«  1  »

 

Gemeinderat, 10. Sitzung vom 27.05.2021, Wörtliches Protokoll  -  Seite 50 von 97

 

brauchen sie, die Istanbul-Konvention, weil sie tatsächlich ohne Übertreibung ein Dokument ist, das einen Durchbruch in puncto Gewaltschutz für Frauen und Mädchen bedeutet. Wir brauchen sie, weil vor allen Dingen, wenn sie konsequent umgesetzt wird, sie tatsächlich in der Lage ist, Menschenleben zu retten. Statistisch gesehen werden tagtäglich 137 Frauen irgendwo auf dieser Erde ermordet, erschossen, erstochen, erstickt, bei lebendigem Leibe angezündet, erwürgt oder totgeprügelt vom Ehemann, vom Lebensgefährten oder vom Ex-Partner.

 

Wir brauchen die Istanbul-Konvention, weil Frauenverachtung und die Unfähigkeit, die eigene Männlichkeit zu hinterfragen, und die Überzeugung und die immer noch so oft vorhandene Überzeugung, Männer wären Frauen übergeordnet, noch immer viel zu präsent sind. Wir brauchen sie, weil Frauen viel zu oft zum Objekt, zum Besitztum gemacht werden, von dem wie selbstverständlich angenommen wird, dass sie im Vergleich zum Mann minderwertig sind, dass sie jemandem gehören und dass sie sich unterzuordnen haben. Und wehe, die Frau emanzipiert sich, lässt sich nicht mehr unterkriegen, macht einen Schlussstrich, dann ist viel zu oft die Antwort Gewalt und im schlimmsten Fall sogar Mord.

 

Wir brauchen die Istanbul-Konvention, denn Staaten, die die Ratifizierung verzögern, und das sind auch in der Europäischen Union viel zu viele, wie auch meine Recherche leider gezeigt hat, was ich im Übrigen, gelinde gesagt, für eine riesengroße Schande erachte, oder Staaten, die vom Vertrag zurücktreten oder zumindest laut darüber nachdenken, gerade paradoxerweise auch zeigen, welche Bedeutung und welche Gewichtung dieses Dokument hat. Wir brauchen sie und anerkennen sie durch unseren gemeinsamen Antrag in diesem Monat, in dem sie ihr zehnjähriges Jubiläum feiert, weil ganz klar ist, dass ein Europa, in dem Frauenrechte kleingeredet, weggewischt, für unnütz oder überholt betrachtet werden, ein Europa ist, das nicht zur Verhandlung steht.

 

Danke zu guter Letzt an alle Fraktionen, die diesen Antrag mittragen, für das ja fast alle sind und auch für dieses gemeinsame Bekenntnis, und ich glaube, da waren wir uns wirklich auch alle einig, das weitaus wichtiger ist als irgendein parteipolitisches Kalkül. Deshalb ein herzliches Dankeschön!

 

Vorsitzende GRin Dr. Jennifer Kickert: Als Nächste zum Wort gemeldet ist GRin Matiasek, ich erteile es ihr.

 

14.15.20

GRin Veronika Matiasek (FPÖ)|: Sehr geehrte Frau Vorsitzende! Sehr geehrte Damen und Herren!

 

