Gemeinderat, 69. Sitzung vom 01.07.2015, Wörtliches Protokoll - Seite 17 von 94
Ich persönlich würde es höchst bedauerlich finden, wenn wir eines Tages sagen müssten: Wir hatten zwar ein vereintes Europa, aber leider zu wenig Europäer! – Es geht nämlich nicht nur darum, ob Griechenland jetzt technisch bankrott ist oder nicht und ob die Griechen aus dem Euro aussteigen oder nicht, sondern es steht in diesem Einzelfall, auch wenn wir die größeren Konsequenzen noch nicht kennen, zumindest der europäische Gedanke auf dem Spiel, bei dem es um das Motiv der Europäischen Union und die ursprünglichen Absichten der europäischen Einigung geht, nämlich ob es ein Vorteil ist, sich im Innenverhältnis über Glühbirnen und Fischereiquoten zu streiten, verglichen mit der Alternative, nämlich sich gegenseitig umzubringen. – Diese Lektion haben wir immerhin aus dem 19. und 20. Jahrhundert gelernt, sollte man meinen.
Die Europäische Union ist aber auch der Versuch, nach außen gemeinsame Interessen bestmöglich zu vertreten gegenüber – wie ich das jetzt ausdrücken möchte – großen Nachbarn oder anderen großen Staaten auf unserem Globus.
Und um auf die großen Nachbarn einzugehen: Sie sind nicht alle sehr wohlwollend! – Ich beobachte die Entwicklung in Russland mit großer Sorge. Die Vereinnahmung der Krim habe ich noch irgendwie verstanden. Die Krim war nie ukrainisch, sie war seit Katharina der Großen russisch. Das aber, was sich um die Ukraine abspielt, spottet jeder Beschreibung! Das lässt sich so nicht erklären. Und ich halte es tatsächlich für alarmierend, wenn Russland und Putin jetzt beginnen, den Ribbentrop-Molotow-Pakt oder den Hitler-Stalin-Pakt von 1939 genauso zu feiern wie den großen vaterländischen Sieg 1945. Das muss einmal jemand erklären!
In diesem Zusammenhang ist Griechenlands geostrategische Lage ja nicht uninteressant, um es milde auszudrücken. Das ist einer der Süd-Ost-Pfeiler der NATO! Daher kann uns nicht gleichgültig sein, was in diesem Land geschieht! Und selbstverständlich liegt es unter den gegenwärtigen Bedingungen – wobei ich nicht behaupte, dass das auf Dauer der Fall sein wird – im Interesse Russlands, die EU zu schwächen und es lieber mit 28 Nationalstaaten zu tun zu haben als mit einer großen, gemeinsamen Art Staatlichkeit. (GR Mag Dietbert Kowarik: Die keine Grundlage hat!) Diese lässt noch zu wünschen übrig, aber jedenfalls ist das etwas, womit man zu rechnen hat. Insofern ist es im starken Interesse Russlands, derzeit alle nationalen, nationalistischen und rechtsextremen Parteien in der Europäischen Union zu stärken, ob das jetzt Le Pen oder andere Parteien sind; und ich schaue jetzt aus meiner Sicht auf die linke Seite des Saales. (GR Mag Wolfgang Jung: Sie können bald bis zur Mitte schauen!)
Zu einigen ökonomischen Fragen, die wir schon am Montag angeschnitten haben: Erstens ist es mir wichtig zu betonen, dass es sich nicht um eine Krise des Euro handelt. Das ist Unsinn! Der Euro als Währung funktioniert, er wird als Zahlungsmittel anerkannt, er ist die zweitwichtigste Reservewährung der Welt. Der Wechselkurs des Euro hat gegenüber dem Dollar auch jetzt in dieser Krise in den letzten Tagen so gut wie gar nicht reagiert. Am Montag ist er um 2 Prozent hinuntergegangen, um gegen Mittag wieder alles aufzuholen. – Diese Entwicklung ist – wenn man das im Jargon der Märkte ausdrücken will – eingepreist und hat keinen Effekt auf die Währung. Nicht die Währung Euro als solche ist problematisch, sondern problematisch sind Krisen der Staaten der Union und insbesondere Griechenlands.
Es ist zumindest diskussionswürdig, ob eine Zahlungsunfähigkeit Griechenlands automatisch den Euroaustritt des Staates bedingt. Ich meine, dass das nicht unbedingt und nicht automatisch der Fall ist. Gestern hat Griechenland einen neuen Vorschlag unterbreitet, nämlich ESM-Hilfen – also Hilfen im Zusammenhang mit dem European Stability Mechanism – plus Schuldenschnitt. Darüber kann man, wie ich meine, diskutieren! Der Schuldenschnitt muss zuerst kommen, dann man muss sich darüber im Klaren sein, dass Verhandlungen mit dem ESM wochenlang dauern, weil ja auch die nationalen Parlamente teilweise einzubeziehen sind, insbesondere das deutsche und das österreichische Parlament. Aber das würde bedeuten, dass Griechenland im Euro bleibt.
Es muss aber nicht sein. Wir haben schon am Montag darüber diskutiert, dass jetzt sehr viel vom Verhalten der Europäischen Zentralbank abhängt. Die griechischen Banken hängen sozusagen – wie nennt man das in der Medizin? (GR Heinz Hufnagl: Tropf!) – am Tropf der Europäischen Zentralbank, und wenn die Zentralbank diese Lebenslinie durchschneidet, dann wird Griechenland gar nichts anderes übrig bleiben, Vertrag hin oder her, als eine Art Schattenwährung einzuführen.
Das zweite große Problem ist die griechische Leistungsbilanz beziehungsweise Handelsbilanz. Griechenland hat zwar in den letzten fünf Jahren das enorme Defizit von 2010 von etwa 15 Prozent aufgeholt und steht mittlerweile bei rund 2 Prozent des BIP. Und das ist auch kein Wunder: Wenn Länder in einer Rezession oder Depression sind, bewirkt das aus verschiedenen Gründen einen – unter Anführungszeichen – positiven Einfluss auf die Handelsbilanz. Und es gibt natürlich das Argument, dass Griechenland nur über eine abgewertete neue Währung wieder Wettbewerbsfähigkeit erreichen kann.
Hans Werner Sinn meint, dass das binnen ein oder zwei Jahren der Fall sein könnte. – Ich habe da meine größten Zweifel, aber Sinn ist ein guter Ökonom, er wird schon wissen, was er sagt.
Das grundlegende Problem Griechenlands wird dadurch nämlich nicht beseitigt. Was haben sie denn? – Sie haben Tourismus und Öl, aber sozusagen das falsche Öl. (GR Dipl-Ing Rudi Schicker: Das gesunde Öl!) Sehr viel ist da jedenfalls nicht zu holen. Ohne Investitionen im großen Ausmaß wird da nicht viel zu holen sein!
Meine persönliche Meinung zu dieser Krise – das ist nicht mit den Grünen abgesprochen, aber ich hoffe, dass es einigermaßen passt. – ist: Die Euro 18, also die anderen Mitglieder der Eurozone, sollten nicht versuchen, Griechenland zu überreden, am Sonntag mit Ja oder Nein zu stimmen. Das kann erstens nach hinten losgehen, und zweitens wissen wir de facto nicht, was
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