Gemeinderat, 68. Sitzung vom 29.06.2015, Wörtliches Protokoll - Seite 86 von 140
haben, in Österreich oder in Deutschland oder in der Schweiz, vielleicht auch noch ein bisschen in Frankreich, in Nordeuropa auf die Welt zu kommen. (Beifall bei GRÜNEN und SPÖ.)
Wenn es um Flüchtlinge geht, dann gibt es etwas meines Erachtens nicht, nämlich das „Ich möchte nicht.“ Na, glauben Sie, jemand der flüchtet, will flüchten? Glauben Sie, dass all diejenigen Menschen flüchten wollten, die jetzt aus Syrien geflüchtet sind. Das geschah unter anderem deshalb, weil die geopolitische Situation so katastrophal ist in den letzten fünf Jahren im gesamten arabischen Raum, weil die Großmächte wie auch die EU zum Teil es zugelassen haben, dass Saudi-Arabien sein eigenes Spielchen spielt, dass die USA ihre eigenen Spielchen spielen, dass Russland sein eigenes Spielchen spielt, und unter all diesen Entwicklungen der Islamische Staat seine Erfolge zeitigen konnte. Nehmen wir uns da nicht heraus und sagen, wir haben damit nichts zu tun. Ja, vielleicht wir als kleine Österreicher und Österreicherinnen nicht, aber als Europäische Union stimmt das schon überhaupt nicht.
All jene, die Waffen exportieren wollen, die Waffen exportiert haben und die noch immer Waffen exportieren, tun das auch, und zwar genau in diese Gegenden, nicht nur nach Syrien, genauso in die Ukraine und überall anders hin, wo Konfliktherde auf dieser Welt sind, und auch überall dorthin, wo die zukünftigen Konfliktherde in dieser Welt sind. Wir können uns das jetzt schon ansehen, dort werden die Flüchtlinge für die kommenden Jahrzehnte schon jetzt geboren. (GR Mag Wolfgang Jung: Sie wollen das?) Nein, nicht wollen, es geht nicht ums Wollen, es geht darum, dass Flüchtlinge kommen werden, wenn wir uns nicht alle an die Grenze stellen und Nein sagen. Und das will ich nicht, das sage ich Ihnen. Ich will keine hochmilitarisierte Europazone, wo wir einen Überwachungsstaat haben, wo wir verhindern, dass irgendjemand auch nur nach Europa hereinkommt. Nein, das will ich nicht, das ist nicht meine Vorstellung.
Damit komme ich zu einem ganz spannenden Punkt, der von Ihnen immer wieder genannt wird, wenn da so Begriffe wie Leitkultur oder christliche Kultur oder irgendetwas anderes kommt. Ich habe das schon zwei, drei Mal hier gesagt: Ich bin überzeugt davon, Ihre Kultur ist nicht die meine. Ich bin stolz auf unsere Kultur der Solidarität, ich bin stolz auf unsere Kultur der Gerechtigkeit, ich bin stolz auf unseren kulturellen Zugang, den wir finden und entwickeln, wenn wir die Auseinandersetzung suchen, die Auseinandersetzung mit Menschen aus anderen Räumen, nicht nur aus Europa. Und selbstverständlich ist das nicht friktionsfrei. Na, ein Wunder wäre es, wenn alle glauben würden, das ginge so reibungslos. Aber selbst die Auseinandersetzung mit Ihnen ist ja nicht friktionsfrei. Bei vielen Sachen, die Sie sagen, würde ich mir denken, wenn Sie sich durchsetzen, müsste ich darüber nachdenken, ob ich auswandere. Nicht weil ich Angst hätte vor Ihnen, aber ich will da nicht leben, wenn Sie sich politisch durchsetzen. Es interessiert mich einfach nicht. (GR Mag Wolfgang Jung: Auch wenn das die Mehrheit so sieht?) Auch weil es nicht meine Kultur ist. (Beifall bei GRÜNEN und SPÖ.)
Es kommt dann immer der Spruch, wir können nicht alle retten. Vielleicht stimmt das, aber wir können diejenigen retten, die kommen und die da sind. Die können wir unterstützen, und das ist auch unsere Aufgabe.
Es geht dann im kleinen Bereich weiter, was wir als Wiener und Wienerinnen machen können, von der Aufnahme von Flüchtlingen bis zum Umgang tatsächlich mit Menschen, die auch zugewandert sind und die hier geboren sind. Und da sind wir wieder bei der Rechtssicherheit. Warum macht es Österreich so schwer, dass Menschen eine Doppelstaatsbürgerschaft haben? Na, mein Gott! (Zwischenruf von GR Mag Wolfgang Jung.) Aber bitte, Kollege Jung, da merkt man, dass die Entwicklungen der letzten 50 Jahre an Ihnen spurlos vorbeigegangen sind. Es geht um die Frage: Habe ich echt nur eine einzige Identität? Angenommen, ich bin jetzt in Österreich geboren und ich ziehe nach Australien und lebe dort. Müsste ich mich dann wirklich entscheiden, bin ich jetzt Österreicher, bin ich Australier, oder dürfte ich in der Verantwortung dem jeweiligen Land gegenüber, wo ich lebe, und in Verantwortung dem jeweiligen Land gegenüber, wo ich geboren wurde, mir denken, ja, ich verhalte mich als verantwortungsvoller Bürger/Bürgerin und arbeite bestmöglich mit? Hallo! Das ist doch möglich. Es ist doch vollkommen wurscht, ob Menschen mittlerweile zwei Staatsbürgerschaften haben oder nicht. Das ist antiquiert und überholt.
Genauso ist es bei der Frage des Wahlrechtes. Jetzt rede ich einmal wirklich nur über die Frage des Wahlrechtes für unsere ausländischen MitbürgerInnen, die keinen österreichischen Reisepass haben, und ich betone, für alle auf der Gemeindeebene, nicht nur für die EU-BürgerInnen.
Und um wirklich die perverseste Situation, die es momentan in Österreich gibt, auf den Punkt zu bringen: Da sind Menschen hier geboren, waren möglicherweise noch nie in dem Land, für das sie die Staatsbürgerschaft besitzen, sie sind hier in den Kindergarten gegangen, in die Volksschule gegangen, dann in die Sekundarstufe, je nachdem, dann werden sie 16 Jahre alt und dürfen hier nicht wählen. (GR Mag Wolfgang Jung: Warum? Weil sie die Staatsbürgerschaft gar nicht wollen!) Oft genug ist es ein Problem des Geldes, aber noch absurder ist es (Zwischenruf von GR Mag Wolfgang Jung.), nein, Entschuldigung, Kollege Jung, es ist absurd, dass Kinder und Jugendliche, die in Österreich geboren und in Österreich aufgewachsen sind, nicht von Amts wegen die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen bekommen. Hallo! (Beifall bei GRÜNEN und SPÖ. – GR Johann Herzog: Vielleicht wollen sie sie gar nicht!) Nein, sie bekommen sie nicht! Von Amts wegen bekommen sie sie nicht. (GR Johann Herzog: Das ist ja unglaublich! Eine Zwangsbeglückung wollen Sie!)
Und da sind wir wieder bei einem derjenigen Punkte, wo man deutlich die Differenz merkt. Wenn ich sage, wir wollen, dass sie es von Amts wegen bekommen, und Sie als Freiheitliche Partei sagen, da tun Sie alles, damit das nicht der Fall ist. (Zwischenruf von GR Mag Wolfgang Jung.) Ja, das sind Unterschiede. (GR Mag Wolfgang Jung: Sind Sie dafür, dass man das verordnet?) Was
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