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Gemeinderat, 9. Sitzung vom 28.04.2021, Wörtliches Protokoll  -  Seite 97 von 114

 

Aufgaben in verantwortungsvoller Art und Weise nachgehen können.

 

Eine Schieflage besteht aber nicht nur bei den Rahmenbedingungen innerhalb der MA 35, sondern auch bei den grundsätzlichen Diskussionen über die MA 35. Wir müssen wegkommen von einem Diskurs des Schürens von Ängsten, indem als erster Schritt vom Herrn Vizebürgermeister als neuem politisch verantwortlichem Stadtrat eine Security aufgebaut werden sollte und das als Erstes eingebracht worden ist und nicht, wie man mit MitarbeiterInnen und KundInnen gemeinsam umgehen könnte. Nein, plötzlich war der Kunde oder die Kundin mit einer Security zu schützen, die extra im ersten Gemeinderatsausschuss der neuen Legislaturperiode vom Herrn Vizebürgermeister eingebracht wurde. Die Menschen also, die in die MA 35 kommen, stellen ein Sicherheitsrisiko für den Herrn Stadtrat dar, deswegen muss man eine solche Security schaffen. Dieses Denken finde ich schlichtweg falsch und gefährlich. Menschen, die bei der MA 35 Anträge stellen, wollen sich im Gegenteil in Österreich ein Leben aufbauen oder haben schon eines aufgebaut, sie setzen all ihre Hoffnungen und Zukunftspläne in die Behörde. Da geht es um nichts Geringeres als die Existenz Einzelner und der Familien zum Wohl Wiens, zum Wohl Österreichs und um unser aller Leben. Das bedeutet eine extrem stresshafte Situation in vielen Fällen, und paart sich das nun mit langen Wartezeiten, überlangen Verfahren, Sprachbarrieren und Überforderungen seitens der MitarbeiterInnen, dann steigt der Frust. Die MitarbeiterInnen kommen nicht nach mit der Bearbeitung der Antragstellung und zu einer raschen Beantwortung ihrer Anträge.

 

Nachdem unser Prüfungsersuchen an den Stadtrechnungshof öffentlich gemacht wurde, hat es zusätzlich sehr viele Einzelrückmeldungen aus der Bevölkerung an uns gegeben. Man glaubt nicht, wie viele Menschen dazu schreiben und uns erklären, welche Probleme bestehen. Natürlich, wenn 150.000 Fälle vorkommen, sind 1.500 Einzelfälle - und das ist ungefähr eine Schätzung, die derzeit läuft -, Familien, die bewusst oder unbewusst zumindest verlängert wurden und Fehlverhalten der Behörde angeben, tatsächlich zu viel.

 

Ich möchte es an einem Beispiel bringen: Eine Kundin bekam den Text: Wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, dass über Ihren Antrag auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels positiv entschieden wurde. Sie können Ihre Aufenthaltskarte am Soundsovielten abholen. - Erstens frage ich mich, warum die MA 35 den oberen Satz überhaupt aussendet, denn das ist nicht wahr, dieser Aufenthaltstitel ist nicht ab dem Moment des Ausschickens positiv, sondern bei der Übergabe. Das ist aber eine rechtliche Streiterei, die wir uns anschauen können. Diese rechtliche Streiterei kann aber zu Nachteilen führen, nämlich wenn der Abholtermin zwei Tage nach der Frist des Aufenthaltes abgegeben wird, zwei Tage danach. Die Antragstellerin hat natürlich geglaubt, es ist trotzdem alles in Ordnung, ist hingegangen, die Behörde sagt: Nein, das geht nicht mehr, Sie bekommen jetzt keine Aufenthaltsbewilligung mit, die Erteilungsvoraussetzungen sind nicht mehr legal, weil Sie nämlich zwei Tage zu spät sind. Dabei war der Person ausdrücklich dieser Termin von Seiten der MA 35 gegeben worden. Natürlich kann es ein Einzelfall sein, natürlich ist es ein bitterer Einzelfall für diese Einzelperson, aber es ist Ihre Aufgabe als Stadtrat und als MA 35, darauf zu achten, dass Menschen nicht so behandelt werden.

 

Denn was sind die Folgen? - Die Folgen wissen Sie und ich ganz genau. Die Antragstellerin kann bestraft werden, die Antragstellerin ist wegen unrechtmäßigen Aufenthaltes gemäß § 120 Fremdenpolizeigesetz plötzlich hier nicht mehr legalen Aufenthaltes, sondern unrechtsmäßigen Aufenthaltes. Wenn sie dann in fünf, sechs, sieben Jahren die Staatsbürgerschaft haben möchte, kriegt sie diese nicht mehr, weil sie nämlich dann wegen einer Phase von zwei Tagen, die die Behörde verschuldet hat, keine Staatsbürgerschaft bekommt. Sie wird bestraft, sie hat möglicherweise ein Einreiseverbot - Sie kennen das, Sie wissen ganz genau, wie das läuft - wegen eines Fehlverhaltens der MA 35 und nicht, weil sie etwas falsch gemacht hat. - Diese Dinge gehören geändert!

 

Ich bringe noch ein zweites Beispiel: Zu mir kommen immer mehr Leute - ich habe das heute auch schon dem Herrn Abteilungsleiter gesagt -, die sagen, dass plötzlich überprüft wird, ob es eine Scheinehe gibt. Scheinehe heißt im Jargon, dass Personen nicht tatsächlich verheiratet sind, sondern nur auf dem Rechtspapier verheiratet sind. Und es würde sogar im Badezimmer nachgeschaut werden, ob es tatsächlich zwei Zahnbürsten gibt. Das letzte Mal, als ich das erlebt habe, war unter Manfred Matzka in den Neunzigern und nicht heute. Wie kann denn so etwas sein? Das passiert, also da fehlen einem wirklich die Worte und ich kann nur mehr den Kopf über das, was wir hier erfahren, schütteln.

 

Zum Abschluss, bevor ich einen Antrag hier einbringe, bringe ich noch ein weiteres Beispiel, weil es wirklich bedauerlich ist, wie wenig man sich offensichtlich von Seiten der Zuständigen darum kümmert. Es geht um Frist und Unterlagenanforderung: Eine Österreicherin lernt einen Drittstaatsangehörigen im Urlaub kennen, mehrere Jahre Fernbeziehung, dann wird geheiratet. Die Österreicherin, nennen wir sie W. möchte mit Herrn W. in Wien leben. Grundsätzlich hat die Behörde eine Frist von sechs Monaten, um über Anträge zu entscheiden. Einen Monat vor Fristende - einen Monat vor Fristende! - wurden von Seiten der Behörde plötzlich neue Unterlagen zum Nachweis der Erfüllung der Voraussetzung gemäß Niederlassungs- und Aufenthaltsrecht angefordert - einen Monat! Ich frage mich: Was hat man dort die anderen fünf Monate gemacht?

 

Einer der Gründe war zum Beispiel ausreichender Unterhalt. Niemand sagt, wir haben vor fünf Monaten, als Sie es eingebracht haben, noch nicht gewusst, wie viel Sie verdienen, sondern nach fünf Monaten wird das erstmals gesagt. Offensichtlich will die Behörde aber in Wirklichkeit dabei verhindern, dass sie untätig erscheint und Säumnisbeschwerde erhoben wird. Die Unterlagen werden nachgereicht. Von Seiten der Behörde werden weitere drei Monate benötigt, obwohl die das ausdrücklich gesagt haben. Was ist aber inzwischen passiert? -

 

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