Gemeinderat,
58. Sitzung vom 30.06.2005, Wörtliches Protokoll - Seite 19 von 104
geht von einem Kampf für gerechte Löhne übers Ausbildungssystem, über geschlechtersensible Pädagogik, über Antidiskriminierung, sie geht aber auch - und das ist aus meiner Sicht einer der zentralsten Punkte, wenn nicht überhaupt das Zentrale - um folgende Frage: Wie bringen wir mehr Männer dazu, sich für Kinder verantwortlich zu fühlen? Wie bringen wir Männer dazu, dass Zeit mit der Familie zu verbringen, sich für seine Kinder verantwortlich zu fühlen, zu Hause zu sein genauso zum Männlichkeitsbild gehört wie vielleicht, einen Job zu haben, erfolgreich zu sein, Freunde zu haben, was auch immer?
Erst dann, wenn Kindererziehung - im Einzelfall wie
gesamtgesellschaftlich - genauso Sache der Männer ist wie Sache der Frauen,
Sache der Väter ist wie Sache der Mütter, kann man wirklich von einer Arbeit
für gerechte Chancen für Frauen und Männer sprechen. Dazu gibt es
unterschiedliche politische Voraussetzungen, für die wir kämpfen können. Aus
meiner Sicht wäre das zum Beispiel ein Vatermonat, aus meiner Sicht wäre das
zum Beispiel ein einkommensabhängiges Karenzgeld, oder zumindest im jetzigen
System eine Flexibilisierung und eine Ausweitung der Zuverdienstgrenzen. Aus
meiner Sicht wären das zum Beispiel Anreize für eine bessere Aufteilung der
Berufsauszeiten. Aus meiner Sicht - und das ist der allerwichtigste Schritt -
ist es vor allem für alle Eltern eine gute und bedarfsgerechte Kinderbetreuung.
(Beifall bei der SPÖ.)
Bedarfsgerecht - was ist das? Laut einer AK-Studie
von vor wenigen Monaten gibt es ein paar Kriterien, die sehr gut
nachvollziehbar sind. Diese Kriterien sind: Die Kinderbetreuungseinrichtung
muss mindestens 40 Stunden in der Woche offen haben, es muss eine
durchschnittliche Öffnungsdauer von 8 Stunden am Tag geben, sie muss an
vier Tagen bis 17 Uhr und an einem bis 13 Uhr geöffnet sein, und es
muss Mittagessen geben. Kurz: In allen städtischen Kindergärten werden alle
diese Kriterien erfüllt! Wenn man die privaten Träger dazugibt, dass es noch
einmal zirka genauso viele sind, dann kommen wir auf einen Wert von über
80 Prozent.
Es gibt auch genug Plätze, nicht einfach nur
sozusagen die Hälfte von irgendetwas, es sind 74 000 Plätze in ganz
Wien und damit mit Abstand die meisten in ganz Österreich. Es gibt eine
Vollversorgung von Drei- bis Sechsjährigen, und wir kommen bei den Eineinhalb-
bis Dreijährigen auf über 50 Prozent. Bei der Nachmittagsbetreuung der
Sechs- bis Zehnjährigen ist es so, dass alle Kinder einen Platz bekommen, deren
Eltern sich das wünschen.
Es gibt - das Stichwort kommt immer wieder von Ihnen
- im Übrigen eine soziale Staffelung. Also alles, was an Kritik über zu teure
Preise kommt, betrifft 25 Prozent der Eltern. Ein Drittel zahlt gar
nichts, und die mehr als 40 Prozent dazwischen zahlen einen ermäßigten
Tarif, der sich in 28 Stufen aufteilt, von 0 bis zum Vollpreis.
Kein einziges Bundesland kommt auch nur annähernd an
Wien heran! Wir haben die meisten Ausgaben, wir haben die meisten Plätze, und
zwar nicht nur absolut, sondern pro Kopf, wir haben die besten Öffnungszeiten,
und wir haben drei Viertel aller Krippenplätze in ganz Österreich. (Beifall
bei der SPÖ.)
