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Gemeinderat, 72. Sitzung vom 02.07.2020, Wörtliches Protokoll  -  Seite 27 von 40

 

gesehen, ich war manchmal alleine unten, manchmal habe ich auch einige FPÖ-Kollegen mit dem Virus, unter Anführungszeichen, infizieren können und habe ihnen da einige Dinge gezeigt. Wir haben zum Beispiel auch im Jahr 2012 bei türkischen Parlamentswahlen Wahlbeobachtung gemacht. Wir haben das nicht wie die OSZE-Beobachter gemacht, die sich irgendwo ein schönes Viertel in Istanbul aussuchen, wo man dann nachher gemütlich Kaffee trinken und auf den Bosporus runterschauen kann, sondern wir haben das in einer kurdischen Provinz, in der Gegend um Siverek, in diversen Dörfern gemacht.

 

Was wir dort gesehen haben, können wir uns hier nicht im Geringsten vorstellen. In manchen Wahllokalen steht türkisches Militär mit der angehaltenen Maschinenpistole, mit der scharf geladenen, mit dem Finger am Abzug, damit die Leute dort offen abstimmen, damit sie nicht die Kurdenpartei wählen, sondern brav bei der AKP das Kreuzerl machen. In manchen Wahllokalen kommt es gar nicht dazu, da sagt dann einfach der AKP-Bürgermeister, ihr braucht euch gar nicht anstellen, braucht gar nichts machen, ich fülle es gleich für euch aus. Da ist dann ein AKP-Funktionär, der alle Stimmzettel, die vorhanden sind, gleich für die AKP ausfüllt.

 

Es ist ja verwunderlich, dass die Kurdenpartei trotzdem immer so viele Mandate macht, also das ist wirklich erstaunlich, wenn man die Hintergründe kennt, das ist wirklich sensationell. Also die hätten ja an sich noch viel mehr. Und dieses Kurdistan ist ein besetztes Gebiet, in dem die türkische Staatsmacht das eigene Staatsgebiet als Feindesland betrachtet. Man könnte Kurdistan auch als Kasernistan bezeichnen. Es ist erstaunlich. In einer Stadt wie Tunceli, die ist umgeben von Bergen, man schaut auf Bergspitzen, es ist dort ungefähr so, wie Kinder die Berge zeichnen, lauter Zacken und auf jeder dritten Zacke ist eine kleine Kaserne, man wundert sich, wie das architektonisch geht, manche Kasernen haben nur 3, 4 Leute, die drinnen sind, schwer bewaffnet, aber zirka 10 Prozent der Bevölkerung Kurdistans sind türkisches Militär. Jede kurdische Siedlung, die mehr als 10.000 Einwohner hat, hat automatisch eine türkische Militärstadt angebaut. Die ist Sperrgebiet, da leben nur türkische Soldaten und ihre Angehörigen, die haben ihre eigenen Schulen, ihre eigenen Moscheen, ihre eigenen Einkaufszentren, die haben keinen Kontakt mit der sozusagen terroristischen Bevölkerung. Das ist tagtäglich so.

 

