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Gemeinderat, 20. Sitzung vom 02.03.2017, Wörtliches Protokoll  -  Seite 20 von 105

 

formulierende Chronikchef der Tageszeitung „Kurier“ in einem heutigen Kommentar meint: „Die Wiener SPÖ hat sich in den vergangenen Monaten nur mit sich selbst beschäftigt. Wenn sie jetzt nicht handelt, wird es ein böses Erwachen geben.“

 

Sollte es dieses böse Erwachen geben, dann hoffe ich, dass es nur für die SPÖ-Wien gilt und nicht für den Unternehmens- und Wettbewerbsstandort Wien. - Danke schön. (Beifall bei der ÖVP.)

 

Vorsitzender GR Mag. Dietbert Kowarik: Für weitere Wortmeldungen bringe ich in Erinnerung, dass sich die Damen und Herren des Gemeinderates nur ein Mal zu Wort melden dürfen und ihre Redezeit mit fünf Minuten begrenzt ist. Als nächste Rednerin hat sich Frau GRin Mag. Meinl-Reisinger zu Wort gemeldet. Ich erteile es ihr.

 

10.53.49

GRin Mag. Beate Meinl-Reisinger, MES (NEOS)|: Danke, Herr Vorsitzender! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte ÖVP!

 

Ich danke für die quasi Auflage dieses Themas. Es war ein bisschen eine Tour de France durch die verschiedensten kommunalpolitischen Bereiche. Das Standortthema ist zweifelsohne ein multifaktorielles, wo man die verschiedensten Aspekte herausgreifen muss, wenn man den Standort und die Standortqualität beleuchten will, und das werde ich tun.

 

Seit Jahren wächst die Wirtschaft in Wien kaum noch, und die Arbeitslosenrate ist mittlerweile auf 13,5 Prozent gestiegen. Das sind natürlich wirklich dramatische Zahlen, und das trifft die Wienerinnen und Wiener in einer ungeheuren Härte und bereitet ihnen große Sorgen um die Zukunft. Wenn man jetzt einen Blick zurück in die Vergangenheit wirft, dann sieht man - und das hat eine Studie diese Woche wieder ergeben -, dass Österreich und gerade auch Wien wie kaum eine andere Stadt vom gemeinsamen Europa, von der Osterweiterung profitiert hat.

 

Der Handel mit Osteuropa, mit osteuropäischen Städten, mit Abnehmern boomte. Viele auch international tätige Unternehmen haben ihre Zentralen, was den osteuropäischen Markt oder sogar noch darüber hinausgehend angeht, in Wien angesiedelt. Wien hat damals durch den Zuzug von Arbeitskräften, durch den Zuzug von Unternehmen nach Wien und durch den Handel mit diesen neuen osteuropäischen Nachbarn massiv profitiert. Das kann man auch an den Zahlen ablesen bei den Ertragsanteilen bei der Kommunalsteuer. Da hatte Wien im Jahre 1986 Einnahmen von 5,54 Milliarden EUR und 2017 von 12,82 Milliarden EUR. Das entspricht einer Steigerung der Einnahmen um 231 Prozent, während die Inflation, die man natürlich da redlicherweise berücksichtigen muss, im selben Zeitraum nur 188 Prozent betragen hat. Sie können also an den Zahlen ablesen, was das für ein Erfolg war und wie sehr auch Wien tatsächlich jahrelang im Geld geschwommen ist, das durch diese Osterweiterung hereingekommen ist.

 

Irgendwann jedoch - und auch das können Sie an den Zahlen nachlesen - wendete sich das Blatt. Die Osteuropa-Zentralen, beispielsweise von IBM, siedeln sich plötzlich lieber in Prag, in Bratislava oder in Warschau an, und viele internationale Unternehmen verlagerten auch den qualifikations- und forschungsintensiven Teil ihrer Wertschöpfungskette in unsere östlichen Nachbarstaaten. Das sieht man am Ende der 1990er Jahre anhand der Daten von österreichischen und deutschen Auslandsinvestitionen in Osteuropa.

 

Man könnte jetzt auch darlegen, was es für Auswirkungen auf das Wiener Budget hatte - das ja 2008 infolge der noch immer nicht beendeten Krise, jedenfalls wenn es nach der Finanzstadträtin Brauner geht, in massive Schuldenturbulenzen geschlittert ist -; aber man muss, glaube ich, sehr klar erkennen, dass es für den Standort Wien von hoher und dramatischer Bedeutung ist, wenn Unternehmen gerade ihren forschungs- und qualifikationsintensiven Teil der Wertschöpfungskette von Wien weg verlegen. Das liegt an klaren Standortnachteilen.

 

Erstens das Thema Bildung: In den 1990er Jahren waren osteuropäische Länder reicher an Bildungskapital als Österreich. Der Akademikeranteil in der Bevölkerung lag in Österreich bei 7 Prozent, in Osteuropa bei 16 Prozent. Da österreichische Firmen keine oder nur relativ teure - dazu komme ich natürlich auch noch - hochqualifizierte Arbeitskräfte am heimischen Markt finden konnten, machten sie Fabriken dann in Polen, Tschechien und der Slowakei auf.

 

Diese Situation haben wir heute noch, meine Damen und Herren. Wenn letzten Sommer Alarm geschlagen wurde von Wiener Unternehmen, von österreichischen Unternehmen, dass es keine Programmierer, nicht ausreichend qualifizierte Programmierer und Programmiererinnen zu finden gibt in Österreich, dann haben wir ein Thema mit der Ausbildung und dann müssen wir hier reagieren. Während wir noch immer in einem Bildungssystem verharren, das ein Stück weit aus der Kaiserzeit ist.

 

Das hat natürlich langfristige Folgen, weil nicht nur dieser Forschungsteil ausgelagert wird, sondern auch innovative Produkte dann nicht mehr in Österreich entstehen und auch dort Märkte entstehen und neues Produktions-Know-how entsteht, das letztlich Wertschöpfung bringt. Das Ergebnis ist, dass das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen in Warschau, Prag und Bratislava heute sogar höher ist als in Wien.

 

Ich nenne Ihnen jetzt noch einen wesentlichen Faktor für den Standortnachteil. Das ist die übergebührliche Belastung durch Steuern, Gebühren und Regulierungen. Unternehmen, Wienerinnen und Wiener, Unternehmer werden geknechtet mit überhohen Lohnnebenkosten, mit überhohen Gebühren, mit nicht adäquatem Infrastrukturausbau und jedenfalls mit immensen bürokratischen Auflagen. Wenn wir in Österreich 21 Tage brauchen, um ein Unternehmen zu gründen, in Tschechien jedoch nur 9 Tage, dann wissen Sie, wo sich Unternehmen ansiedeln werden; und das, liebe ÖVP, ist auch ein Versäumnis der ÖVP-Wirtschaftspolitik auf Bundesebene! - Danke. (Beifall bei den NEOS.)

 

Vorsitzender GR Mag. Dietbert Kowarik: Als Nächster ist Herr GR Peter Kraus zu Wort gemeldet. Ich erteile es ihm.

 

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