«  1  »

 

Gemeinderat, 68. Sitzung vom 26.05.2020, Wörtliches Protokoll  -  Seite 52 von 73

 

leicht auch ihre Deutschkenntnisse nicht verstanden haben oder ihr Recht, sich dem Kampf der Pandemie zu widmen.

 

Bei der Gelegenheit muss man sich schon fragen, warum wir bis heute noch Menschen haben, die nach vier Jahren, nach fünf Jahren, nach viereinhalb Jahren, teilweise nach sechs Jahren in der Grundversorgung Asylwerberinnen und -werber sind. Ich bekomme täglich Zuschriften: Liegt eigentlich das Asylverfahren nicht in den Händen des Innenministers? Hätten wir nicht schon längst über das Schicksal dieser Menschen entscheiden können? Diese Menschen sind in der Grundversorgung. Wissen Sie, was es heißt, in der Grundversorgung zu sein? - Das heißt, wenn sie nicht in den großen Wohnheimen wohnen, sondern ausziehen müssen, müssen sie sage und schreibe von 365 EUR im Monat leben. Davon müssen sie ihre Miete zahlen. Sie müssen sich von diesen 365 EUR ernähren. Sie dürfen noch bis zu 110 EUR Zuverdienstgrenze im Monat dazuverdienen. Was für eine Option haben diese Menschen? - Sie können schwarzarbeiten. Das wollen wir alle nicht. Oder sie haben als einzige Möglichkeit, selbstständig zu werden und einen Gewerbeschein zu lösen. (Zwischenrufe.) - Wenn sie aber nicht nach Hause gehen können? Wenn sie aber nicht nach Hause gehen können? Sie wissen, heutzutage kann kein Mensch mehr nach Hause gehen, weil ja die Grenzen gesperrt sind, weil die Fluglinien nicht fliegen, weil keiner jemand durchlässt, unabhängig davon, was dann ihr Schicksal dort wäre. Also diese zynische Bemerkung ist ja wirklich lächerlich! Was haben diese Menschen? - Diese Menschen haben keine Möglichkeit, von Kurzarbeit zu profitieren. Diese Menschen haben keinen AMS-Bezug. Diese Menschen haben nicht die Möglichkeit, irgendeine andere Hilfe anzunehmen. Da müsste man einmal wirklich darüber reden und besprechen, was für eine Option diese Menschen haben - sich dann in eine Scheinselbstständigkeit zu retten, dort zu arbeiten, kein Recht auf Krankenstand zu haben, kein Recht auf Urlaub, kein Recht auf gar nichts. Und dann wundern wir uns nachher, dass da jetzt irgendwelche Infektionen passieren. Reden wir, reden wir darüber!

 

Diese Krise, meine Damen und Herren, birgt schon die Chance für uns alle, über vieles nachzudenken und vieles zu evaluieren und über vieles nachzudenken, was gelöst werden muss. Egal, ob das über unser Sozialsystem wäre, darüber, wie es mit unserem Asylrecht ausschaut, wie es mit unserer Produktion ausschaut. Wie schaut es damit aus, dass man keine Masken in Österreich selber produzieren konnte, dass alle Antibiotika in China produziert werden, dass ein Großteil der Infektionen in Europa auf Grund von schlechten, sozialwidrigen Verhältnissen geschieht, seien es die Schlachthöfe in Deutschland, seien es die Wanderarbeiter in Italien, und so weiter? - Zu dieser Evaluierung und zu dieser Nachdenkpause darüber, was wir aus dieser Krise lernen müssen, gehören eben all diese anderen Dinge auch evaluiert. Wenn wir jetzt über diese ganze Leiharbeiterproblematik nachdenken, dann stellt sich die Frage: Wo ist die Finanzpolizei? Wo ist das AMS? Wo ist die österreichische Krankenkasse? - All diese Leute sind jetzt gefordert, diesen Missständen und dieser Problematik nachzugehen.

 

Diese ganzen Einzelschicksale, die mir alle geschrieben haben, was sie verdienen und wie schlecht es ihnen geht und dass sie, wenn sie einmal krank waren, gleich die Arbeit verloren haben, möchte ich Ihnen alle ersparen. Ich will diesen Menschen jetzt nicht auch noch durch eine Darstellung ihrer miesen Situation ihre letzte Chance nehmen, da sie noch ein halbwegs legales Einkommen haben.

 

Es ist auch sehr interessant - das dürfte der Aufmerksamkeit vieler entgangen sein -, dass der Verwaltungsgerichtshof endlich auch Mitte Mai die Entscheidung herausgegeben hat, dass die bisherige Praxis in Österreich, dass beim AMS und Arbeitsministerium seit Jahren kaum ein Jobzugang für Asylwerberinnen und -werber gewährt wird. Das widerspricht ganz eindeutig einer EU-Richtlinie, die besagt, dass sie nach neun Monaten diesen Zugang haben müssen. Das hat jetzt der oberste Verwaltungsgerichtshof endlich auch auf Grund einer Klage eines Afghanen, der als Lehrling arbeiten wollte und das eben nicht bekommen hat, festgestellt. Wir müssen auch endlich darüber nachdenken, wie schnell wir den Menschen, die seit über fünf, sechs Jahren hier sind, die sozusagen schon eine Verfestigung in Österreich erreicht haben, dieses humanitäre Bleiberecht erteilen. Auch das wird wesentlich zur Lösung der Pandemie und der Problematik der sozialen Spannungen in diesem Land beitragen.

 

Denken wir über all diese Dinge nach und hören wir wirklich auf, in dieser Krise Parteikleingeld zu lukrieren! Hören wir auf damit, Bundesländer und Cluster gegeneinander auszuspielen - Wien ist furchtbar, aber in Ischgl ist alles richtig gemacht worden, die AsylwerberInnen in Wien sind die Gefahrenzone, in Traiskirchen hören wir kein Wort darüber! Hören wir auf damit, sich gegeneinander auszuspielen! Es geht um Menschen! Es geht um das Schicksal der Menschheit, auch wenn es jetzt sehr, sehr dramatisch klingt, aber um das geht es ja! Es geht um unsere Arbeitsplätze, es geht um unser Überleben, es geht um unsere diplomatischen, demokratischen Rechte, um unsere politischen Rechte und Bürgerrechte. Die Herausforderungen sind viel, viel größer als das, was ein Herr Nehammer und eine Frau Raab glauben, jetzt für die ÖVP rausholen zu müssen.

 

Deswegen bringe ich auch den gemeinsamen Beschluss- und Resolutionsantrag von unserem Klubobmann Josef Taucher und David Ellensohn, Jennifer Kickert betreffend die Zusammenarbeit der Stadt Wien mit dem Gesundheitsministerium, eingebracht in der heutigen Sitzung. Der Wiener Gemeinderat spricht dem Gesundheitsministerium, den Gesundheitsbehörden der Stadt Wien und allen an der Bekämpfung der Corona-Pandemie Beteiligten seinen besonderen Dank für diese geleistete hervorragende Arbeit und Zusammenarbeit aus. Sehr wichtig ist aber auch, dass sich der Wiener Gemeinderat bei der Wiener Bevölkerung bedankt, dass die zur Bekämpfung der Pandemie empfohlenen Maßnahmen so diszipliniert eingehalten wurden und damit die Ausbreitung des Virus so gut unter Kontrolle gehalten

 

«  1  »

Verantwortlich für diese Seite:
Stadt Wien | Geschäftsstelle Landtag, Gemeinderat, Landesregierung und Stadtsenat (Magistratsdirektion)
Kontaktformular