Das Ausmaß an Unterdrückung ist für uns nicht nachvollziehbar. Wenn man das gesehen hat, dann lässt es einen auch nicht kalt, was man hier in Wien sieht. Daher: Volle Solidarität mit den Anliegen der Kurden, und Gott sei Dank war es damals auch unser Stadtrat Herzog, der dann auch ein paar Mal dabei war, der sich das angeschaut hat und vor zirka zehn Jahren initiiert hat, das ist Gott sei Dank im Gemeinderat durchgegangen, dass zwischen Wien und Diyarbakir eine Kulturpartnerschaft geschlossen wurde. Es war dann eine Delegation der Stadt Wien in Diyarbakir, unser Leiter war Ernstl Woller, er ist gerade nicht da, Niki Kunrath war auch dabei - wir drei sind noch die, die politisch aktiv sind, die anderen sind mittlerweile nicht mehr politisch aktiv -, es gab dann auch Veranstaltungen von Diyarbakir hier in Wien, es gab eine Ausstellung im Weltmuseum, es gab Vorträge von Sängern und Musikerinnen und Musikern aus der Stadt. Leider hat sich das dann in der Türkei sehr verschärft. Ich selbst traue mich in die Türkei nicht mehr zu fahren, die Wahrscheinlichkeit, dass ich entweder an der Grenze zurückgewiesen werde, am Flughafen von Istanbul, oder aber bei der Ausreise verhaftet werde, ist ziemlich hoch. Warum, werden sich jetzt viele fragen, erst bei der Ausreise? - Das ist auch ein perfides, neues Detail des Erdogan Regimes. Früher hat man Leute, die man verhaften wollte und die ins Land gekommen sind, gleich bei der Einreise verhaftet.

 

Mittlerweile macht man es anders, man schaut, wenn das zum Beispiel Kurden sind, kurdischstämmige Österreicher, die zum Beispiel vier Wochen Heimaturlaub machen, dann schaut man, mit wem haben die vier Wochen lang Kontakt. Das heißt, mit der Einreise, wenn er seinen Pass herzeigt und der über den Computer gezogen wird, schrillt quasi eine Alarmglocke und die betreffende Person wird dann für den gesamten Aufenthalt von 0 bis 24 Uhr beschattet. Das habe ich auch schon erlebt, das haben uns die Hoteliers teilweise erzählt: Heute um 2 Uhr in der Früh war der Geheimdienstmann da, hat eure Pässe kopiert und so. Also, das kennen wir alles. In dem Moment, da schauen sie schon, wen man vielleicht noch einnähen kann, und in dem Moment, wo man ausreisen will, wird man dann verhaftet.

 

Also wie gesagt, ich trau mich nicht mehr runter, viele kurdischstämmige Österreicher sitzen auch unten in Haft, das darf man nicht vergessen. Der kurdische Bäcker ums Eck, dort, wo ich wohne, der sitzt auch in Haft, nur vieles ist halt hier in der Öffentlichkeit gar nicht bekannt, daher möchte ich jetzt einen Antrag stellen. Wir haben ja diese Kulturpartnerschaft abgeschlossen. Nicht zuletzt dadurch, dass 2016 Erdogan das Stadtzentrum von Diyarbakir mit Artillerie hat beschießen lassen - auch eines dieser Verbrechen, die ihn eigentlich mehr nach Den Haag befördern sollten, als in Ankara belassen, ich sage das in aller Offenheit und in aller Klarheit -, sollten wir als Stadt Wien versuchen, diese Kulturpartnerschaft, die ja nach wie vor aufrecht ist, wieder mit Leben zu erfüllen und konkrete Maßnahmen dafür zu setzen. - Das ist der erste Antrag, den ich einbringe und den ich auch gleich übergebe.

 

Jetzt komme ich noch zum zweiten Teil. Wie gesagt, mir geht das, was hier passiert, nahe, auch die Demonstrationen. Ich mag die türkische Kultur, ich mag die Türkei an sich, ich bin solidarisch mit den Kurden, aber - und jetzt komme ich zum politischen Teil, warum wir heute auch einen Misstrauensantrag gegen die Frau Vizebürgermeisterin einbringen - es hat alles seine Grenzen. Ich habe in den letzten zehn Jahren, ich gebe es offen zu, es ist auch keine Schande, an der einen oder anderen kurdischen Demo teilgenommen. Das letzte Mal, an das ich mich erinnern kann, war am Vorplatz vom MuseumsQuartier. Wenn so eine Demo angesagt ist, ich das mitbekomme und Zeit habe, dass ich da teilnehmen kann, dann schaue ich mir aber schon an, wer das macht, was gefordert wird und wer dort ist, also das Ernst-

 

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