impf- und Leistungsprogramms oder die zahlreichen Einsätze auf Grund unbegründbarer Alarme betreffend Milzbranderreger. All das zeigt, wie breit diese Stadt ihre Gesundheitspolitik anlegt, wie es unserem politischen Verständnis entspricht, ganzheitlich, präventiv, integrativ, mehrdimensional und immer an den alltäglichen Bedürfnissen der Einzelnen orientiert.

 

Wien hat einen besonders hohen Standard der Gesundheitsvorsorge. Während im übrigen Österreich nur 2,2 Ärzte mit Kassenvertrag auf 100 Einwohner kommen, sind es in Wien 3,5 Ärzte. Während andere Kassen Leistungen einschränken, konnte oder musste die Wiener Gebietskrankenkasse in den letzten Jahren bei den Arztkosten um 80 Prozent, bei den Spitälern um 15 Prozent und bei den Medikamenten um 48 Prozent steigern. Wir können dieses hoch entwickelte System noch finanzieren, aber es ist klar, dass jeder negative Eingriff von außen in unglaublicher Geschwindigkeit zu spürbaren Störungen führen kann, und solche Eingriffe geschehen derzeit am laufenden Band. Sie sind von der Bundesregierung verursacht, schwächen die Finanzkraft der Kassen, verzehren die Mittelaufteilung im Finanzausgleich und stören das empfindliche Gleichgewicht zwischen niedergelassenen Ärzten, Ambulanzen und Spitälern. Angesichts dieser Eingriffe, die nichts anderes bewirken, als dass wir größte Energie dafür verwenden müssen, wenigstens die schlimmsten Folgen für die Bevölkerung abzuwimmeln, fällt es in der Öffentlichkeit gar nicht mehr auf, dass es im Bund keine aktive Gesundheitspolitik mehr gibt. Hat irgendjemand auch nur von einer einzigen positiven, konstruktiven, die Situation verbessernden Aktivität der mittlerweile über 100 Tage im Amt amtierenden Frau Gesundheitsministerin gehört? - Ich nicht. Gibt es eine einzige Initiative für Frauen und Gesundheit? Sie ist immerhin für beides zuständig. Und wir haben dafür auch noch einen Staatssekretär.

 

Abgesehen von diesen Behinderungen der Wiener Stadtpolitik durch den Bund ist das wirkliche Drama die derzeitige Bundespolitik, welche die Lebenschancen und Lebensbedingungen der Menschen beeinträchtigt. Auch hier möchte ich nur ein Beispiel aus meinem Alltag geben. Die Abschaffung der vorzeitigen Alterspension trifft unter vielen anderen gerade die Angehörigen der Pflegeberufe schwer. Wer mit 18 im Pflegedienst zu arbeiten beginnt, wird oft aus physischen Gründen nicht in der Lage sein, bis 61,5 oder sogar bis 65 Jahre zu arbeiten. (GR Walter Strobl: Aber auf der ganzen Welt!) In diese Richtung wirken die Senkungen der Steigerungsbeiträge, die Erhöhung der Abschläge und die Verlängerung des Durchrechnungszeitraums. Bei der jetzt vorgelegten Pensionsreform bedeutet das Pensionsverluste in maßgeblicher Höhe. Die Folge wird sein, dass sich künftig noch weniger Menschen für diesen Beruf entscheiden. Das, meine Damen und Herren, ist von Nachteil für uns alle! Es werden - das hat die Arbeiterkammer ausgerechnet - Frauen mit niedrigen Einkommen in besonderem Maße betroffen sein. Bei den vielen zugewanderten und gut integrierten Mitarbeiterinnen im Pflegebereich wird das dazu führen, dass viele nicht einmal eine theoretische Chance haben, nach vielen schweren Arbeitsjahren ihre volle Pension zu erreichen. Hier werden die Menschen, die ohnehin schon ein schweres Schicksal hinter sich haben, in programmierte Armut gedrängt.

 

Wenn im Gesundheits- und Sozialsystem eingespart und eingeschränkt wird, trifft das wieder in besonderem Maße die Frauen und diejenigen, die auf das System angewiesen sind. Jetzt rede ich gar nicht vom Personal der Stadt Wien, sondern von den privaten Pflegeinstitutionen. Hier sind über 90 Prozent der Beschäftigten weiblich, zwei Drittel zwischen 40 und 60 Jahre alt. Wenn hier auf Grund des Bundesrechts Änderungen eintreten, haben all diese Institutionen ein massives Problem.

 

Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, der nächste Wahltag kommt und wird zu einem Zahltag! (Beifall bei der SPÖ. - GR Walter Strobl: Aber erst in drei Jahren!)

 

«  1  »

Verantwortlich für diese Seite:
Stadt Wien | Geschäftsstelle Landtag, Gemeinderat, Landesregierung und Stadtsenat (Magistratsdirektion)
Kontaktformular