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Gemeinderat, 4. Sitzung vom 26.01.2011, Wörtliches Protokoll  -  Seite 20 von 81

 

geehrten Damen und Herren!

 

Sie nennen das gar nicht mehr Gesamtschule, weil Sie ganz genau wissen, dass die Österreicher die Gesamtschule ablehnen. Jetzt haben Sie den Versuch unternommen, die Gesamtschule in Wiener Mittelschule umzubenennen. Das ist wirklich reinste Schönrederei, ein altes grausiges Geschenk in neuer Verpackung, und das nimmt Ihnen die Bevölkerung nicht ab!

 

Herr Kollege Vettermann! Sie haben auch nicht erklärt, wo diese Schule der Zukunft stattfinden soll. Die wenigen Campusschulen, die bis jetzt errichtet wurden, werden bei Weitem nicht ausreichen, und die restlichen Wiener Schulen zerbröseln schon richtig, denn Sie haben die Wichtigkeit der Schulsanierung bis jetzt nicht erkannt. Im Budget bleibt alles gleich schlecht, in vielen Schulen fallen die Decken den Kindern im wahrsten Sinne des Wortes auf den Kopf, Sie bleiben aber weiterhin untätig und stellen lieber Containerklassen auf. Wenn das Ihre Vision vom neuen Schulsystem ist, nämlich: „Raus aus den Ruinen, rein in die Container!“, dann Gute Nacht, Wien! (GRin Mag (FH) Tanja Wehsely: Welche Schule haben Sie denn besucht?)

 

Das Ganztagsmodell, das Sie immer vorschlagen, ist auf die Bedürfnisse der Schüler und Eltern nicht zugeschnitten. Ein Großteil der Wiener Schulgebäude ist von der Infrastruktur her für die ganztägige Betreuung gar nicht geeignet, weder gibt es ausreichend Platz, damit man pädagogisch sinnvoll tätig sein kann, noch entsprechen die Gebäude dem heutigen Standard. Und auch die personellen Ressourcen für eine flächendeckende Ganztagsbetreuung werden in Zukunft nicht vorhanden sein. Es kommt nämlich zu personellen Engpässen, das wissen Sie auch. Es wird zu einer Pensionierungswelle innerhalb der Lehrerschaft kommen. Diese steht an, und viele junge Lehrer flüchten schon in andere Bundesländer oder flüchten sogar ins Ausland wie nach Deutschland oder in die Schweiz, weil die Zustände im Wiener Bildungssystem einfach grottenschlecht sind.

 

Vor allem muss eine urfreiheitliche Forderung umgesetzt werden, nämlich unser Modell „Zuerst Deutsch, dann Schule!“ Es geht nicht an, dass bis zu 90 Prozent der Schüler in einer Klasse nicht der deutschen Sprache fähig sind. Das hindert erstens die österreichischen Schüler daran zu lernen, weil sich die Lehrer meist nur noch um die nicht Deutsch sprechenden Schülern kümmern müssen. Zweitens ist Sprache der wichtigste Schlüssel zur Integration, und wer die Sprache nicht lernen will, ist anscheinend integrationsunwillig und muss in Deutschlernklassen die deutsche Sprache so lange lernen, bis er dem Regelunterricht folgen kann und die einheimischen Schüler nicht blockiert.

 

Um das Niveau an Schulen wieder zu erhöhen, muss man nicht alles neu erfinden und alles krampfhaft ändern. Ich weiß aber, dass dieses SPÖ-Modell das Prestigeprojekt von StR Oxonitsch ist. Gerüchten zufolge scharrt er schon in den Startlöchern als Nachfolger von Bgm Häupl. (Amtsf StR Christian Oxonitsch: Oh!)

 

Ich erinnere nur daran, dass es vor Kurzem eine Vizebürgermeisterin gab, die Ambitionen hatte, den Chefsessel zu erobern. Auch sie hatte ein Prestigeprojekt, nämlich den Prater-Vorplatz. Mit diesem Prestigeprojekt ist sie dann aber baden gegangen und von der politischen Bühne abgetreten. Und ich versichere Ihnen: Mit diesem zukunftsfeindlichen Modell wird Ihnen das Gleiche passieren!

 

Vorsitzender GR Mag Dietbert Kowarik: Als nächster Redner hat sich GR Mag Wutzlhofer zu Wort gemeldet. Ich erteile ihm das Wort.

 

10.53.43

GR Mag Jürgen Wutzlhofer (Sozialdemokratische Fraktion des Wiener Landtages und Gemeinderates)|: Herr Vorsitzender! Meine Damen und Herren!

 

Die neue Schule der Zukunft kann für vieles stehen, für ein konkretes Schulmodell, für Grundsätze der Bildungspolitik, für eine Organisation des Schulsystems. Ich danke jetzt aber vor allen Dingen meinen Vorrednern Nepp und Aigner für die Steilvorlage, denn man braucht ja immer irgendetwas, woran man seine Rede festhält, und eine Kontrastfolie ist besonders schön.

 

Relativ klar ist jetzt, was die Schule der Zukunft nicht sein kann. Es dürfen nicht Dinge aufgewärmt werden, die nicht von heute und nicht von morgen, sondern die von vorgestern sind. Das ginge noch an, wenn sie wenigstens vorgestern gut waren, aber das, was Sie im Zusammenhang mit Schulpolitik gesagt haben, war ja vorgestern schon ein Topfen! Sie kommen immer mit den gleichen Argumenten.

 

Gestern habe ich nachgeschaut, weil es mich interessiert hat, Herr Kollege Aigner, was darüber im Laufe der Jahre gesagt wurde: Da liest man Einheitsschule und Gleichmacherei. Es sind sogar die gleichen Wörter, die die Christlichsozialen und die konservative Presse 1922 dem Stadtschulratspräsidenten Glöckel entgegengeschmettert haben. – Das zeigt Ihre überbordende Originalität! 1922 bis 2012: 90 Jahre später sagen Sie noch immer das Gleiche! (GRin Mag (FH) Tanja Wehsely: Es muss halt weh tun!)

 

Sie verstehen das Prinzip nicht! Sie werfen uns Gleichmacherei vor, aber das, was Sie hier propagieren, ist Gleichmacherei! Und es ist unglaublich, wie man so etwas nicht verstehen kann! Im Zentrum jeder fortschrittlichen Bildungspolitik darf nicht Gleichmacherei stehen, sondern im Zentrum jeder fortschrittlichen Bildungspolitik muss Individualisierung stehen. Und das ist das Prinzip der Wiener Mittelschule, und das ist das Prinzip unserer Art von Schulpolitik, wie wir sie betreiben. (Beifall bei SPÖ und GRÜNEN.)

 

So viel Individualisierung wollen Sie ja gar nicht! Sie wollen gleichmachen! Sie selbst haben einen ziemlich gleichmacherischen Zugang: Einmal gibt es eine Einteilung in oben und unten, und dann gibt es für alle das gleiche System. Und die Kinder müssen dann eben in das von Ihnen vorgesehene Schulsystem passen und nicht umgekehrt.

 

Das ist eine erstaunliche Argumentation! Sie wollen nicht, dass wir ein Schulsystem finden, das die Kinder dort abholt, wo sie sind und sie individuell fördert, sondern Sie wollen ein Schulsystem, in das die Kinder hineinpassen. „Erst Deutsch, dann Schule!“ In ein solches System müssen sie hineinpassen! Man konstruiert das Schulsystem: AHS für die oben, und das andere für die

 

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