Wir sind diesem Antrag, wie ja ersichtlich ist, nicht beigetreten und wir werden ihm auch nicht zustimmen, und ich erkläre auch gerne, warum. Für uns steht es außer Frage, dass Gewalt, an wem auch immer, aber selbstverständlich vor allem Gewalt an den Schwächeren, und hier muss man zu den Frauen auch sehr oft die Kinder dazuzählen, überhaupt keinen Platz in unserer Gesellschaft hat. Wir wenden uns auch in keinster Weise gegen diese Istanbul-Konvention und könnten in weiten Teilen, wenn es bei der Begründung geblieben wäre, diesem Antrag durchaus zustimmen. Nur wenn man den Antrag selbst liest, stellen Sie als Maßnahmen ins Zentrum, schwerpunktmäßig das Überwinden der Geschlechterrollen und die Geschlechterzuschreibung zu hinterfragen und aufzulösen, vergessen aber völlig auf Maßnahmen, die wirklich im Gewaltschutz wichtig sind und eine ganz entscheidende Rolle spielen. Man kann das nicht auf das eine reduzieren. Man kann auch hier das wirklich schlimme Thema der Gewalt an Frauen nicht dazu benützen, um die schon lange gewünschte Genderpolitik zu betreiben, sondern ich glaube, man muss das sehr genau ansehen und muss auch schauen, wo tatsächlich die Gründe, und da ist ja schon vieles auch erfasst worden, für diese Gewalttaten liegen und wie sie zu verhindern sind.

 

Und da blenden Sie eines vollkommen aus, wo wir in Österreich wirklich ein Problemfeld haben, und das ist bei der Gerichtsbarkeit zu suchen. Frauen wenden sich oder die Polizei zeigt an, wenn es zum ersten Übergriff gekommen ist, und die Frauen werden schikaniert in ihren Aussagen, bis viele wieder zurückziehen, und es kommt zum zweiten und zum dritten und vielleicht zum letzten Übergriff. Das würde hier hineinpassen oder unbedingt hineingehören sowie weiters die in ihrem Begründungstext ja vollkommen klaren Darstellungen der sozioökonomischen Situation vieler Frauen, die zu Gewalt führen. Hier sehe ich im Antrag überhaupt keine Maßnahme. Sie gehen auf die Covid-Situation ein: Beengte Wohnverhältnisse, Armut, Ausgangssperren, fehlende Rückzugsmöglichkeiten. Das passt ja sehr gut in das Umfeld, in das finanzielle und ökonomische und soziale Umfeld hinein. Das wird im Antrag in keiner Weise erwähnt.

 

Ich möchte dazu sagen, wir sind grundsätzlich niemals gegen konkrete Maßnahmen, wenn es um Gewaltschutz geht. Das heißt, ob es jetzt um die Einrichtungen zum Gewaltschutz geht, ob es um Maßnahmen geht zur Bewusstseinsbildung oder um Kampagnen, wo man eben auf die Gewaltschutzzentren hinweist, es um Informationskampagnen geht, da sind wir nie dagegen. Aber dieser Antrag ist ein bissel „Ich will und ich kann nicht.“ Man fokussiert sich eigentlich nur auf die Bewusstseinsbildung, und die praktischen Dinge des Lebens, die ja oft viel entscheidender sind, dass es zu diesen gewalttätigen Übergriffen kommt, blendet man vollkommen aus.

 

Und, Frau Kollegin Spielmann, wenn es Sie wirklich wundert, dass die Türkei hier ausgestiegen ist, uns wundert das eigentlich nicht. Schon durch viele Jahre ist ja diese Haltung festzustellen. Und letztlich müssen wir das leider auch hier bei uns in Wien feststellen, dass eine Haltung hereingetragen wird, ein Wertekodex, wo der kleine Bruder die große Schwester kontrollieren und maßregeln darf.

 

Und das ist nicht unser Wertekodex. Ich glaube, es ist schon auch wichtig, festzustellen, dass es in Europa doch einen breiten Konsens gibt, was die Werthaltung betrifft, dass Mann und Frau völlig gleichgestellt sind. Unser Rechtssystem und auch unsere Verfassung sagen das ja auch ganz klar und deutlich. Was nicht eingehalten wird, das ist eine andere Frage. Aber wir haben einen Großteil der Haltung an dem, wie Sie sagen, män

 

«  1  »

Verantwortlich für diese Seite:
Stadt Wien | Geschäftsstelle Landtag, Gemeinderat, Landesregierung und Stadtsenat (Magistratsdirektion)
Kontaktformular