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Gemeinderat, 10. Sitzung vom 27.06.2016, Wörtliches Protokoll  -  Seite 48 von 121

 

EU richten, und das ist sicher auch richtig, aber wir dürfen nicht vergessen, dass die Europäische Union eigentlich ein Friedensprojekt ist. Sie ist ein Friedensprojekt, und 70 Jahre lang Frieden sind nicht selbstverständlich. Ich lerne aus dem Brexit für uns hier in Wien zwei Dinge, und die möchte ich heute auch unterstreichen und noch einmal sagen.

 

Das eine ist, dass die Politik sich nicht alles erlauben darf. Und das betrifft eben nicht nur die Europäische Union, das betrifft auch Wien und das betrifft auch Österreich. Unverständliche Politik von oben herab, an den Menschen vorbei, an den Anliegen der Menschen vorbei, das funktioniert einfach nicht. (Demonstrativer Beifall von GR Mag. Wolfgang Jung.) Österreich, Wien und die Europäische Union, alle politischen Institutionen müssen sich auf ihre eigentlichen Fundamente, ihre eigentlichen Aufgaben rückbesinnen. Bei der EU sind das der gemeinsame Markt, die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, die Rechtsstaatlichkeit, die Freiheit und die Subsidiarität. Und wenn die EU sich an diese Aufgaben hält und dort auch etwas weiterbringt, zum Beispiel Krisen löst, dann gibt es auch keinen Brexit.

 

Ich glaube, da muss die EU etwas lernen, aber das betrifft auch uns. Auch in Wien wollen die Menschen nicht von oben herab erzogen werden, sondern sie wollen ein freies und selbstbestimmtes Leben leben können. Und sie wollen nicht Verbotspolitik - gepaart mit Brot und Spielen, damit es nicht so auffällt -, sondern die Möglichkeit, ihr Leben nach ihren eigenen Überzeugungen auszurichten; also nicht nach dem Motto „Von der Wiege bis zur Bahre“, sondern sie wollen selber das Leben in die Hand nehmen können.

 

Und auch ein Zweites lernen wir aus dem Brexit, und das ist, dass es oft nicht so leicht ist, die Geister, die man ruft, auch wieder loszuwerden. Wolfgang Schüssel hat gestern in der „Presse“ geschrieben: „Wer jahrelang Skepsis schürt, sich bestenfalls ein ‚Ja, aber‘ zu Europa abquält, darf sich nicht über die aufgehende Drachensaat wundern.“ - Wolfgang Schüssel. (Zwischenruf und Kopfschütteln von GR Mag. Dietbert Kowarik.)

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist leicht, auf die EU zu schimpfen, und es ist leicht, gegeneinander auszuspielen, aber wir sitzen alle in einem Boot. (GR Mag. Dietbert Kowarik: Die Briten sitzen auf ihrer Insel! Die sehen das ein bissel anders!)

 

Vielleicht darf ich noch ein letztes Wort zum Thema Menschenrechte und Internationales sagen: Vergangenen Montag, am 20. Juni, hat hier in diesem Haus eine Veranstaltung stattgefunden, „Kultur der Menschenrechte“ hieß sie, und da hat Bundespräsident Fischer gesprochen. Und nachdem ich schon Wolfgang Schüssel zitiert habe, zitiere ich jetzt auch noch Heinz Fischer. Er hat gesagt: „Ist die EU wirklich ein Champion der Menschenrechte? Oder halten wir sie nur ein, wenn es angenehm ist, und nicht für alle?“ - Auch wenn Heinz Fischer nicht in allen Punkten meiner Gesinnung entspricht, sage ich: Das ist ein wichtiges Wort, das wir uns auch in Wien zu Herzen nehmen müssen.

 

In diesem Zusammenhang möchte ich mich aber auch bei der Stadt, insbesondere auch bei StR Mailath-Pokorny bedanken für die gute Zusammenarbeit im Bereich Vorgehen gegen Menschenhandel. Da ist doch einiges schon gelungen.

 

In diesem Sinn: Europa geht uns alle an, Europa hat uns letzte Woche auch einiges gelehrt, und ich hoffe, dass wir alle uns das zu Herzen nehmen. - Vielen Dank. (Beifall bei der ÖVP.)

 

Vorsitzende GRin Gabriele Mörk: Danke schön. Die Redezeit betrug 4 Minuten. Die fraktionelle Restredezeit wäre noch 8 Minuten. Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau GRin Meinhard-Schiebel. Selbstgewählte Redezeit 5 Minuten. Ich erteile ihr das Wort.

 

14.04.34

GRin Brigitte Meinhard-Schiebel (GRÜNE)|: Sehr geehrte Frau Vorsitzende! Sehr geehrte Frau Stadträtin! Sehr geehrte Damen! Sehr geehrte Herren!

 

In den vielen Redebeiträgen in diesen letzten Stunden, ausgenommen dem letzten von Frau Dr. Kugler, wurde das Thema Europa fast ausgeblendet, so, als ob es uns nicht wirklich etwas angehen würde. Dabei zeigen gerade die jüngsten Ereignisse, dass Europapolitik uns alle betrifft und nicht vor den nationalen Grenzen ganz einfach Halt macht. Die Ereignisse sind vor allem solche, die auch uns betreffen werden, und Europafragen müssen wir uns sehr wohl zu Herzen nehmen.

 

Allein angesichts dessen, dass wir erst vor drei Tagen mit einer Entscheidung wie der Brexit-Entscheidung der Briten konfrontiert waren, wissen wir, dass wir vor einer großen und herausfordernden Situation stehen und dass diese nicht nur eine Herausforderung für die Briten und Britinnen bedeutet, sondern natürlich auch für uns. Letztendlich wird dieser Schritt der britischen Bevölkerung und vor allem natürlich auch den Schotten und den Nordiren, die mit einer deutlichen Mehrheit für den Verbleib in der EU gestimmt haben, wirtschaftlich schaden. In weiterer Folge wird es aber auch schwieriger für hunderttausende Europäerinnen und Europäer, die in England arbeiten oder studieren, oder für BritInnen, die in anderen EU-Ländern leben.

 

Das Triumphgeheul der Rechten, das Triumphgeheul in diesem Fall auch der FPÖ und anderer rechtsextremer Parteien in Europa war zu erwarten. Aber der Zerfall der EU wird zu früh heraufbeschworen. Wenn wir das Positive an dem an sich unerfreulichen Ereignis und Ergebnis betrachten wollen, dann ist das das Ende des Rosinenpickens, es ist das Ende des Extrawürstekochens auf Kosten der anderen, mit dem der konservative Premier Cameron bisher gepunktet hat. Es muss und es wird wohl zu einer engeren Zusammenarbeit jener Staaten kommen, die für ein Mehr an Europa und die für einen Neustart in der EU sind. Aber dieser muss demokratisch, zum Beispiel mit einem neuen Konvent, und sozial nachhaltig sein. Und es geht auch um ein Besinnen auf die europäischen Werte wie Rechtsstaatlichkeit, Gewaltentrennung, Meinungsfreiheit und Solidarität; sie müssen das rein wirtschaftliche Denken ablösen.

 

Dieser Punkt führt aber noch zum zweiten Ereignis dieser Tage, die Auseinandersetzung mit dem Freihandelsabkommen CETA. Am 5. Juli wird die EU-Kommission einen Vorschlag zur Genehmigung von CETA vorlegen, und dann wird auch feststehen, ob es

 

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