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Gemeinderat, 29. Sitzung vom 18.10.2022, Wörtliches Protokoll  -  Seite 50 von 103

 

dem Geflecht aus Ursache und Wirkung und drittens kein Missbrauch von Geschichte für aktuelle politische Interessen.

 

Sie sehen also, meine Damen und Herren, warum wir so viel Wert darauf legen, dass über Lueger gesprochen wird, dass Lueger kontextualisiert wird, aber nicht, dass er gecancelt wird, warum es uns so wichtig ist, dass Geschichte nicht umgeschrieben wird, dass auch die Geschichte des Westens nicht pauschal als negativ geframed wird, dass das historische Narrativ nicht der Deutungshoheit von Aktivistengruppen obliegt. Die Entscheidungen im Umgang mit Gedenkkultur sollten von gewählten Politikern getroffen werden, sollten einer demokratischen Willensbildung obliegen, aber nicht dem Druck von Lobbyorganisationen, nicht einseitigen Kampagnen und nicht demjenigen, der am lautesten schreit. (Beifall bei der ÖVP und von GRin Veronika Matiasek.)

 

Ich denke, dass die aktuelle temporäre Installation, abgesehen von gewissen ästhetischen Gesichtspunkten - also über Ästhetik kann man diskutieren, aber die Funktion der temporären Installation scheint mir zu diesem Dialog einzuladen. Wir hoffen, dass auch die langfristige Lösung diese Funktion erfüllt, erstens, und wir hoffen, dass auch die Denkmäler anderer belasteter Personen aufgearbeitet werden, darüber diskutiert wird und dass es zu einer demokratischen Lösung in jedem Fall gekommen wird. - Danke schön. (Beifall bei der ÖVP.)

 

Vorsitzende GRin Dr. Jennifer Kickert: Als Nächste zu Wort gemeldet ist GRin Anderle. Ich erteile es ihr.

 

14.15.06

GRin Patricia Anderle (SPÖ)|: Danke. Sehr geehrte Frau Vorsitzende! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Stadträtin!

 

Ein Satz zu Kollegin Berner: Sie haben mehrmals das Gemeinsame angesprochen, und darum finden wir es besonders schade, dass die GRÜNEN einer Zuweisung dieses Antrags nicht zugestimmt haben. Wir sind immer für einen guten Austausch. Partizipation beginnt mit Dialogbereitschaft, und diesen Dialog hätten wir gerne gemeinsam geführt.

 

Jetzt komme ich noch zum Poststück: Welchen Sinn und welchen Zweck haben Stadtteilkultur und Interkulturalität und warum sollte man sie fördern? - Die Antwort ist ganz einfach, weil es immens wichtig ist. Stadtteilkultur und Interkulturalität können nämlich etwas, das die Hochkultur nicht immer schafft, sie machen hochklassige Kunst und Kultur einem breiten Publikum zugänglich, und zwar in allen Bezirken, dort, wo die Leute zu Hause sind. Mit dieser Förderung werden neue innovative Kulturräume geschaffen, die einen niederschwelligen Zugang zu Kultur ermöglichen. Es geht hier um Diversität, es geht um Partizipation, es geht um weg von einer Kunst für ein ausgesuchtes Publikum, es geht um Kultur für alle Menschen in dieser Stadt. (Beifall bei der SPÖ.)

 

Das Beste daran ist, dass diese relativ junge Förderschiene Kulturgeld genau dort verteilt, wo es gebraucht wird, an Projekte in der ganzen Stadt, zielgenau und unkompliziert. Und wenn jetzt von manchen eingeworfen wird, dass das hier nicht kontrollierbar ist, wie konkret vergeben wird, dann kann ich nur sagen: Wovon reden wird hier? Wir wollen eine schnelle, situationsbezogene und flexible Förderung ermöglichen. Kultur muss sich bewegen können und dürfen. Und die MA 7 wickelt das wunderbar und professionell ab.

 

Das ist auch wichtig für Projekte wie zum Beispiel das Primavera-Festival mit seinem Rainbowpiano im Grätzl, das Utopia Theater, das durch die Gemeindebauten tingelt, oder das Romano Centro mit seinem Kulturprogramm, und so weiter. Da könnte ich jetzt noch viele aufzählen. Deshalb ersuche ich um Zustimmung zu diesem Poststück. Bauen wir gemeinsam Brücken zwischen den Kunstschaffenden und der Wiener Bevölkerung! Tanz, Theater, Konzerte, unterstützen wir kulturelle Vielfalt und stärken wir so unser Wien, genauso wie es ist: bunt, vielfältig und kreativ!

 

Und zu der ÖVP kann ich nur sagen: Sie unterstellen Karl Marx Mord. Ich sage Ihnen, Dollfuß oder Karl Marx, besser gesagt, ein Diktator oder ein Schriftsteller, wer ist hier der Mörder? - Denken Sie darüber nach! - Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

 

Vorsitzende GRin Dr. Jennifer Kickert: Als Nächster zu Wort gemeldet ist GR Margulies. Ich erteile es ihm.

 

14.18.46

GR Dipl.-Ing. Martin Margulies (GRÜNE)|: Sehr geehrte Frau Vorsitzende! Sehr geehrte Damen und Herren!

 

In aller Kürze, aber ich gebe ehrlich zu, es reizt mich, Kollegin Hungerländer wirklich zu widersprechen. Überlassen wir die Geschichte den HistorikerInnen! - Ich halte diese Einschätzung für grundfalsch. Wer aus der Geschichte nicht lernt, lernt tatsächlich nicht für die Zukunft. Und ja, es gibt sie nicht, die absolute Objektivität in der Geschichtsschreibung. Das oft zitierte Zitat, von dem am Ende des Tages niemand weiß, wem es wirklich zugeordnet wird - die herrschende Geschichte ist die Geschichte der Herrschenden -, hat sehr viel und sagt auch sehr viel. Nichtsdestoweniger lohnt aus meiner Sicht natürlich die Auseinandersetzung über historisches Verhalten. Ich würde mir wünschen, dass es natürlich sozusagen auch in einer objektiven Darstellung so gewürdigt werden kann.

 

Es ist vollkommen klar, dass es riesige Unterschiede gibt - nur als Beispiel - zwischen dem Wirken von Karl Marx und dem Wirken von Karl Lueger. Karl Lueger war ein Antisemit. Er war kein Nazi - natürlich war er kein Nazi, vollkommen richtig -, aber er war Antisemit (GR Dr. Markus Wölbitsch-Milan, MIM: Ja, wie viele andere!) und hat mit seiner antisemitischen Propaganda Menschen aufgehetzt, aufgewiegelt und dazu beigetragen, dass neben den Erinnerungsstücken, die sozusagen in Wien noch überall zu sehen sind, in Wien Menschen verprügelt, verhaftet, umgebracht wurden. Das ist etwas, was man auch nicht verleugnen kann. Die Auseinandersetzung lohnt, sowie die um jede andere von Ihnen ins Spiel gebrachte Person. Ja, führen wir die Auseinandersetzung, aber führen wir sie nicht wertbefreit, führen wir sie angesichts dessen, dass wir für die Zukunft lernen wollen.

 

Und wenn wir für ein humanistisches Österreich, für ein humanistisches Wien eintreten, ohne Vorurteile, ohne Antisemitismus, ohne jegliche anderen Rassismen, dann

 

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