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Gemeinderat, 66. Sitzung vom 24.04.2015, Wörtliches Protokoll  -  Seite 56 von 86

 

dafür, dass ein großer Teil der österreichischen Beiträge zum EU-Budget wieder in unser Land zurückfließt, was hier leider viel zu wenig kommuniziert wird.

 

Auch die beiden österreichischen EU-Kulturhauptstädte, nämlich 2003 Graz und 2009 Linz, haben im eigenen Land nicht die entsprechende Beachtung gefunden. Als Mitglied der Jury für die Kulturhauptstädte kann ich das ziemlich gut beurteilen.

 

Unser Abrücken vom harten Austeritätskurs der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel zu Gunsten einer Ankurbelung des Wachstums und auch unsere Maßnahmen gegen die Jugendarbeitslosigkeit – Stichwort Jobgarantie, auch davon war heute schon die Rede – samt dem dualen Ausbildungssystem sind zu einem Best-Practice-Modell der EU aufgerückt. Dennoch halten sich in Österreich aber hartnäckig Mythen, Lügen, Vorurteile, Verschwörungstheorien über die EU-Krise, so à la: „Wir leben alle über unsere Verhältnisse. Am besten einfach raus aus dem Euro! Die Krisenländer sind alle Reformmuffel und selbst schuld, die wollen nur unser Geld. Die Finanzhilfe ist Konkursverschleppung.“

 

Umfassende Lösungen wären eher eine Währungsunion mit sozialer Dimension, Steuergerechtigkeit, das Schließen der Schere zwischen Arm und Reich, Maßnahmen gegen die Arbeitslosigkeit und vor allem eine Behebung des demokratiepolitischen Defizits der EU.

 

In der Europapolitik herrscht bei uns viel zu oft Kleinmut. Spitzendiplomat Wolfgang Petritsch meint: „Wir trauen uns zu wenig zu, dafür sind wir Weltmeister im Raunzen und Kritisieren.“ Und der ehemalige Fraktionschef der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament Hannes Swoboda, inzwischen Bürger der Stadt Wien, hat verlangt, dass wir uns breiter aufstellen und mehr Kontakte zu Ländern wie Frankreich, Italien oder Spanien knüpfen sollen.

 

Wir könnten auch viel mehr proeuropäische Initiativen einbringen, mehr Leadership an den Tag legen. (GR Mag Dietbert Kowarik: Warum tun Sie es nicht?) Die 18 österreichischen Mandatare im Europäischen Parlament haben … (GR Mag Dietbert Kowarik: Tut es doch!) Na ja, es sitzen dort ja so viele leere Nüsse, die nichts machen können ... (GR Mag Dietbert Kowarik: Reden Sie von Ihren eigenen Abgeordneten?) Damit meine ich einen der heute Anwesenden. (GR Mag Dietbert Kowarik: Wer ist denn die zweitstärkste Fraktion im Europäischen Parlament?)

 

Die 18 österreichischen Mandatare haben zahlreiche Erfolge erzielt. Ich denke jetzt etwa an die Senkung der Roaming-Gebühren, wofür sich Paul Rübig von der VP stark gemacht hat, bis zum Thema Riesentrucks, mit dem sich Kollege Leichtfried auseinandergesetzt hat. (GR Mag Wolfgang Jung: Was hat er erreicht damit?)

 

Aber die EU wird immer als Problem und nicht als Schlüssel zur Bewältigung der aktuellen Krisen angesehen. Das hat schon Ulrike Lunacek, die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments gesagt. – Wir brauchen also sozusagen einen „New Deal“ für die nächste Generation. Das schlägt Erich Foglar, der ÖGB-Präsident, vor. Er fordert eine soziale Säule zusätzlich zu den vier Grundfreiheiten. Denn anders als zu Zeiten des sozialistischen Kommissionspräsidenten Jacques Delors oder der „Schönwetterunion“ der 2000er Jahre, entwickelt sich die EU zugegebenermaßen derzeit in eine falsche Richtung.

 

So gerät auch das klassische Arbeitsmodell immer mehr unter Druck. Die technologisch bedingte Produktionssteigerung ist eine große Herausforderung vor allem für die Gewerkschaften. Diesbezüglich müssen neue Modelle, eben ein „New Deal“ angedacht werden.

 

Im Zuge einer notwendigen Trendwende für die europäische Demokratie muss man, um diese Demokratiemüdigkeit in den Griff zu bekommen, versuchen, vor allem die Lücke zwischen Eliten und Bürgertum zu schließen - und zwar Eliten im Sinne von Joseph Schumpeter, denn da besteht Krisenanfälligkeit. Die Zukunft der EU wird sehr stark von der Zustimmung und Beteiligung aller Unionsbürger und -bürgerinnen abhängen. Nur der Abbau sozioökonomischer Ungleichheiten kann das Vertrauen in die Demokratie wiederherstellen.

 

Man könnte zum Beispiel auch die Ämter der beiden Präsidenten, Kommissionspräsident und Ratspräsident, zusammenlegen, um der EU ein eindeutigeres Gesicht zu geben, und EU-Politiker stärker in nationale Parlamente und Öffentlichkeiten einbinden, Stichwort Rederecht, wie wir es hier tun und wie es für die Österreichische Gesellschaft für Politik auch ein „must“ wäre. Politologe Markus Pausch hat dazu sehr interessante Vorschläge erstellt. Zudem müssten natürlich die Konvergenzkriterien auch für die Beschäftigung Anwendung finden.

 

Ich komme schon zur Wiener Europapolitik. Diese ist mit dem heute wieder praktizierten Rederecht schon einen Schritt vorausgegangen. EU-bezogene Themen und Projekte sind für die Wiener Politik und Verwaltung inzwischen selbstverständlich. Die EU ist Querschnittsmaterie, davon legt auch der druckfrische EU-Bericht des Gemeinderatsausschusses für europäische und internationale Angelegenheiten Zeugnis ab. Herzlichen Dank an Frau Mag Andrea van Oers!

 

Wir sind in den verschiedensten europäischen Netzwerken und Verbänden aktiv, im Ausschuss der Regionen, im Rat der Städte und Regionen, im Kongress der Gemeinden und Regionen, im Städteverbund Eurocities, bei der EU-Initiative „Smart Cities“ und vielen anderen.

 

Wien setzt in diesem Zusammenhang auf das Subsidiaritätsprinzip. Unser Schwerpunkt ist die Daseinsvorsorge. Und wir haben uns klar gegen das Freihandelsabkommen TTIP mit den USA und CETA mit Kanada ausgesprochen, um dem Privatisierungsdruck durch die Hintertür des Vergaberechts standzuhalten, das Aushebeln rechtsstaatlicher Prinzipien und den Abbau von lang erkämpften Standards im Arbeits- und Sozialbereich, in der Umweltpolitik und im Konsumentenschutz zu verhindern.

 

Leider werden sowohl das Europäischen Parlament wie auch die Kommission und der Rat von einer konservativ-liberalen Mehrheit dominiert, die eine wachsende Stadt wie Wien mit erhöhtem Investitionsbedarf in ihrem finanziellen Spielraum derzeit stark einschränkt. Auch diesfalls ist ein Umdenken notwendig, zum Beispiel

 

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