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Gemeinderat, 25. Sitzung vom 27.06.2022, Wörtliches Protokoll  -  Seite 55 von 103

 

umgekehrt, demzufolge die Umkehrung der Beweislast und die Stärkung des geplanten Schutzes der Arbeiternehmerinnen und Arbeitnehmer und ein Schutz für Selbstständige. Wir wissen, dass es in der Plattformökonomie viele Selbstständigkeiten gibt, und diese Trennung zwischen selbstständig und unselbstständig verschwindet in der Plattformökonomie. Für den Wirtschaftsstandort Wien ist es wichtig, dass es diese Richtlinie auf der Ebene der Europäischen Union gibt. Wir haben das auch im Ausschuss behandelt, und ich denke, es ist wichtig, dass wir uns als Stadt Wien auch in diesen Bereichen engagieren.

 

Ein anderer Bereich ist eine momentane Stellungnahme. Ich werde in Vertretung des Herrn Bürgermeisters übermorgen und überübermorgen in Brüssel im Plenum des Ausschusses der Regionen sein. Dabei geht es um eine Strategie der EU zur Bekämpfung von Antisemitismus und zur Förderung jüdischen Lebens in der Periode 2021 bis 2030. Die Säulen sind dabei die Verhütung und Bekämpfung aller Formen von Antisemitismus, Schutz und Förderung jüdischen Lebens in der EU, Bildung und Forschung und das Gedenken an die Shoah.

 

Ich werde nicht alle Inhalte vortragen, aber die Wichtigkeit zeigt sich daran, dass innerhalb der Europäischen Union neun von zehn Personen jüdischen Glaubens der Ansicht sind, dass der Antisemitismus in ihrem Land zugenommen hat. Das korrespondiert direkt mit den Erkenntnissen, die wir auch in Österreich und in Wien haben. Die letzte Stellungnahme der Beobachtungsstelle deutet darauf hin. Demzufolge fordert die Stellungnahme - und das wird von uns hundertprozentig unterstützt - zum Beispiel ein Nulltoleranzprinzip in Bezug auf Antisemitismus, die verstärkte Bekämpfung illegaler Inhalte auf Social-Media-Plattformen. Es wird begrüßt, dass es eine Dotation von 24 Millionen EUR der Europäische Union direkt für den Schutz von Synagogen und jüdischen Einrichtungen gibt und eine Schwerpunktsetzung auf Sport, Medien, Kultur, Bildung und Forschung als wichtige Faktoren zur Bekämpfung des Antisemitismus.

 

Ganz aktuell: Der ungarische Berichterstatter, der an sich einen sehr guten Bericht abgeliefert hat, hat aus Gründen, die mir rätselhaft sind, eine Zusammenarbeit mit der BDS-Bewegung empfohlen. Die BDS-Bewegung ist Ihnen bekannt, wir haben in diesem Haus einen einstimmigen Beschluss gefasst, dass wir sie verurteilen und nicht mit ihr zusammenarbeiten. Die Diskussion wurde geführt. Ich habe das auch mit den Fraktionen im Haus besprochen - mit allen Fraktionen im Haus, möchte ich dazusagen. Wir waren uns einig, wir haben ja auch einstimmig gegen die BDS beschlossen. Ich möchte mich hier für die Zusammenarbeit ausdrücklich bedanken. Ich darf Ihnen berichten, dass es einen Änderungsantrag des Berichterstatters auf der AdR-Ebene gibt, wo diese BDS- Bewegung aus dem Bericht hinausgestrichen wird. Das ist ein Erfolg unserer Intervention, unserer Tätigkeit. Auch das muss man einmal sagen, dass wir auf europäischer Ebene, wenn auch mit Mühe, etwas bewegen können. Dafür auch vielen Dank an alle Fraktionen im Haus für die Unterstützung.

 

Und last but not least, das ist heute ja von den VorrednerInnen schon angesprochen worden: Es ist Krieg in Europa. Wie gehen wir damit um? Das betrifft uns natürlich. Das betrifft uns indirekt auf der wirtschaftlichen Seite, es betrifft uns durch die Flüchtlingswelle und es betrifft uns insgesamt, weil es ein Angriff auf die europäischen Werte ist. Meine Vorrednerin Dolores Bakos hat das wirklich deutlich gesagt: Der Angriffskrieg der Russischen Föderation ist ein Anschlag und ein Angriff auf die europäischen Werte, und es ist unsere Pflicht, diese europäischen Werte zu verteidigen. „By the way“, natürlich ist die Ukraine auch historisch zumindest überwiegend ein Teil des europäischen Kulturraumes und gehört so gesehen zu Europa, wie letztendlich auch die Russische Föderation. Das ist die Tragik dabei. In Wirklichkeit ist es ein Krieg innerhalb Europas mit Europa, und das ist das Problem.

 

Der Beitritt oder die Akzeptanz des Beitrittsansuchens und der Kandidatenstatus sind in der momentanen Form, um ehrlich zu sein, ein symbolischer Akt. Diesen symbolischen Akt muss man mit Leben füllen. Das wird nicht morgen sein, aber es ist ein Signal, dass die Ukraine Mitglied sein soll. In dem Zusammenhang - das mag verwunderlich erscheinen - unterstütze ich schon sehr die Haltung der Bundesregierung, dass man natürlich über diesen Prozess von Solidarität erstens die Kopenhagener Kriterien nicht vergessen darf, und zweitens einmal nicht den Westbalkan. Es darf nicht der Eindruck entstehen, als würden wir mit zwei Maßstäben messen. Wenn wir das mit der Ukraine von der Europäische Union so gehandhabt haben, wie wir es gehandhabt haben, ist es okay, aber klar ist auch, dass wir endlich in einen ähnlichen Prozess mit den Westbalkan-Staaten eintreten müssen, weil wir uns sonst als Europäische Union unglaubhaft machen, und das ist sicher sehr schlecht.

 

In dem Zusammenhang, meine Damen und Herren, sollten wir auch, ohne dass ich jetzt die Zeit übergebührlich ausnutzen möchte, darüber nachdenken - ich habe das im Haus schon einmal gesagt -: Die Rezeption des Ukraine-Krieges in Europa und in Österreich ist nicht unbedingt die, die global einheitlich verwendet wird. Es gab - das ist vielleicht nicht ganz so aufgefallen - ein Treffen der BRICS-Staaten, das jetzt unlängst zeitgleich zum Diskussionsprozess in der Europäischen Union stattgefunden hat. Und die BRICS-Staaten, also Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika tragen diese Sanktionen nicht mit, die global gegeben werden, und die BRICS-Staaten repräsentieren etwas mehr als 50 Prozent der Weltbevölkerung.

 

Das heißt, das ist auch eine Aufgabenstellung, die wir als Europäerinnen und Europäer haben, und zwar als Europäerinnen und Europäer nicht unbedingt im Gleichklang mit den Vereinigten Staaten - so wünschenswert das wäre -, unsere Werte nach außen zu transportieren und plausibel zu machen. Es wird notwendig sein, sich nicht auf die Ebene „Wir sind wir.“ zurückzuziehen, sondern mit anderen darüber zu reden. Es wird nicht sehr sinnvoll sein, die Russen zu überzeugen, aber mit Indien, China, Südafrika sollten wir schon darüber reden und

 

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