Gemeinderat, 13. Sitzung vom 22.09.2021, Wörtliches Protokoll - Seite 79 von 118
verfolgten Menschen Schutz und Hilfe zu gewähren. Dies muss ein gesamteuropäisches Anliegen sein.“ Wenn das, liebe ÖVP, euer Grundsatz ist, wie kommt es dann, dass es mitunter an Österreich, vor allem auch an Österreich scheitert, wenn es um eine gesamteuropäische Lösung geht? Denn Sie werden mir sicher recht geben, ein Anliegen erfordert meistens oder erwartet meistens eine Lösung, gemeinsame Lösungen wie ein humanitäres Aufnahmeprogramm der EU, das eine kontrollierte Aufnahme, nicht eine planlose Aufnahme, nicht irgendeine Aufnahme, eine kontrollierte Aufnahme und vor allem auch eine faire Verteilung von Flüchtlingen sicherstellen würde. Ein humanitäres Aufnahmeprogramm, das gerade auch legale Fluchtwege sicherstellen würde, über die kontrolliert schutzbedürftigste Menschen - weil sie gestern auch bei Ihrer Pressekonferenz gesagt haben, planlos. Gerade bei legalen Fluchtwegen wie Resettlement wäre es möglich, kontrolliert schutzbedürftigste Menschen aufzunehmen, was im Übrigen auch das effizienteste Mittel wäre zur Schlepperbekämpfung.
Und gerade wenn Sie sagen, dass sich 2015 nicht wiederholen darf, dann müssten ja gerade Sie diejenigen sein, die für gesamteuropäische Lösungen eintreten und für diese plädieren, damit eine Flüchtlingsaufnahme nicht irgendwie stattfindet, man nicht irgendwen aufnimmt, sondern dass diese kontrolliert erfolgt, dass sie fair, vor allen Dingen auch für Österreich fair abläuft.
Aber kommen wir zur 2. Stelle, Seite 16 des Grundsatzprogrammes der Neuen Volkspartei: „Wir sind offen für alle Menschen, die sich auf Basis christlicher oder anderer Wertequellen zu unserem Menschenbild und unseren Werten bekennen. Es kommt nicht darauf an, woher jemand kommt, sondern darauf, wofür ein Mensch eintritt oder arbeitet.“ Wenn das, liebe ÖVP, euer Grundsatz ist, wie kommt es dann, dass Sie sogar die Aufnahme von jenen Menschen ablehnen, die westlich orientiert sind, die leicht integrierbar wären, die in den letzten Jahren Seite an Seite für und mit westlichen Staaten gearbeitet haben, die in den letzten Jahren Tag für Tag ihr Leben dafür riskiert haben, die für Freiheit, für Demokratie und für Menschenrechte eingestanden sind und gerade jetzt, gerade jetzt genau deshalb in extremer Gefahr sind, dass sie genau diese Menschen, auch diese Menschen ablehnen? Denn Ihrem Grundsatzprogramm nach hier ist es ja ganz egal, woher jemand kommt, sondern worum es geht, ist, wofür ein Mensch eintritt und wofür ein Mensch arbeitet.
Stelle 3 Seite 12 unter dem Kapitel Solidarität des Grundsatzprogrammes der neuen Volkspartei: „Der Wert der Solidarität fußt auf dem Wissen um unsere gegenseitige Abhängigkeit als Menschen und findet im christlichen Grundsatz der Nächstenliebe seinen besonderen Ausdruck.“ Wenn das, liebe ÖVP, euer Grundsatz ist, wie verträgt sich eure Position, all das, was ihr hier heute gesagt habt, mit diesem christlichen Grundsatz der Nächstenliebe, besonders verfolgte, besonders vulnerable Menschen nicht zu retten? Ein Kreuz im Büro an der Wand aufzuhängen, an der Fronleichnamsprozession teilzunehmen, oder wie es unlängst der ÖVP-Parlamentsklub gemacht hat, nämlich eine Pilgerfahrt nach Mariazell zu veranstalten, ich glaube, da geben Sie mir sicher recht, das ist doch ganz sicherlich nicht das Leben von einer christlichen Nächstenliebe.
