Gemeinderat, 1. Sitzung vom 24.11.2020, Wörtliches Protokoll - Seite 40 von 45
darf, wer Schatten und wer Abkühlung hat. Und dann denk‘ ich mir: Na, hoffentlich wird Wien besser.
Hoffentlich wird Wien auch besser im Kampf gegen Armut und im Kampf gegen Arbeitslosigkeit, und genau das ist die Welt, aus der ich komme. Das sind die Menschen, die ich in meine politische Arbeit mitnehme und ich glaube auch, an diesen Menschen müssen wir unsere Politik ausrichten. Das sind die Menschen, für die unsere Politik Standard sein muss. Zum Beispiel Ernestine, eine Alleinerzieherin, die müde ist bis in die Handwurzelknochen, weil sie nie locker lassen kann und weil sie immer fest zupacken muss: Job, Kinder, keine Pause, weil es geht um die Existenz und es geht ums Überleben. Und trotzdem weiß sie jetzt schon, dass es nicht reichen wird, wenn sie alt ist. Oder Karl, verliert mit Mitte 40 seinen Job, weil jemand die Excel-Tabelle mit dem Geburtsdatum in die Hand genommen hat und gesagt hat, den brauchen wir nimmer. Nach zehn Jahren und nach hunderten Bewerbungen, die er geschrieben hat, fängt ihn die Aktion 20.000 auf. Und ich zitiere Karl: „Das war in einer hoffnungslosen Situation, ich fühle mich jetzt wieder frei und sorglos.“ Es war Schwarz-Blau, die die Aktion 20.000 im Bund abgedreht hat, aber das rot-grüne Wien hat sie zum Glück weitergeführt. Nur zur Erinnerung: Es waren die NEOS, die damals die Beendigung im Bund begrüßt haben, weil der Kollege Ornig vorher gesagt hat, die Joboffensive 50plus ist eine super Sache. Geldvernichtung sei das gewesen. Der Karl sieht das ein wenig anders, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Wir müssen immer wollen, dass Wien noch besser wird, vor allem für die, die gerade durch die Pandemie gehörig unter Druck geraten: Menschen mit Existenzsorgen, Menschen, die in Kurzarbeit sind, die ihre Arbeit zu verlieren drohen oder sie schon verloren haben, und vor allem Frauen, von denen haben wir heute noch sehr wenig gehört, die als Systemerhalterinnen seit Wochen und Monaten einen Großteil der unbezahlten Arbeit leisten und die Arbeit als Pflegerinnen, Ärztinnen und Pädagoginnen leisten.
Genau mit diesem Wollen, dass Wien noch besser werden soll für die Menschen, die hier leben, soll auch dieses Regierungsprogramm bewertet werden und dazu drei kurze Punkte.
Erster Punkt: Beginnen wir dort, wo Gutes umgesetzt wird, nämlich da, wo Sie in Ihrem Programm die SDGs, die Sustainable Development Goals, als Leitprinzip verankert haben, wo Community-Nursing-Projekte im Bereich der Pflege umgesetzt werden sollen, wo die Wiener Ausbildungsgarantie für Jugendliche ausgebaut werden soll, wo die Ganztagsschulen vor allem auch in Schulen mit Kindern aus benachteiligten Familien ausgebaut werden sollen. Überall dort werden wir unterstützende und konstruktive Partner für genau diese Vorhaben sein.
Zum zweiten Punkt, nämlich zum Fortschreiben von erfolgreicher grüner Arbeit, möchte ich ein Beispiel herausgreifen: In den vergangenen Jahren haben die Grünen in Wien sich immer wieder für das Thema soziale Sicherheit und für das Thema soziale Gerechtigkeit eingesetzt. Sie haben dafür gearbeitet und gekämpft und haben vieles erreicht, was fortgeführt werden muss. Zum Beispiel profitieren von der besten Kindermindestsicherung in ganz Österreich im Moment in Wien 42.596 Kinder. Ich bin sehr froh, dass dieser Kampf gegen Kinderarmut in dieser Stadt heute auch schon von Bgm Ludwig angesprochen wurde. Darum werden wir einen Antrag einbringen, mit dem wir gleich hier und gleich heute im Gemeinderat klarstellen können, dass wir auch in Zukunft in einer Stadt leben wollen, wo Kinderarmut keine Chance hat.
Damit komme ich zum dritten Punkt, bei dem ein Fortschreiben und ein „weiter wie bisher“ einfach nicht genügen wird. Angesichts der großen Wirtschaftskrise durch Corona, der Arbeitsmarktkrise und einer Klimakrise, die sich angesichts dieser großen Veränderungen, denen die Gesellschaft insgesamt gerade ausgesetzt ist, auch nicht hinten anstellt, kann sich niemand mit einem Fortschreiben ausruhen, weil die Zeit drängt. Und genau an dieser Stelle erkennen wir in diesem Programm Lücken, weil an vielen Stellen das entscheidende Und fehlt, nämlich Klimapolitik und Arbeitsmarktpolitik. Warum nicht die Joboffensive 50plus mit Klimapolitik verbinden und konkrete Jobangebote schaffen? Warum nicht die Kreislaufwirtschaft in den Unternehmungen der Stadt auch für langzeitarbeitslose Menschen und für junge Menschen ausbauen?
Pflege und Arbeitsmarktpolitik: Warum fällt im gesamten Koalitionsabkommen kein Wort zu den Arbeitsbedingungen im Pflegebereich, wo ja besonders viele Frauen arbeiten? Gerade in diesen Zeiten findet man kein Wort zu einer fairen Verteilung von unbezahlter und bezahlter Arbeit und kein Wort zu einer Arbeitszeitverkürzung, die nicht nur Menschen, sondern auch den Arbeitsmarkt entlastet. Es findet sich auch kein Wort zum Thema Digitalisierung und Inklusion. Digitalisierung wird nur funktionieren, wenn wir alle Menschen auch tatsächlich mitnehmen, und dabei geht es nicht nur um Ausstattung, sondern es geht auch darum, dass Menschen ihre digitale Scheu verlieren, und da reden wir sehr oft von analogen Angeboten, die es braucht.
Wir Grüne werden deshalb in den kommenden Jahren laut sein und den vielschichtigen Stimmen der Menschen in Wien in den Bezirken, in den Grätzeln sowie in der Zivilgesellschaft Gehör verschaffen. Das werden wir gemeinsam über die Parteigrenzen hinweg mit unseren Bündnissen und Netzwerken und NGOs tun, die die große Chance eher in einer sozial-ökologischen Transformation als einer sozial-liberalen Wende sehen.
Wenn Rot-Pink nicht über soziale Menschenrechte und Zugänge zu den sozialen Menschenrechten redet: Wir werden es ganz sicher tun. Wenn Rot-Pink auf die in der Krise gerade deutlich überbeanspruchten Frauen vergisst: Wir werden sie nicht vergessen. Wien kann noch besser werden. Wien muss besser werden. Das ist unser Auftrag, genau für diesen haben die Menschen uns gewählt. Bislang sehen wir eher ein Fortschrittsprogramm, bei dem sich niemand wirklich bewegen muss. Aber keine Sorge: Wir werden für diese Bewegung sorgen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich sehr auf konstruktive Auseinandersetzung, auf viel Diskussion
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