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Gemeinderat, 13. Sitzung vom 25.10.2006, Wörtliches Protokoll  -  Seite 53 von 80

 

in Frankreich um Denkverbote oder Abstrafung abweichender Privatmeinungen, wie sie jetzt in Frankreich beschlossen wurden. Wir wenden uns auch nicht gegen türkische Historiker, wenn sie Fakten auf den Tisch legen können, aber die bisherigen Forschungsergebnisse sind eindeutig, und schon im Hinblick auf die Kurdenproblematik muss die Türkei erkennen, welchen furchtbaren Irrweg ihre Politik in dieser Frage in der Vergangenheit beschritten hat.

 

Es waren ja nicht nur die Armenier, die verfolgt wurden. Es waren ja am Ende des 19. Jahrhunderts zuerst auch die griechischen Christen, dann waren es die Armenier und in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts noch einmal die Griechen. Heute werden die Kurden verfolgt. Aber weil dieses Problem auch in anderen Staaten in der Region besteht und weil die Türkei für die NATO eine wesentliche Position innehat und für die USA im Irak-Krieg so wichtig ist, halten sich alle zurück. Der Eiertanz um die Zypern-Frage ist ein deutliches Beispiel dafür, und auch unsere Bundesregierung trippelt hier im Kreis.

 

Meine Damen und Herren! Dunkle Stunden und furchtbare Verbrechen hat die Geschichte aller Länder aufzuweisen. Auch wir brauchen leider nicht allzu weit zurückzugehen, um damit konfrontiert zu werden. Es geht deshalb auch nicht um Schuldzuweisungen an die gegenwärtige Generation oder die unkritische Verteufelung der Geschichte eines Staates, aber es geht darum, bestimmte Verhaltensweisen als das zu bezeichnen, was sie sind, nämlich als Verbrechen und nicht nur als aus der Situation heraus quasi schicksalhaft erzwungene Lösungen.

 

Es geht vor allem aber auch darum, daraus für künftiges Verhalten zu lernen. Wir haben in Österreich, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, die aber politisch bedeutungslos sind, aus unserer Geschichte gelernt. Für manche zu viel, für andere nie genug, aber diese Bandbreite ist in einer Demokratie immer vorhanden.

 

In anderen Staaten, die ihre Vergangenheit noch nicht aufgearbeitet haben, zeigen sich diese Folgen. 12 Millionen ausgerottete Indianer, auch ein Genozid, sind in den USA – Lords own country, wie sie so gerne sagen und wie viele der USA-Bürger meinen – noch immer kein Thema. Vietnam mit Mylai wurde von den Verbündeten der USA überwiegend totgeschwiegen. Der Irak-Krieg mit Abu Ghraib und Guantanamo sind die Folgen.

 

Die auch militärisch unsinnige und völkerrechtswidrige Einäscherung Dresdens durch Phosphorbrandbomben, bei der weit über 100 000 Menschen in einem Feuersturm verschmorten, ist bis heute ein Tabu. Daher findet das Eingeständnis Israels aus der Vorwoche, im Libanon-Krieg Phosphorbomben gegen Städte und Zivilisten eingesetzt zu haben, kein besonderes Echo, obwohl dies ein eindeutiger Völkerrechtsverstoß ist.

 

Noch viel schlimmere Verbrechen – vor allem, was die Zahlen betrifft – sind in Afrika und Asien so selbstverständlich geworden, dass sie unsere Medien gar nicht mehr registrieren. Wenn Sie heute in der Früh die Nachrichten gehört haben, wissen Sie: In Niger bahnt sich eine neue Katastrophe an. Nicht zuletzt deswegen, weil auch die großen Konzerne in diesen Staaten die Sieger aus diesen Kriegen brauchen, um den ungestörten Zugang zu wertvollen Rohstoffen, zum Öl oder zum Erzabbau zu sichern. Und Sieger schaffen Recht, Sieger schreiben Geschichte, auf jeden Fall dann, wenn sie keinen Widerstand in der öffentlichen Meinung finden, die solche Schandtaten anprangert.

 

So stark und so isoliert sind aber heute Gott sei Dank nur wenige Staaten, dass sie den moralischen Druck ihrer Nachbarn und Partner völlig ignorieren können. Und gerade darum, um diesen moralischen Druck, geht es hier in unserem Antrag. Er soll ein Mosaikstein sein beim Aufbau dieses Druckes, und er soll auch die türkische Opposition in dieser und in anderen Fragen in der noch etwas wackeligen türkischen Demokratie bestärken.

 

Glauben Sie, dass ein Orhan Pamuk, der heute sogar von Regierungspolitikern, zumindest offiziell, gelobt wird, seine Werke publizieren hätte können ohne entsprechenden moralischen Druck aus dem Westen? Umfassende Äußerungen zum Völkermord ... (Zwischenruf von GRin Mag Alev Korun.) Er hat größte Schwierigkeiten gehabt. Und schauen Sie bitte, es gibt genügend türkische Journalisten und Schriftsteller, die heute noch mit Gerichtsverhandlungen kämpfen, weil sie sofort angeklagt werden, wenn zum Beispiel die Frage des Völkermordes an den Armeniern zur Sprache kommt. In der Türkei sind wir heute soweit, dass selbst die Kurden sich nicht Kurden nennen dürfen, sondern Bergtürken heißen, weil man in der Türkei die Existenz eines ganzen Volkes wegleugnet. Und wer sich zu dem bekennt, hat größte Probleme. Da können Sie sagen, was Sie wollen. (Beifall bei der FPÖ.) Sie können wegen eines solchen Bekenntnisses zu ihrem Volk in der Türkei ins Gefängnis wandern. „Es war ein Massaker, kein Genozid.“, hat der türkische Botschafter in einem Interview vor Kurzem festgestellt. Das ist eigentlich eine Ungeheuerlichkeit an sich und richtet sich selbst.

 

Aber was anderes als Völkermord, meine Damen und Herren, ist es, wenn Hunderttausende wegen ihrer Volkszugehörigkeit hingemetzelt werden? Dabei wurde der Begriff des Genozids von einem polnischen Juristen, nämlich von Raphael Lemkin, in dieser Form erst im Völkerrecht am Beispiel des Mordes an den Armeniern eingebracht. Und eben diese Beispielwirkung müssen wir ernst nehmen. In unserer unmittelbaren Nähe, meine Damen und Herren, am Balkan, glosen noch immer nicht entschärfte ethnische Zeitbomben. Die Frage Bosniens oder des Kosovos sind ungelöst, und selbst in Mazedonien löst schon der Name "Mazedonien" bei den griechischen Nachbarn Probleme aus, und man hat dieses unselige Kunstprodukt eines früheren, eines "FYROM - Former Yugoslav Republic of Macedonia" in die internationale Diplomatie einführen müssen. Alles das folgt aus der jüngeren Geschichte des Raumes, der diese Völker bisher oft dazu brachte zu lernen, dass es nicht darauf ankommt, Recht zu haben, sondern wer der Stärkere ist.

 

Ich darf Ihnen dazu ein sehr praktisches Beispiel

 

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