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Gemeinderat, 72. Sitzung vom 02.07.2020, Wörtliches Protokoll  -  Seite 17 von 40

 

und der Verbreitung von extremistischen Haltungen.“ Und um nochmal Kenan Güngör zu zitieren: „Man kann sagen, je stärker die Konflikte in den Ursprungsländern sind und desto stärker die Resolidarisierung und Reidentifikation in den Aufnahmegesellschaften sind, umso stärker wird es zu Konflikten kommen können. Es gibt auch eine weltanschauliche Dimension dabei. Auf der einen Seite die liberalen, linken und prokurdischen Gruppen und auf der anderen Seite autoritäre, islamische und faschistoide Gruppen.“ Wenn wir vom Versagen der Integrationspolitik sprechen, wenn der VP-Sicherheitssprecher Karl Mahrer vom Versagen der Integrationspolitik unter VP-Führung spricht, dann eines vorweg: Wien hat fast zwei Millionen EinwohnerInnen, die sich so verhalten, wie ich und wie viele von uns es sich immer wünschten und wie sie selbst auch sein wollen, wie Sie das dann sagen. Aber es wird immer unter den zwei Millionen welche geben, die Straftaten begehen, die leider auch rechtsextremistisch sind, egal, ob sie aus dem Waldviertel, der Türkei oder aus dem 3. Bezirk kommen. Das ist Tatsache, auch wenn ich es mir nicht wünsche. Und egal, ob sie Odin oder Mehmet heißen, es betrifft alle.

 

Viele ExpertInnen versuchen auch, Erklärungen zu finden, warum nun gerade türkischstämmige Jugendliche auf diese rechtsextremen Parolen hereinfallen. Natürlich gibt es immer wieder Probleme. Deswegen braucht es ja auch gute und fortschrittliche Integrationsarbeit. Ich habe es heute schon einmal gesagt, es gibt einen Zusammenhang zwischen der Inklusion im politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben und das Verbreiten von extremistischen Haltungen. Wenn jetzt auch noch als Reaktion auf die Angriffe vom Entzug der Sozialleistungen gesprochen wird, dann wird das sicherlich keinen integrativen Charakter bekommen, im Gegenteil. Die Kluft wird noch größer werden. Fast jede dritte Wienerin, fast jeder dritte Wiener ist von der politischen Partizipation ausgeschlossen. Er oder sie darf nicht wählen beziehungsweise gewählt werden. Glauben Sie wirklich, dass das das Vertrauen dieser Menschen in Demokratie und Rechtsstaat stärkt? Lassen wir doch endlich alle, die hier sind, wählen und geben wir endlich die Chance, mit geringen finanziellen Hürden die Staatsbürgerschaft zu bekommen.

 

Nochmals: Das soll nicht entschuldigen, wenn Vorgänge passieren, sondern wir versuchen heute, hier über Ursachen und über Lösungen zu sprechen und das ist einer der Lösungsansätze. Bei der FPÖ heißt Integration derzeit offensichtlich immer nur ausgrenzen, aussperren, ausweisen. Ich finde, Integration kann nur dann passieren, wenn ab dem ersten Moment die Stadt versucht, den Personen die Möglichkeit zu geben, sich zu integrieren. Und integrieren, ich sagte es schon einmal, ist keine Einbahnstraße. Integration ethnologisch hergeleitet meint, dass Integration eine Herstellung oder Bildung des Ganzen ist, Vervollständigung, Eingliederung in ein größeres Ganzes, aber auch ein Zustand, in dem sich etwas befindet, nachdem es integriert worden ist. Integration ist klarerweise die Teilhabe am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Leben, denn ohne Partizipation ist die Herstellung eines größeren Ganzen nicht vorstellbar. Integration ist daher im Gegensatz zu Desintegration zu denken als ein Zustand, ein Prozess der Spaltung und Auflösung eines Ganzen. Diese Sätze zum Thema Integration kommen nicht von mir, sondern sie sind die Definition der Integrationsministerin Susanne Raab und man sollte sich das einmal anschauen.

 

Integration als Prozess und Struktur betrifft alle gesellschaftlichen Gruppen. Sie sehen, wir reden die ganze Zeit davon, dass Integration nur beidseitig funktionieren kann. Da kommen aber dann Sätze, wie: Die haben sich zu integrieren. Aber diese Sätze werden deswegen nicht richtiger. Wir müssen endlich akzeptieren, dass dieses Österreich ein Staat geworden ist, wo Menschen unterschiedlichster Herkunft mit unterschiedlichsten Bedürfnissen und unterschiedlichsten Erfahrungen und Kulturen miteinander leben müssen, wollen und sollen. In einer vernetzten Welt wie der heutigen werden wir immer auch von den anderen abhängig sein und die anderen auch von uns. Exklusion trennt und Integration, wie sie seit vielen Jahren in der Menschenrechtsstadt mit einer eigenen Magistratsabteilung passiert, versucht, diese Trennung zu beenden. Eine MA 17, die intensivst bemüht ist, auf verschiedensten Ebenen in vielfältigster Art und ebenso im Park oder auf anderen Plätzen, wo Menschen miteinander leben, aktiv aktuell eingehend und diskursiv Integration zu fördern und zu unterstützen. Sie wird allerdings wirklich nur dann eine Chance haben, wenn Integration, wie vorher begrifflich zitiert, endlich von allen von uns verstanden wird als Chance und als gemeinsames Leben. Wenn nicht, wie viele es dokumentieren, bei einer Bewerbung mit dem gleichen Text und Ausbildungsgraden, aber unterschiedlichen Biographien der BewerberInnen, grundsätzlich die Tonis und Fritzis vor den Alis und Fatimas kommen, egal, was versucht wird. Denn dann kann nicht davon gesprochen werden, dass hier Chancengleichheit besteht. Wenn ich immer benachteiligt werde, dann werde ich frustriert sein, werde leichtgläubig anderen TrostspenderInnen folgen, die den angeblich einfacheren Weg suchen. Das sehen wir auch bei nicht-zugewanderten Gruppen. Wenn die immer nur ein Feindbild vor Augen geführt bekommen, das schuld ist, das an allem verantwortlich ist, dann reagieren Menschen so. Wenn Sie nach wie vor Kindern mit Migrationshintergrund nicht die gleichen Bildungschancen geben, die Schere zu akademischer Ausbildung nach wie vor riesig ist, wie alljährlich von Fachleuten festgestellt, glauben Sie dann, dass diese Kinder im System stehen bleiben werden? Das ist strukturelle Benachteiligung!

 

Fangen wir an, die Menschen in der Stadt mitbestimmen zu lassen, die hier leben, ob am Wohnungsmarkt die Ghettoisierung zu verhindern, ob im Bildungsbereich wie vorhin beschrieben den Bildungsgrad zu erhöhen und nicht zu vererben, oder am Arbeitsmarkt, wo Leute mit Migrationshintergrund schlechter bezahlte Arbeiten machen müssen, die viele autochthone Österreicher nicht mehr machen. Das sind Themen, die wir weiter angehen müssen, und nicht Debatten über Abschiebung und Ausgrenzung. Danke.

 

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