Es ist natürlich immer spannend, sich einen Vergleich
anzuschauen. Der Vergleich macht Sie sicher! Schauen wir uns in den anderen
Bundesländern einmal um. Keine Überraschung: Besonders schlimm schaut es in den
ÖVP-regierten Bundesländern aus. (GR Dr Kurt Stürzenbecher: Das habe ich mir
gedacht!) Im Westen Österreichs ist die Betreuung von unter Dreijährigen
überhaupt absolut unüblich, das gibt es nicht. In Tirol sperren 80
Prozent der Kindergärten spätestens um 15 Uhr zu, in Vorarlberg sind es
60 Prozent. Übrigens, wenn - wie in Vorarlberg - überhaupt nur ein Zehntel
aller Kindergärten, von denen es ohnehin nicht genug gibt, ganztags offen haben
und Mittagessen anbieten, dann ist es ein wahrer Hohn, von einer Vereinbarkeit
von Beruf und Familie zu sprechen! (Beifall bei der SPÖ. - GR Christian Oxonitsch: Ja, das ist
wahr!)
Ich habe noch die Worte von Ihren Fraktionen bei der
Einführung des Kindergeldes im Ohr - übrigens, Behaltefrist zwei Jahre -, als
Sie davon gesprochen haben, dass das Tolle an der ganzen Sache die Wahlfreiheit
ist, ob man zu Haus bleibt oder in eine Kinderbetreuungseinrichtung geht. Das
ist ja die größte Verarschung, die man Bürgerinnen und Bürgern unseres Staates
überhaupt antun kann! (Beifall bei der SPÖ. - GR Ing Gunther WOLFRAM: Das
ist ein Ordnungsruf! - GR Dr Wolfgang Aigner: Ordnungsruf!)
Man schaut sich das in den
Bundesländern an, der Beleg ist erbracht: Es liegt Ihnen nichts an einer ausreichenden
Anzahl von Kinderbetreuungsplätzen. (GR Godwin Schuster: Versteht ihr
eure...?) Eine der ersten Handlungen, bitte, eine der ersten Handlungen der
Bundesregierung war, die Bundesförderung für Kinderbetreuungsplätze
abzuschaffen. Vom Bund gibt es kein Geld mit der Argumentation, dass die Länder
zuständig sind, wir haben es gestern gehört. Die Länder tun aber nichts, und
jetzt - was ich das Allerskurrilste finde – nimmt sich die ÖVP-Wien dieses
Themas an, hat das Thema Kindergärten entdeckt und stilisiert die Situation in
den Bundesländern zum Wunschbild hoch. Das sagt ein um zehn oder -zig Jahre
verjüngter "Gio" Hahn auf den Plakaten zum Thema: "Dornbirn -
das will ich auch."
Schauen wir uns die Situation in Vorarlberg an. Ich
habe es schon einmal gesagt, 60 Prozent der Kindergärten sperren um
15 Uhr zu, ein Zehntel hat ganztags offen und bietet Mittagessen an. Es
gibt überhaupt keine Kinderkrippen, und insgesamt gibt es überhaupt nur einen
Bruchteil der Wiener Kindergärten. Und dazu sagt die ÖVP-Wien: Das will ich
auch! (Heiterkeit bei der SPÖ.)
Die Welt hat sich verändert. Familienleben ist
wunderschön, aber es geht nur dann, wenn sich beide darum kümmern, wenn alle
füreinander da sind, aber auch, wenn beide ihr Leben leben, wenn alle inklusive
Kinder ihr Leben leben können. Dafür ist ein flächendeckendes
Kinderbetreuungssystem notwendig, das mit der Berufstätigkeit vereinbar ist.
Warum ich das Ganze über eine
flächendeckende Versorgung mit Kindergärten und eine Versorgung, die
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