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Gemeinderat, 5. Sitzung vom 23.02.2016, Wörtliches Protokoll  -  Seite 42 von 114

 

liest, davon weiß. Auch eine OECD-Studie würde ich nicht als irgendeine Privatstudie abtun.

 

Aber ich möchte jetzt noch einmal zum eigentlichen Thema kommen, und zwar zur Frage Integration und was das mit Werten zu tun hat. Ich muss Sie um Verständnis bitten, dass ich mich heute eher an meinem Text anhalten muss, denn ich möchte ein paar philosophisch-historische Gedanken bringen zur großen Frage: Was ist eigentlich unsere gemeinsame Wertebasis?

 

Frau Kollegin Huemer hat gesagt, wir brauchen eine gelebte Wertepraxis. Ich glaube, dass Praxis zuerst einmal auch eine intellektuelle Auseinandersetzung braucht. In unserer Debatte herrscht oft Orientierungslosigkeit, sie ist inhaltsleer, wir hören Parolen, die wenig bedeuten. Kein Wunder, dass dann von Seiten der Migrantinnen und Migranten manchmal wenig Integrationswille zu sehen ist, dass Verhaltensnormen kasuistisch wahrgenommen werden oder auch dann der Staat plötzlich allmächtig wird.

 

Was ist unsere gemeinsame Wertebasis? - Ich habe zwölf Punkte vorbereitet, zwölf Punkte einer gemeinsamen Wertebasis:

 

Erstens, die Würde des Menschen. Wir wissen, der Mensch ist einzigartig: der freie Wille, vernunftbegabt, fähig für soziales Miteinander, Kommunikation und Interaktion. Daraus leiten sich die unverletzlichen Rechte, die Menschenrechte ab. Deshalb kümmern wir uns auch um komatöse Patienten, Sterbende, Bedürftige, Behinderte, und so weiter - das Wort Solidarität wurde heute schon genannt -, auch wenn es etwas kostet, auch mehr vielleicht, als es wirtschaftlich bringt. Darum haben wir auch keine Strafen gegen Leib und Leben. Das ist die Würde des Menschen, die wir als Europäer ganz vorrangig anerkennen.

 

Zweiter Punkt - das ergibt sich aus der Menschenwürde -: ein Instrumentalisierungsverbot. Der Mensch ist immer Selbstzweck. Der Wert des Menschen hängt nicht von seiner Nützlichkeit ab, zum Beispiel, ob er auf dem Arbeitsmarkt eingesetzt werden kann. Der Mensch darf nicht als Bauernopfer hergegeben werden oder als Schutzschild in einem Konflikt, in einem bewaffneten Konflikt verwendet werden. Sklaverei, sexueller Missbrauch, Organhandel, das alles instrumentalisiert den Menschen.

 

Der dritte Punkt: Was charakterisiert den Europäer? Es ist die Suche nach dem Schönen, Wahren und Guten. Die Freiheit der Wissenschaft steckt da drinnen, die Auseinandersetzung mit den großen Fragen der Menschheit, die Kunst als Suche, als Ausdruck der Suche nach dem Schönen, und das persönliche Streben nach Besserwerden, nicht nur für sich selbst, sondern auch für die Allgemeinheit. Das hat die Geschichte Europas in den letzten 1.000 Jahren geprägt.

 

Der vierte Punkt ist die Freiheit und die Selbstbestimmung als Basis einer pluralen Gesellschaft. Wer aus der Freiheit kommt, der gesteht auch anderen Menschen Freiheit zu. Dort, wo der Islamische Staat regiert, regiert er auf der Basis von Angst. Freiheit ist die Voraussetzung für ein Miteinander von in gleicher Weise freien Menschen, gleichberechtigten Menschen - also nicht charakterisiert durch Sippenzugehörigkeit oder sonstige Gruppenanbindung oder nur für Wohlhabende.

 

Der fünfte Punkt ist unsere Verpflichtung auf die Vernunft. Als Europäer stehen wir nicht blind vor einer Mauer. Wir analysieren, diskutieren, verstehen, können Verhältnisse beschreiben. Das griechische Wort Logos heißt nicht nur Vernunft, Sprache, Kommunikation, es heißt auch Verhältnis.

 

Der sechste Punkt ist unser Bekenntnis zur Demokratie. Eine demokratische Kultur benötigt, und das ist vielleicht gerade für uns hier im Gemeinderat wichtig, die Zurückhaltung und die Selbstbeschränkung im politischen Prozess. Das heißt, dass ein Sieger nicht seine Macht ungezügelt und respektlos und rücksichtslos ausübt und dass der Unterlegene die staatliche Autorität auch dann respektiert, wenn er es anders gemacht hätte. Das ist demokratische Kultur, ein europäischer Grundwert.

 

Ein siebenter Punkt: die Anerkennung unseres Rechtssystems auf der Basis der Rechtsstaatlichkeit, die Anerkennung des Gewalt- und Justizmonopols des Staates. Das heißt: keine Gewaltanwendung, keine Selbstjustiz, keine privaten Fehden, und so weiter.

 

Achtens: die gemeinsame Verantwortung zur Schaffung einer gerechteren Gesellschaft. Neben Rechten anerkennen wir auch Pflichten. Wir bekennen uns zur Leistung, zur Weiterbildung, zur Selbstverwirklichung durch Arbeit und zum Beispiel auch zu „fair use“ in der Frage der Inanspruchnahme von Sozialleistungen - nur, wenn ich sie wirklich brauche, und ich nütze das System nicht aus.

 

Der neunte Punkt ist die Gleichberechtigung in der Familie. Keine Gewalt in der Familie. Gleichberechtigung der Geschlechter. Einehe, ein Wort das viel zu kurz kommt. Ein klares Nein zu Kinderheirat, Zwangsverheiratung, Verwandtenehe oder Genitalverstümmelung.

 

Zehnter Punkt: Toleranz. Wird oft genannt, aber ich gehe noch einen Schritt weiter, nämlich: Toleranz bedeutet auch, sich mit Neuem auseinanderzusetzen, bedeutet auch, Andersdenkende zu achten, ja, sogar um einander Sorge zu haben, sich zu solidarisieren.

 

Elfter Punkt: Religionsfreiheit. Wir bekennen uns zur Trennung von Kirche und Staat. Wir lehnen Gesinnungsterror ab. Gleichzeitig schätzen wir den Beitrag der Religionen zur Gesellschaft.

 

Und der zwölfte und letzte Punkt: der treuhändische Umgang mit der Umwelt. Das beginnt bei der Mülltrennung, der sparsame Einsatz von Ressourcen, das achtsame Verhalten gegenüber den anderen in der Öffentlichkeit.

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie sehen, in all diesen Grundwerten, in all diesen Punkten einer gemeinsamen Wertebasis zieht sich ein jüdisch-christliches Erbe wie ein roter Faden. Es gibt natürlich Einwände dazu: Will man überhaupt gemeinsame Werte definieren? Schließt das nicht andere aus? Ich glaube nicht. Ich glaube, dass die Definition einer gemeinsamen Wertebasis aufklärt und Identität stiftet. Das ist gemeinschaftsfördernd. Ist eine gemeinsame Wertebasis illiberal, weil es Homogenität verlangt? Nein, das tut es nicht.

 

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