Und ja, ich weiß schon, jetzt käme das Stichwort, das berühmt-berüchtigte Stichwort „Hilfe vor Ort“. Aber mit Blick auf die Bundesregierung wäre bei der „Hilfe vor Ort“ vor allen Dingen ein Adjektiv noch hinzuzufügen, das mir wichtig wäre, und das ist die professionelle Hilfe vor Ort. Denn wie mein Kollege Weber bereits ausgeführt hat, solange ein Minister Schallenberg vermeintlich großzügig verlautbart, man habe ja eh 400, ganze 400 Zelte für obdachlose Kinder gespendet, die in Moria im Schlamm und im Dreck schlafen unter freiem Himmel, aber dann nachträglich eigentlich draufkommt, dass tatsächlich nur 25 angekommen sind, dann nützt es auch nichts für die Hilfe vor Ort, wenn als Ausrede die griechische Regierung herhalten muss, denn ich zitiere: „Die entscheidet ja über den Einsatz der Zelte.“ Das, meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist einer professionellen Hilfe vor Ort nicht würdig!
Und was einer professionellen Hilfe vor Ort, vor allen Dingen für ein Land wie Österreich auch nicht würdig ist, wurde auch schon von meinem Kollegen Weber erwähnt, das ist die Tatsache, dass Österreich gerade einmal 0,29 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Entwicklungshilfe aufwendet. Das Ziel der Vereinten Nationen aus dem Jahr 1970 wäre für Staaten mit einem hohen Pro-Kopf-Einkommen 0,7 Prozent. Das ist beschämend, das ist aus zwei Gründen beschämend: Man verfehlt das Ziel nicht einmal knapp, sondern komplett! Und Sie stellen sich hier her und reden tatsächlich etwas von Hilfe vor Ort? Und zweitens … (Zwischenruf.) - Ja, machen Sie es besser, ja, das ist leicht gesagt von jemandem, der es selbst nicht hinkriegt. - Und zweitens liegen wir damit weit unter dem EU-Durchschnitt. Länder wie die Slowakei, Tschechien, Slowenien, ja, selbst Ungarn liegen vor Österreich! Da könnten Sie sich mal was von Ungarn abschneiden, wenn Sie das unbedingt wollen!
Sie haben ja gestern verlautbart, ich zitiere: „Anstatt planlos Menschen aufzunehmen,“ - Klammer auf: Mein eigenes Zitat, ich habe Ihnen jetzt gerade erklärt, warum es gerade kontrolliert wichtig wäre. Klammer zu - „muss mehr vor Ort investiert werden.“ Ja eh. Dann schlage ich Ihnen Folgendes vor: Dann nehmen Sie Ihre Bundespartei an der Hand und tun genau dieses! Aber zeigen Sie nicht mit dem Finger auf andere, bevor Sie nicht selbst Ihre Hausaufgaben erledigt haben!
Ich habe Ihnen jetzt diese Fragen gestellt, weil ich wirklich sehr neugierig bin, weil ja die christliche Soziallehre dann doch irgendwo zumindest in diesem Grundsatzprogramm auftaucht, zumindest vermeintlich. Ich hab‘ das jetzt wirklich auch ausgedruckt und würde Ihnen gerne, Herr Klubobmann, wenn Sie mir noch zuhören, dieses Grundsatzprogramm überreichen, nämlich stellvertretend für den gesamten ÖVP-Klub, weil mir ein bissel dünkt oder scheint, Sie haben schon etwas länger nicht mehr hineingeschaut und vielleicht wäre das ja ganz ratsam. Ich sag‘ es nur offen und ehrlich: Wenn Sie es nicht tun, dann sind all Ihre Grundsätze, die hier auf
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