Gemeinderat, 2. Sitzung vom 11.12.2020, Wörtliches Protokoll - Seite 32 von 101
Freund eines starken Sozialstaates, einer breit aufgestellten öffentlichen Daseinsvorsorge.
Insofern wird es Sie nicht überraschen, dass ich sozial-liberalen Experimenten wenig abgewinnen kann, vielmehr sind sie ein Schritt zurück zu den Irrwegen des dritten Wegs, zurück zur Idee von Schröder und Blair, den Widerspruch zwischen Wirtschaftsliberalismus und Sozialdemokratie aufzulösen, zurück zu einer Idee, die die Sozialdemokratie und die Länder, die sie damals regiert haben, nachhaltig beschädigt haben. Um es mit einem fälschlicherweise Albert Einstein zugeschriebenen Zitat zu sagen: Die Definition von Wahnsinn ist es, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten.
Ich arbeite seit mehr als zehn Jahren mit wohnungslosen Menschen, die Wohnungs- und Sozialpolitik ist mir also ein besonderes Anliegen. Deshalb freue ich mich auf die Zusammenarbeit mit Ihnen, Frau Vizebürgermeisterin. Von einem bin ich überzeugt, Wohnen ist die zentrale verteilungspolitische Frage der Stadt. Das brauche ich Ihnen, liebe KollegInnen von der Sozialdemokratischen Fraktion nicht zu erklären, das wissen Sie, nur hat man den Eindruck, dass der Umstand, dass Sie das wissen, keinen großen Einfluss auf das Koalitionsabkommen hatte. Keine Frage, es finden sich einige sehr erfreuliche Punkte im Koalitionsabkommen. Die angekündigten Sanierungs- und Begrünungsvorhaben sind aus wohnungs- und klimapolitischer Sicht überfällig, bei der weiteren Ökologisierung der Bauordnung werden Sie die GRÜNEN als PartnerInnen haben, auch eine Flächenwidmungsstrategie, die weiterhin auf das zentrale Instrument der Widmungskategorie „Geförderter Wohnbau“ zurückgreift, hat unsere Unterstützung. Da, wo Sie nachhaltige, neue leistbare Wohnungen schaffen, da, wo Sie das Menschenrecht auf Wohnen sicherstellen, da, wo Sie Klimaschutz forcieren, da haben Sie, sehr geehrte Frau Vizebürgermeisterin, die Grüne Fraktion an Ihrer Seite.
In vielerlei Hinsicht ist das Koalitionsabkommen aber auch enttäuschend. Ich werde mich auf Grund der Kürze der Redezeit heute auf drei Kritikpunkte konzentrieren. Erstens, der MieterInnenschutz ist der Ludwig/Wiederkehr-Koalition offenbar kein Anliegen. Jedenfalls finden sich in Ihrem Koalitionsabkommen auf 212 Seiten kaum irgendwelche Bezugnahmen darauf. „Wir arbeiten in Wien ganz bewusst mit einem Modell, das einen guten Mix aus Mechanismen des freien Marktes und einem fein austarierten Eingreifen des Staates darstellt.“ Mechanismen des freien Marktes, diese Formulierung stammt nicht etwa aus einem Positionspapier des VermieterInnenverbands, sie stammt aus dem Wohnkapitel Ihres Koalitionsabkommens. Wer glaubt, dass der freie Markt leistbares Wohnen schafft, der hat in Wien noch nie versucht, eine freifinanzierte Wohnung zu mieten, die nicht dem Mietrechtsgesetz unterliegt.
MieterInnenschutz - ich sehe auch Georg Niedermühlbichler sitzen - ist eigentlich ein wichtiger Bestandteil sozialdemokratischer Wohnpolitik, weil ein freier Markt das Grundrecht auf Wohnen nicht garantiert, weil ein freier Markt nur die Freiheiten der VermieterInnen garantiert und sonst nichts.
Die Wiener Stadtregierung hat bis vor Kurzem eine klare Position zur Reform des Mietrechts gehabt. Die sozial-liberale Koalition hat keine Position dazu, zumindest ist mir im Koalitionsabkommen keine aufgefallen. Das ist ein Rückschlag für alle, die Druck für eine Reform des Mietrechts machen, und wir wissen, wie schwierig das auf Bundesebene ist. Das haben die KollegInnen von der Sozialdemokratie genauso erlebt, wie das jetzt meine KollegInnen auf Bundesebene erleben müssen. Dieser Rückschlag ist eine Konsequenz des sozial-liberalen Experiments, Arbeiterkammer und Agenda Austria passen eben nicht in einen Punschkrapfen, sehr geehrte Damen und Herren.
Auf die prekäre Lage von MieterInnen, die durch die Corona-Krise ausgelöst wurde, gibt das Koalitionsabkommen keine Antworten. Delogierungsprävention, Wohnungslosenhilfe, das sind Themen, die im Koalitionsabkommen nicht einmal erwähnt werden. Die Justizministerin hat bereits eine allgemeine Verlängerung der Stundungen von Mieten und einen damit verbundenen Delogierungsstopp angekündigt. Wien muss im eigenen Bereich mit gutem Beispiel vorangehen, ich bringe daher mit meinen KollegInnen einen Beschlussantrag ein, in dem wir vorschlagen, dass der Delogierungsstopp bei Wiener Wohnen bis Ende 2022 verlängert wird. Vielleicht, sehr geehrte Damen und Herren, haben Sie auf Delogierungsprävention und Wohnungslosenhilfe im Koalitionsabkommen einfach vergessen. Ich hoffe jedenfalls, dass Sie unserem Antrag zustimmen und damit klarstellen, dass Ihnen der MieterInnenschutz und die Vermeidung von Wohnungslosigkeit nicht egal sind.
Zweitens - und das ärgert mich besonders -, die Privatisierung von städtischem Grund und Boden wird im Koalitionsabkommen nicht ausgeschlossen, nein, der Verkauf von städtischem Grund und Boden wird sogar explizit angekündigt. Auch das ist typisch sozial-liberal, aber deshalb ist es noch lange nicht klug. Die Spekulation mit Grund und Boden ist eines der größten Probleme für leistbaren Wohnraum. Die SPÖ-Alleinregierung hat bis 2010 laufend städtische Immobilien privatisiert, die Etablierung des Prinzips Baurecht statt Verkauf hat dem einen Riegel vorgeschoben. Wir machen das übrigens ähnlich wie die Katholische Kirche, Herr Juraczka, also, so viel zur Verstaatlichung.
Ihr Koalitionsabkommen fällt zurück hinter den Stand von 2010. Wir wollen sicherstellen, dass hier nicht munter Grund und Boden der Stadt privatisiert wird, deshalb stellen wir den Antrag, dass städtische Liegenschaften nicht verkauft werden dürfen. Korrigieren Sie diese Positionierung, sehr geehrte Damen und Herren, und stimmen Sie unserem Antrag zu!
Drittens, dem Neustart des Gemeindebauprogramms im Jahr 2015 folgt eine Vollbremsung im Jahr 2020. Das besonders Absurde daran ist, die Wiener Sozialdemokratie hat diesen Fehler schon einmal gemacht, nämlich im Jahr 2004. 2015 hat Bgm Häupl, auch auf Druck der GRÜNEN, korrigiert und verkündet: „Ich schlage vor, dass wir wieder Gemeindewohnungen bauen.“ - 4.000
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