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Gemeinderat, 20. Sitzung vom 23.02.2022, Wörtliches Protokoll  -  Seite 96 von 128

 

Das Virus hat alle - Politiker, Fachleute, die gesamte Bevölkerung, ja, den gesamten Globus - mehrfach getäuscht, wenn man geglaubt oder zumindest gehofft hat, dass es bereits überwunden wäre. Niemand kann heute sagen - der Juraczka schon gar nicht, aber auch die Fachleute geben zu, dass sie es nicht können -, wie es im kommenden Herbst aussehen wird. Wird es neue Mutationen geben? Wie gefährlich sind die? Wie hält die Immunisierung in der Bevölkerung, und vieles mehr?

 

Wir alle wissen aber auch: Dieses Virus hat sich in den letzten Monaten geändert. Und wir wissen alle auch, Kollege Gremel hat es zuvor in seiner Wortmeldung angesprochen, dass wir natürlich sehr viele haben, deren Psyche angegriffen ist. Wir alle erleben, nicht nur in der Politik, diese latente Aggression, die sich irgendwie auf den Bodensatz des Alltags gelegt hat.

 

Auf Basis dieser Entwicklung hat die Bundesregierung für 19. Februar, also den letzten Samstag, aber noch wesentlicher für den 15. März, gemeinsam mit den Experten Öffnungsschritte erarbeitet. Ich möchte jetzt niemandem unterstellen, dass man mutwillig mit der Pandemie Politik macht. Ich stelle nur fest, dass die Stadtregierung als einziges Bundesland einen anderen Weg geht. Das ist letztendlich auch das gute Recht des Herrn Bürgermeisters, er trägt die Letztverantwortung in dieser Stadt.

 

Ich bin nur der absoluten Meinung, wenn man Unternehmen, die so leidgeprüft sind in den letzten zwei Jahren - die Gastronomie, den Handel -, aber nicht nur die Unternehmer und die Unternehmen selbst, sondern beispielsweise auch die Handelsangestellten jetzt im Vergleich zum restlichen Land schlechter stellt, dann muss man ihnen auch besonders beistehen.

 

Wir bringen daher einen Antrag ein, dass der Wiener Gemeinderat die Wiener Stadtregierung auffordert, parallel zu den strengeren Maßnahmen ein individuelles Entlastungspaket für die betroffenen Branchen zu schnüren, meine sehr geehrten Damen und Herren.

 

Lassen Sie mich aber noch etwas anmerken, und ich freue mich, dass der Herr Stadtrat jetzt auch der Sitzung beiwohnt: Wenn ich in Zeitungsinterviews lese, wurscht, wie viele sterben, ich ziehe mein Ding durch, so agiert die Regierung, wir in Wien machen das anders, dann halte ich das, mit Verlaub, für eine Ungeheuerlichkeit. Denn dann unterstellen Sie, werter Herr Stadtrat, dem Kanzler, nein, der gesamten Bundesregierung, dem gesamten Expertengremium von GECKO, zu guter Letzt auch acht Landeshauptleuten, inklusive den Sozialdemokraten Kaiser und Doskozil, ich zitiere: „Wurscht, wie viele sterben, wir ziehen unser Ding durch.“

 

Meine Damen und Herren, wenn man Wertschätzung und Respekt erwartet, und ich habe in vielen Gesprächen mit Sozialdemokraten in den letzten Wochen und Monaten immer wieder von beiden Seiten den Wunsch gesehen, vielleicht wieder ein besseres Gesprächsklima aufzunehmen, dann tut man gut daran, auch einen gewissen Grundrespekt einzubringen, meine Damen und Herren.

 

Lassen Sie mich eines sagen: Weder die Wiener Volkspartei noch die Bundes-ÖVP sind der Watschenbaum weder für die Wiener Stadtregierung noch für einzelne Mitglieder dieser Stadtregierung. Wir erwarten uns gerade bei der Pandemie, dass wir zumindest einen Grundrespekt und den Glauben daran in uns tragen, dass der andere die Opfer nicht instrumentalisiert.

 

Meine Damen und Herren, dieser Beschlussantrag hat aber neben der Entlastung der leidgeprüften Branchen der Wiener Wirtschaft auch noch eine weitere Funktion. Ich muss ganz offen gestehen, ich kenne mich beim kleinen Koalitionspartner in Wien, den NEOS nicht aus. In Wien trägt man die Entscheidungen von Bgm Ludwig und StR Hacker mit. Das ist durchaus legitim und ihr gutes Recht. Auf Bundesebene agiert man aber ganz anders.

 

Dort sagt Nationalratsabgeordneter Loacker, und ich zitiere wortwörtlich: „Das Ziel aller Einschränkungen war immer, dass wir unser Gesundheitssystem nicht überlasten. Das ist gelungen. Die Impfung hat verhindert, dass Omikron die Intensivstationen ge- und überfüllt hat. Es ist also längst überfällig, dass die massiven Einschränkungen unseres täglichen Lebens zurückgenommen werden. Unsere Freiheit ist ein Grundrecht und kein Geschenk der Regierung.“ So Loacker wörtlich.

 

Ich muss ganz offen sagen, in vielem kann ich Kollegen Loacker zustimmen. Die einzige Ausnahme: Ich glaube nicht, dass die Schritte überfällig waren, ich glaube, dass sie zu einem ganz guten Zeitpunkt gekommen sind, aber völlig unabhängig davon, liebe Kollegen von den NEOS, auf gut Wienerisch: Wie jetzt? - Sie können nicht Hü und Hott gleichzeitig sagen.

 

Bitte erklären Sie uns, wie Sie die Öffnungsschritte im Sinne der Wiener Wirtschaft, im Sinne der Wiener Gastronomie, im Sinne der Wiener Hotellerie sehen: Notwendig, dass es zu bleibt oder, frei nach Loacker, längst überfällig, dass geöffnet wird? Man kann sich nur nicht einfach wegducken, gerade wenn man Regierungsverantwortung hat.

 

In diesem Sinne, im Sinne der politischen Hygiene einerseits und im Sinne der politischen Transparenz andererseits, ist es mir eine wirkliche Freude, diesen Resolutionsantrag einzubringen. Vielen herzlichen Dank.

 

Vorsitzende GRin Dr. Jennifer Kickert: Danke für die Desinfektion. Als Nächster zu Wort gemeldet ist GR Florianschütz. Bitte.

 

19.48.22

GR Peter Florianschütz, MA, MLS (SPÖ)|: Sehr geehrte Frau Vorsitzende! Frau Berichterstatterin! Herr Stadtrat! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

 

Bevor ich zum eigentlichen Kern dieses Antrages komme, lassen Sie mich einen Gedankengang äußern. Friedrich Engels zitiert den Philosophen Georg Wilhelm Hegel zum Thema Freiheit mit der Erkenntnis: „Freiheit ist die Einsicht in die Notwendigkeit.“ Damit ist eigentlich alles gesagt, was man hier sagen müsste.

 

Die Maßnahmen, die in Wien gesetzt werden, sind notwendig. Sie sind fürsorglich - danke, Herr Stadtrat, danke, Herr Bürgermeister - und sie schützen die Wiener Bevölkerung. Ich bin froh, dass ich in einer vorsichtigen Stadt lebe und nicht in einer Stadt des Yuppi-Du, in der man sich darauf verlässt, dass es schon gutgehen wird und in der es unter Umständen eben auch nicht gutge

 

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