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Gemeinderat, 13. Sitzung vom 25.10.2006, Wörtliches Protokoll  -  Seite 38 von 80

 

Vergangenheitsbewältigung eine Inflation ist. Man kann sich ja anschauen, wie viele Gedenkstätten es in Wien bereits gibt. Das ist alles in Ordnung. Man hat immer wieder gemeint: Gut, mit dieser Aktion werden jetzt die Opfer aus der Anonymität geholt. Es werden daher alle aufgezählt. - Das ist alles in Ordnung, nur: Es wiederholt sich. Es ist hier wiederum, erneut dasselbe Argumentarium, es wird wiederum, erneut dasselbe vorgetragen.

 

Wir sind der Meinung, dass man auch die bereits bestehenden Gedenkstätten umso geringer schätzt, je mehr Inflation es in diesem Bereich gibt, je öfter man das wieder bringt, je öfter man das auch ausdünnt. Wir haben sehr wohl auch mit jüdischen Wienern gesprochen, die das genauso sehen wie wir. Es ist also nicht eine klare Sache, dass das ihrerseits angeblich ein so großes Anliegen wäre.

 

Wir stimmen dem daher nicht zu und werden auch in Zukunft sehr genau beobachten, inwiefern hier weiter inflationär einseitig Politik gemacht wird. (Beifall bei der FPÖ.)

 

Vorsitzender GR Günther Reiter: Der Herr Stadtrat hat sich zum Wort gemeldet. Er kann das Wort sofort ergreifen.

 

Amtsf StR Dr Andreas Mailath-Pokorny: Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Sehr geehrte Damen und Herren!

 

Ich wollte mich ursprünglich nicht zu Wort melden, aber das, was Herr GR Stefan hier von sich gegeben hat, erfordert zumindest für das Protokoll und für die Menschen, die vielleicht zuhören, doch eine ganz entschiedene Erwiderung.

 

Herr GR Stefan! Wenn Sie hier einmal mehr sagen, dass es nicht darum gehe, zu viel des Gedenkens zu üben, und dass wir ohnedies schon genug für die Vergangenheitsbewältigung, wie Sie das nennen, gemacht hätten, kann ich Ihnen nur Folgendes sagen: Ich weiß gar nicht, ob Sie sich das Projekt angeschaut haben, aber das ist jedenfalls ein Projekt, das in besonders würdiger Form der Menschen gedenkt, die in den Häusern, aus den Häusern im 2. Bezirk zunächst einmal vertrieben worden sind, die ermordet worden sind. Und ich denke mir, dass es gar nicht genug Formen der Erinnerung gibt, um diese Menschen, diese Namen der Anonymität zu entreißen und darauf hinzuweisen, was dort tatsächlich passiert ist.

 

Wenn Sie sagen, es sei ohnedies genug und es gäbe eine Inflation des Gedenkens und darüber bräuchten wir nicht mehr nachzudenken, so zeigt dies nur Ihr besonders trauriges Geschichtsbild und Ihre besonders traurige Herangehensweise. Hier geht es um eine Form des Gedenkens, und ich weiß nicht, mit wem Sie da gesprochen haben, aber die Leute, die ich bei der Eröffnung oder bei den Gesprächen darüber getroffen habe, standen mit Tränen in den Augen da, sind aus Australien, aus Amerika, aus allen Teilen der Welt gekommen und haben gesagt: Danke, dass wir zumindest in dieser Form etwas haben, denn wir haben keine Gräber, wir haben keine Grabsteine - es ist im Grunde alles vernichtet worden von den Nationalsozialisten. Danke, dass wir wenigstens irgendeine Form des Gedenkens haben, irgendetwas, wo der Name derjenigen - unserer Vorfahren, unserer Eltern, Großeltern -, die umgebracht worden sind, darauf steht.

 

Herr GR Stefan! Wenn Ihnen das wurscht ist und wenn Sie sagen, das sei ohnedies genug, dann kann ich Ihnen nur sagen: Ihre Form des Geschichtsbildes und des Bewusstseins ist wirklich entsetzlich!

 

Ich bin froh, dass wir das unterstützen können, und wir werden es auch weiter unterstützen und noch ausweiten. – Danke sehr. (Beifall bei der SPÖ und den GRÜNEN.)

 

Vorsitzender GR Günther Reiter: Zum Wort gemeldet hat sich Herr GR Dr Wolf. Ich erteile es ihm.

 

GR Dr Franz Ferdinand Wolf (ÖVP-Klub der Bundeshauptstadt Wien): "Inflation des Gedenkens" ist ein Begriff, der schärfstens zurückzuweisen ist. Es kann nicht genug Erinnerung geben. "Steine der Erinnerung" ist eine vorbildliche Aktion, eine beispielhafte Aktion, und es ist zur Kenntnis zu nehmen, dass Sie, nämlich die Freiheitliche Fraktion, 12 000 EUR Subvention, um für die Opfer, die keine Grabsteine haben, wenigstens Gedenksteine zu finanzieren, nicht geben wollen.

 

Offenbar hat das bei Ihnen System: Wenn Sie auch nicht bereit sind, Simon Wiesenthal mit der Benennung einer Straße zu ehren - mit anderen Argumenten -, dann schließt sich der Kreis. Und wenn Sie eine Auszeichnung für Luc Bondy ablehnen, schließt sich auch der Kreis.

 

Es werden hier Argumente vorgeschoben, die offenbar nicht die wahren sind. Die wahren sagt man besser nicht - wir wissen, warum.

 

Frau Judith Pollak hat bei der Eröffnung der "Straße der Erinnerung" eine Rede gehalten, die – der Herr Stadtrat hat es gesagt – ergreifend war. Ich werde Ihnen ein paar Zitate daraus vorlesen - so viel Zeit muss sein:

 

„Meine Eltern, Luba Rivka und Abraham Rottenberg, und wir, mein Bruder Schabtai, meine Schwester Ruth und ich, lebten bis zum Jahr 1938 in der Fugbachgasse 7 im 2. Stock. Wir waren eine glückliche, arbeitende und lernende Mittelstandsfamilie. Doch alles änderte sich plötzlich.

 

Anfangs nach der Machtergreifung“ - oder was immer damals ergriffen wurde – „der Nationalsozialisten lebten wir von Ersparnissen, aber langsam mussten wir das Mittagessen von der jüdischen Massenküche bringen.

 

Meine Eltern, die ihre Wohnung in der Fugbachgasse verlassen mussten, da es Juden nicht mehr erlaubt war, in einer Frontwohnung zu wohnen, zogen in eine Hofwohnung in der Volkertgasse. Sie beteiligten sich später an einem illegalen Transport nach Palästina und kamen mit einem Schiff bis zum Schwarzen Meer. Doch dort wurden sie von den Türken, die mit Hitler verbündet waren, nach Wien zurückgeschickt. Von Wien wurden sie nach Polen deportiert und nach einigen Monaten im Ghetto Warschau im Vernichtungslager Treblinka ermordet.

 

Für mich, meinen Bruder und die Söhne meiner Schwester, zwei von ihnen sind hier mit uns," – das war damals die Rede bei der Eröffnung – „Gershon und Abraham, und, wie ich fühle, für alle Angehörigen der

 

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