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Gemeinderat, 2. Sitzung vom 10.12.2020, Wörtliches Protokoll  -  Seite 39 von 106

 

drängende aktuelle Fragen altbekannte Antworten. Mehr staatliche Ausgaben und damit mehr Regulierung und Abgaben.

 

Alles, was mit Liberalisierung, alles, was mit Deregulierung und Entlastung zu tun hat, findet sich entweder nicht oder wird nicht genauer detailliert. Das wird, denke ich, grundsätzlich den Herausforderungen unserer Zeit nicht gerecht und ist besonders in einer solchen Krise wie der Corona-Krise unzureichend. Ich denke, in einer solch herausfordernden Zeit muss die Politik da und dort von alten bekannten Wegen abweichen und auch die Sache über die Ideologie stellen.

 

Wenn Sie mir den Vergleich erlauben, dann sehen wir das auch in der Politik der Bundesregierung. Die Bundesregierung ist ursprünglich mit dem Ziel angetreten, Budgetdefizite zu vermeiden, die Schuldenquote zu senken und Menschen durch eine ökosoziale Steuerreform zu entlasten. Mit der Ankunft des Coronavirus war das natürlich sehr rasch sehr anders. Statt einem Nulldefizit gibt es Milliarden an Hilfsleistungen, statt einer sinkenden Schuldenquote gibt es Neuverschuldung, Gott sei Dank zu Negativzinsen, und die geplante Entlastung, vor allem für die kleinen und mittleren Einkommen wurde nicht nur vorgezogen, sie wurde auch noch erweitert. Ich glaube, es ist fair, an dieser Stelle zu sagen, dass sich beide Regierungsparteien dabei bewegen mussten, beide Regierungsparteien dabei über ihren ideologischen Schatten springen mussten, dort, wo es die Not der Stunde notwendig gemacht hat.

 

Natürlich war und ist das herausfordernd und bekanntermaßen hat auch die Opposition im Bund, die hier die Regierung stellt, gemeinsam mit den Freiheitlichen keine Gelegenheit zur Pauschalkritik ausgelassen, aber die Ergebnisse sprechen doch für sich. Mittlerweile wurden knapp 27 Milliarden EUR an Hilfs- und Unterstützungsleistungen ausbezahlt und zugesagt, um zuallererst die Arbeitnehmer und Selbstständigen sozial abzusichern. Da möchte ich auch noch etwas zu dem sagen, was Kollege Margulies erwähnt hat: Der mit Abstand größte Brocken der Hilfsleistungen des Bundes sind die Kurzarbeit und der Härtefallfonds, das sind insgesamt 10 Milliarden EUR, der mit Abstand größte Einzelbrocken für die ArbeitnehmerInnen und die Selbstständigen.

 

Die zweite Priorität war und ist, Arbeitsplätze und Unternehmen durch den Umsatzersatz, durch den Fixkostenzuschuss zu retten, und drittens, Investitionsimpulse zu setzen durch die Investitionsprämie, die degressive Abschreibung und vieles anderes. Von all diesen Maßnahmen, von all diesen Mitteln fließen alleine 5 Milliarden EUR nach Wien zu den Menschen, den UnternehmerInnen, den MitarbeiterInnen, die hier leben. Das setzt das, was uns heute Früh präsentiert wurde - bei allem Respekt -, schon in Proportion.

 

Es gibt in der Stadt durchaus pragmatische Ansätze wie den mittlerweile oft zitierten Schnitzelgutschein, obwohl der auch durch seine wohl nicht zufällige Rolle im Wiener Wahlkampf einen etwas schalen Beigeschmack hat. Darüber hinaus findet man wenig Neues: Fortschreibungen bekannter SPÖ-Programme - schon oft erwähnt heute -, das Konjunkturpaket von 600 Millionen EUR, das gut ist, aber auch zur Hälfte vom Bund bezahlt wird, eine Fortführung der Aktion 20.000 auf Gemeindeebene, wiederum vorwiegend im öffentlichen Bereich, und dann einzelne, durchaus kluge und gute Ansätze wie die schon zitierte Unterstützung für Onlineshops, die aber am Ende in ihrer Größenordnung zu klein sind, um wieder Traditionsbetriebe, die wirklich in Not sind, noch retten zu können.

 

Was man darüber hinaus vergeblich sucht, ob man das will oder nicht, ist jegliche Form der Liberalisierung - keine Spur von einer temporären Liberalisierung der Öffnungszeiten. Was man leider ebenso vergeblich sucht, ist jegliche Form der Entlastung - keine Spur von der schon zitierten Abschaffung der Dienstgeberabgabe, der Luftsteuer, der wirklich vollständigen Aussetzung der Ortstaxe und der Schanigartengebühr. All diese Ankündigungen bleiben aus und werden in nicht genauer definierten Arbeitsgruppen verräumt. Diese Arbeitsgruppen wurden heute schon emotional debattiert. Glauben Sie mir, niemand hat etwas gegen Arbeit, niemand hat etwas gegen Gruppen, die gemeinsam arbeiten, aber Sie wissen so gut wie ich, wie die Reaktion von Ihnen und die Reaktion Ihrer Kolleginnen und Kollegen im Bund gewesen wäre, hätte die Bundesregierung eine Arbeitsgruppe zur Entlastung und Arbeitsplatzsicherung gestartet, anstatt entschlossen die Steuerreform vorzuziehen und auch noch auszuweiten. Wir wollen ehrlich gesagt der Häme, die uns dort begegnet wäre, hier gar keinen Platz geben.

 

Zusammenfassend kann man aber schon sagen, dass wir in Sachen Budget und in Sachen Corona-Hilfe hier in der Stadt wohl das gegenteilige Phänomen vom Bund haben: Statt großer Hilfe gibt es kleine Hilfe und statt ideologischer Bewegung auf beiden Seiten gibt es diese nur auf einer Seite. Die SPÖ setzt weiter das um, wofür Sie schon seit Jahren steht. Das sei ihr natürlich unbenommen und damit müssen wir nicht immer einverstanden sein und es ist auch nicht überraschend. Was hingegen schon überraschend ist, ist, dass die NEOS ihre ursprünglich liberale Haltung in Fragen Wirtschaftspolitik in Wien gänzlich aufzugeben scheinen, nicht nur in der Corona-Hilfe, nicht nur im Budget, sondern auch im Regierungsprogramm dieser Stadt.

 

Wir verstehen es alle, Koalition ist Kompromiss, alle von uns kennen das. Ich will auch wirklich nicht urteilen, ich maße mir kein Urteil über die Beweggründe der handelnden Akteure an, ich glaube Ihnen schon, dass Sie das in Wahrheit alles weiterhin anders sehen, in der Sache aber müssen wir klar sein. Es ist ein Unterschied, ob ich einen Kompromiss eingehe oder ob ich meine Grundwerte abändere, indem ich einem Programm zustimme, in dem von Entlastung und Liberalisierung nicht die Rede ist, in dem Begriffe wie Marktwirtschaft, ökosoziale Marktwirtschaft nicht einmal vorkommen, während gleichzeitig hunderte Millionen Euro an Steuergeld weiterhin intransparent in Form von Förderungen vergeben werden und man nicht einmal versucht, die oft zitierte Pensionsreform für Wiener Beamtinnen und Beamte endlich anzugehen.

 

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