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Gemeinderat, 2. Sitzung vom 14.12.2010, Wörtliches Protokoll  -  Seite 14 von 91

 

Probleme, über die man nicht mehr die Kontrolle hat. Und dieses Problem, das Sie haben – von Seiten der ÖVP zum einen und von den Freiheitlichen zum anderen – ist die Zuwanderung und Integration, als hätten wir keine anderen Sorgen in dieser Stadt, als hätten wir keine anderen Sorgen in diesem Land.

 

Ich lebe nun seit 32 Jahren in diesem Land und habe zwei Kinder. Ich bin 1979 gekommen, mein Vater ist 1971 gekommen. Das heißt, ich bin ein Kind des so genannten Gastarbeiters, das Sie heute als einen Problemfall sehen. Damals, als meine Eltern nach Wien gekommen sind, hat man sie gebraucht. Damals waren sie gefragte Arbeitskräfte. Sie haben bis jetzt, indem sie auch das Leben in der Stadt mitgestalten, zum Aufbau dieses Landes beigetragen. Das heißt, zu einer Trümmergeneration ist eine Aufbaugeneration gekommen, die nach Anerkennung sucht. Und diese fordere ich von Ihnen ein, weil wir dieses Land mit aufgebaut haben. Ich lasse nicht ständig über uns schlechtreden, meine Damen und Herren! (Beifall bei den GRÜNEN.)

 

Spätestens seit letzter Woche, aber auch bei den Diskussionen der Europäischen Union wissen wir, dass Zuwanderung etwas Notwendiges für die Wirtschaft und für die Gemeinschaft der europäischen Gesellschaften ist, der österreichischen Gesellschaft ist, der Wiener Gesellschaft ist. Die Rot-Weiß-Rot-Karte ist ein Bekenntnis dazu, wenn es auch nicht offen zugegeben wird, dass wir eine Einwanderungsgesellschaft sind. Diese Einwanderungsgesellschaft braucht Integrationsmaßnahmen.

 

Wir, die rot-grüne Koalition, erkennen diese Verantwortung und entwickeln Instrumentarien, die dieses Zusammenleben in der Stadt organisiert. Dazu gehören sehr wichtige Maßnahmen im Bildungsbereich, die im Koalitionsabkommen enthalten sind: angefangen vom Kindergarten bis zu den Universitäten. Bildungspolitische Maßnahmen sind nämlich auch integrationspolitische Maßnahmen.

 

„Start Wien" ist ein Instrument, mit dem wir das Einleben von Menschen in der Stadt erleichtern wollen. Ich habe weder von der ÖVP noch von der FPÖ ein Instrument zur Gestaltung des Zusammenlebens beziehungsweise der Integration gehört. Das Einzige, was ich höre, ist: Es funktioniert nicht! – Und das stimmt nicht, denn ich bin ein lebender Beweis dafür, dass Integration gelingen kann. Solche wie mich gibt es genug, Herr Jung! Das einzige Problem Ihrer Politik ist, dass Sie die Realität verweigern.

 

Wir sind hier genug realistisch und sagen, es gibt mittlerweile 44 Prozent der Wiener Bevölkerung, die einen Migrationshintergrund haben. Was bedeutet das? – Das bedeutet, dass wir täglich das Leben in Wien gestalten: ÄrztInnen, VerkäuferInnen, Reinigungskräfte, Wissenschafter, Unternehmer und so weiter und so fort, die in Wien leben und das Leben mit den anderen, die in der Stadt leben, gestalten. Das ist die Realität. Akzeptieren Sie einfach, dass in unserer Gesellschaft auch das Zusammenleben gut funktioniert!

 

Darüber hinaus, meine Damen und Herren, haben wir uns so weit entwickelt, dass die Menschen sich mittlerweile vermischen. Ich weiß, dass ein Grundgedanke die Vermischung von unterschiedlichen Völkern ablehnt, aber wir sind bereit, Ehen, Zusammenleben, Partnerschaften mit Menschen aus anderen Kulturkreisen und aus anderen Nationalitäten einzugehen, weil wir keine Scheuklappen haben, weil wir keine Angst davor haben, dass wir mit anderen Nationalitäten zusammenkommen. Das ist Wien, meine Damen und Herren, und das ermöglicht Wien. Das gehört auch einmal gelobt und gesagt. (Beifall bei den GRÜNEN.)

 

Haben wir keine Probleme? – Natürlich haben wir Probleme. Eine Gesellschaft, die auf Einwanderung angewiesen ist, die Menschen aus unterschiedlichsten Weltteilen – so sage ich jetzt einmal –, Kontinenten anzieht, nicht nur, weil die Menschen zu uns wandern wollen, sondern auch, weil wir sie brauchen, wird zu einer Schnittstelle, wo die Menschen unterschiedliche Gewohnheiten haben, unterschiedliche Sozialisationen haben, unterschiedliche politische Einstellungen haben, und aufeinander prallen. Das ist eine ganz normale Entwicklung.

 

Die Frage wird sein: Erkennen wir die darin entstandenen Probleme, und wie gehen wir diese Probleme an? Auf Basis welcher Werte und welcher Grundeinstellungen gehen wir diese Probleme an?

 

Säkularismus, Bekenntnis zur Demokratie, Trennung von Religion und Staat, Grundrechte wie Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und so weiter bilden die Grundsäulen unserer Gesellschaft, unserer Wiener Gesellschaft. Dafür lege ich ein Bekenntnis ab: Ja natürlich, ich stehe zu diesen Werten.

 

Ich weiß aber auch, dass es Menschen mit Einstellungen gibt, die nicht unbedingt diese Werte teilen. Nur, ich ethnisiere diese Einstellungen nicht. Ich pauschalisiere nicht, dass jemand, der aus der Türkei kommt, automatisch ein undemokratischer Mensch ist. Ich pauschalisiere auch nicht, dass jemand, wenn er der islamischen Glaubensgemeinschaft angehört, die Frauenrechte nicht beachtet. Die Vielfältigkeit findet nicht nur in der Stadt statt, sondern die Vielfältigkeit findet auch in der zugewanderten Bevölkerung statt.

 

Ich kann Ihnen, Herr Jung, versichern, dass es ähnlich denkende, genauso denkende, nationalistische Menschen bei den Türken gibt, bei den Serben gibt, bei anderen Menschen, die in dieses Land eingezogen sind, gibt. Eigentlich könnten Sie sich mit denen auf ein Packl hauen und Politik betreiben. (Heiterkeit und Beifall bei den GRÜNEN.)

 

Wir lehnen Einstellungen, die das Näherrücken von Menschen blockieren – egal, woher sie kommen –, entschieden ab, weil wir wissen, dass die Blockaden zwischen den Menschen letztendlich dazu führen werden, dass wir unsere sozialen Probleme vernachlässigen und den Schuldigen für die sozialen Probleme nur noch in seiner Herkunft oder in ihrer Herkunft oder in ihrer Nationalität oder in ihrer religiösen Zugehörigkeit suchen.

 

Ich habe eine Grundeinstellung zur Religion, und die GRÜNEN haben diese Grundeinstellung zur Religion auch. Wir haben eine Äquidistanz zu allen Religionen. Wir haben Religion nicht in unserer Politik instrumentalisiert, indem wir Säkularismus umgangen und „Abendland

 

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