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Gemeinderat, 29. Sitzung vom 18.10.2022, Wörtliches Protokoll  -  Seite 47 von 103

 

was an diesem Ort passieren soll. Bis jetzt gibt es diese breite Debatte nicht, bis jetzt haben wir eine Installation, die heißt „Lueger temporär“ und wurde dort als Position hingestellt. Mehr an öffentlicher Debatte hat noch nicht stattgefunden, und das ist sehr schade.

 

Es braucht aber diesen strukturierten Diskussionsprozess, wenn wir gemeinsam zu einem Ziel kommen wollen. Deshalb werden wir einen Antrag einbringen, dass die Stadt aus dem Stadtteilkulturbudget oder wo auch immer, Frau Stadträtin, Sie das gerne finden wollen, Geld freigegeben wird, um so einen demokratischen Diskussionsprozess gemeinsam mit einem Kulturvermittlungsprogramm festzuhalten. Es braucht nämlich eine leicht verständliche Vermittlung des Themas Lueger, dass auch historische Tatsachen klar werden, dass auch historische Tatsachen für alle, die mitdiskutieren, breit bekannt sind. So eine Vermittlung würde zum Beispiel erzählen, wie sich das mit Dr. Karl Lueger und der Hochquellwasserleitung verhalten hat. Es stimmt, Karl Lueger hat die II. Hochquellwasserleitung eröffnet, er hat das Band durchgeschnitten, aber geplant und in Auftrag gegeben haben sie seine Vorgänger. - Die I. Hochquellwasserleitung übrigens, die also tatsächlich die Innovation für Wien war, die die Cholerabekämpfung vorangetrieben hat, diese I. Hochquellleitung wurde schon 1868 im Gemeinderat beschlossen. 1873 wurde sie von Kaiser Franz Josef eröffnet, und das war 20 Jahre, bevor Karl Lueger Bürgermeister von Wien war.

 

Wer aber war Bürgermeister, als die I. Hochquellleitung eröffnet worden ist? Tja, da gibt es, glaube ich, nicht so ein breites Wissen hier herinnen. Ich kann Ihnen helfen, es ist Cajetan Felder. (GR Mag. Dietbert Kowarik und GRin Veronika Matiasek: Haben wir gerade gesagt!) - Sie haben es gewusst? - Wunderbar. Ist aber Cajetan Felder hier in der Stadt so eingeschrieben wie Karl Lueger? Hat Herr Felder so viele Straßennamen, hat er eine eigene Gedächtniskirche, hat er eine eigene Brücke bekommen? Ich weiß nichts davon, aber vielleicht können Sie mir das zeigen. Was da jedenfalls wesentlich ist, ist, dass Karl Lueger sich selber gerne zum Helden gemacht hat, aber nicht unbedingt von den Nachgeborenen auch als solcher wahrgenommen werden muss.

 

Darum soll es ja in so einem Diskussionsprozess gehen, um herauszuarbeiten, wer Karl Lueger war, wer Karl Lueger für die Stadt war und was er da gemacht hat. Keine Frage, er war sicher einer der ersten und einer der effizientesten politischen Populisten, die wir hier gehabt haben. Er ließ sich auf alle erdenkliche Weisen feiern und verehren und arbeitete hart an einer umfassenden Einschreibung seiner Person in die Stadt. Ist er deshalb ein besserer Held, ein besserer Bürgermeister als all die anderen Bürgermeister, die diese Stadt mitgestaltet haben? Und nein, meine Forderung ist natürlich nicht, eine große Liste aller Bürgermeister in Bronze in der Stadt aufzustellen. (Heiterkeit und Zwischenruf bei der FPÖ.) Das wäre zwar vielleicht lustig, aber ein bisschen aufwändig.

 

Meine Forderung ist, die Helden, die heute schon in der Stadt stehen, genauer zu analysieren und auch im Bild zurechtzurücken. Warum stehen sie da? Was erzählen sie? Welchen Wert, den wir heute im 21. Jahrhundert haben, vermitteln diese Statuen, zum Beispiel also Karl Lueger? Wer war er wohl, wir wissen es natürlich nicht, wir können nur aus den Quellen schließen. Was wir aber wissen, ist, dass Karl Lueger bewusst gesetzte, höchst aggressive antisemitische Reden geschwungen hat, egal, ob hier im Gemeinderat, auf der Straße, am Volksfest. Und wir wissen, welche Auswirkungen diese Reden gehabt haben. (GRin Mag. Caroline Hungerländer: Das ist ein Fehlschluss!) Nach seinen Reden haben sich Gruppen zusammengerottet, sind in den 2. Bezirk geströmt und haben dort auf Juden eingeschlagen und sie sekkiert, wie man in Wien sagt. Manche nennen so etwas Pogrome.

 

Man kann das jedes Mal in den zeitgenössischen Zeitungen nachlesen. Ein Bürgermeister also, der dazu aufruft und es billigt, dass Teile der Bevölkerung misshandelt werden, ein Bürgermeister, der Gewalt forciert statt zu kalmieren, so ein Bürgermeister soll auch im 21. Jahrhundert mit einem Denkmal geehrt werden? Warum, fragt man sich da. Ist das der Fokus der unrühmlichen Stadtgeschichte, den die Stadtregierung heute, 2022, herausstreichen will, und wenn ja, warum? (GR Mag. Manfred Juraczka: Unterstellen Sie da jetzt irgendwas?) Und nein, ich reagiere gleich auf den Einwurf, nein, es geht uns natürlich nicht darum, Geschichte auszulöschen, was im Übrigen eine extrem irritierende Ausdrucksweise ist. Ausgelöscht werden sollten nach Meinung der Nazis nämlich andere, nämlich die Juden und die Roma und Sinti und die Homosexuellen und überhaupt alle, die politisch nicht ins Konzept oder nicht ins Schema der Arier gepasst haben. (GR Mag. Manfred Juraczka: Das stimmt nicht!)

 

Adolf Hitler übrigens prägt unsere Geschichte auch bis heute, obwohl alle Ortsbezeichnungen, die ihn ehrten und genannt wurden in der Stadt, mittlerweile natürlich aus dieser Stadt entfernt worden sind. Es werden Menschen nicht ausgelöscht, nur weil sie keine Straßennamen in dieser Stadt haben, das soll dieser Einwurf sagen. Ich vermeide es deshalb auch, über das Auslöschen von Geschichte zu sprechen, wenn es nicht im Zusammenhang mit dem Holocaust steht.

 

In anderen Ländern werden Statuen, wie die des Karl Lueger, als toxisch bezeichnet, toxisch für das gesellschaftliche Klima, toxisch für unser gutes Zusammenleben, toxisch, weil sie für die ehemals Verfolgten ein ständiger Zeigefinger sind, wie sie sich zu verhalten und wie sie sich unterzuordnen haben, und weil, wenn sie es nicht tun, dann weißt du eh, was passiert, dann kommt das wieder zurück. Solche toxischen Statuen werden also in anderen Teilen Europas, zum Beispiel in Deutschland, aus dem öffentlichen Raum entfernt und in ein Museum geräumt. Nein, nicht versteckt und auch nicht zerstört, natürlich nicht. Nein, sie werden weiter gezeigt, aber sie werden nicht weiter in Verehrung gezeigt. Wenn Sie zum Beispiel in Berlin sind, schauen Sie sich das einmal an. „Enthüllt. Berlin und seine Denkmäler” heißt die Ausstellung in der Zitadelle, wo sämtliche toxische Helden gemeinsam in einem Saal ruhen, zur

 

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