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Gemeinderat, 46. Sitzung vom 29.11.2023, Wörtliches Protokoll  -  Seite 6 von 32

 

groß die Unzufriedenheit mit den Arbeitszeiten und den Arbeitsbedingungen ist. Wir haben auch das ganz klar gesehen.

 

Was hat sich aber jetzt nach dem Ende der Pandemie verändert? - Wir sehen es immer noch und hören immer noch Berichte von Menschen, die monatelang auf OP-Termine warten, von Kindern, die keinen Platz in der Kinder- und Jugendpsychiatrie bekommen, obwohl sie gerade schwerste psychische Schwierigkeiten haben und mit größten Schwierigkeiten kämpfen. Wir wissen von Frauen, die verzweifelt GynäkologInnen mit Kassenvertrag suchen und keine einzige finden. Wir hören diese leeren Versprechungen, die die Stadtregierung gegeben hat, um für Verbesserungen zu sorgen, aber ich frage Sie: Was wurde eigentlich getan, um endlich für Fairness zu sorgen? Was wurde für gute Arbeitsbedingungen getan? Was wurde überhaupt für eine gute PatientInnenbehandlung getan? - Es schmerzt mich zu sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Leider viel zu wenig. (Beifall bei den GRÜNEN.)

 

Letzte Woche, also wenige Tage vor dem Sondergemeinderat, hat der Gesundheitsstadtrat, der heute leider nicht hier ist, angekündigt, dass jetzt Sonn-, Feiertags- und Nachtzuschläge beschlossen werden. Das möchte ich auch anerkennen. Das ist ein richtiger Schritt, das ist ein wichtiger Schritt, aber leider, liebe KollegInnen, kommt das viel zu spät. Das ist viel zu wenig. Damit ist es bei Weitem nicht getan.

 

Das wird auch andernorts so gesehen. Gerade gestern erst hat die Ärztekammer eine Umfrage veröffentlicht. Ich glaube, Sie haben sie alle gelesen. Ich finde die Ergebnisse dieser Umfrage wirklich erschreckend. Die Ergebnisse sprechen eine klare Sprache: 70 Prozent trauen Gesundheitsstadtrat Hacker nicht zu, die Spitalskrise zu lösen, und nur noch jeder 5. Wiener und jede 5. Wienerin ist der Meinung, dass StR Hacker die Probleme in den Spitälern ernst genug nimmt. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist das Ergebnis von einem konsequenten Kleinreden des Problems und dem Versuch, das alles irgendwie durchzutauchen. (Beifall bei den GRÜNEN.)

 

Damit wir uns richtig verstehen, weil StR Hacker immer davon spricht, dass er ja keinen Voodoo-Zauber finden kann, um alle Probleme zu lösen: Darum geht es nicht. Es ist klar, dass die Spitalskrise nicht von heute auf morgen gelöst wird. Es ist klar, dass sie vielschichtig ist. Der Befund, den wir jetzt machen müssen, ist aber einfach desaströs und zeigt, dass es im Moment einfach wirklich in die falsche Richtung geht und die Menschen das Vertrauen in dieses existenzielle Gesundheitssystem verlieren, das uns so existenziell berührt und betrifft. Wir dürfen wirklich nicht zulassen, dass Menschen in Wien das Vertrauen in das Gesundheitssystem verlieren, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei den GRÜNEN.)

 

Noch ein Wort zu diesen letztwöchigen Verkündigungen der Zuschläge: Das ist meiner Meinung nach auch aus einer anderen Sicht fragwürdig. Warum? Weil auf den allerletzten Metern und eigentlich in allerhöchster Not verhandelt wurde, um noch etwas anzukündigen. Die entscheidende Frage ist doch vielmehr: Verbessert dieses Paket von letzter Woche wirklich nachhaltig die Arbeitsbedingungen? Verbessert es die Nachhaltigkeitsbedingungen? Nein. Selbst Sie, Herr Meidlinger, als Gewerkschaftsverhandler, haben es bei der Präsentation des Pakets letzte Woche eigentlich sehr deutlich gesagt. Sie haben gesagt, das ist ein Schmerzensgeld. Das sagt ja eigentlich schon alles aus. Ein Schmerzensgeld ist eine kleine Entschädigung. Ein Schmerzensgeld kann aber nicht über das hinwegtäuschen, worüber wir eigentlich reden müssen, nämlich über bessere Arbeitsbedingungen, über eine Arbeitszeitverkürzung und über ein besseres Grundgehalt, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei den GRÜNEN.) Sinnbildlich für diese ganze Misere ist das Klinikum Ottakring. Meine Kollegin Barbara Huemer hat schon einiges davon erzählt, was uns Ärzte und Ärztinnen sowie das Pflegepersonal aus dem Klinikum Ottakring erzählen. Ich weiß es auch privat. In meinem Haus wohnen auch zwei Ärztinnen. Ich sehe sie manchmal am Abend heimkommen. Sie schauen eigentlich jeden Tag verzweifelter aus.

 

Wir wollten mit einer Anfrage an StR Hacker noch einmal die Kündigungsgründe von medizinischem Pflegepersonal erfahren. Die Beantwortung zeigt ein extrem klares und auch wirklich erschütterndes Bild der Situation in der Klinik Ottakring. Denn die vom Pflegepersonal am häufigsten genannten Austrittsgründe sind wörtlich die Arbeitsbedingungen, die Arbeitszeiten und die besonderen Herausforderungen bei der Zusammenarbeit in einem multiprofessionellen Team. Bei Ärztinnen und Ärzten ist die Situation sehr ähnlich. Da sind die am häufigsten genannten Austrittsgründe wörtlich die hohe Intensität des Workflows in Bezug auf Nacht- und Wochendienste, die Arbeitsbelastung und die Work-Life-Balance. Das steht wortwörtlich in der Anfragebeantwortung. Das sagen das Pflegepersonal und die ÄrztInnen im Klinikum Ottakring.

 

Die Zustände sind also derartig bestürzend, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir wirklich nur noch SOS rufen können. Es scheint aber, als gäbe es für dieses SOS, das wir rufen, keinen Empfänger und keine Empfängerin. Dabei sitzt der Empfänger hier im Gemeinderat, sehr geehrte Damen und Herren. (Beifall bei den GRÜNEN.)

 

Natürlich reicht es nicht, SOS zu rufen. Einerseits wird das SOS der Ärztinnen und Ärzte sowie des Pflegepersonals nicht gehört. Wir wollen aber auch nicht nur SOS rufen, wir wollen einen Rettungsring auswerfen, wie meine Kollegin schon gesagt hat. In Wirklichkeit sind es genau drei Rettungsringe. Welche Rettungsringe wollen wir auswerfen? Erstens einen Rettungsring für alle, die unter den miserablen Arbeitsbedingungen in der Pflege leiden, zweitens einen Rettungsring für alle Ärztinnen und Ärzte, die nicht mehr wissen, wie sie ihre Dienste einhalten können, wie sie sich fachgerecht um Patientinnen und Patienten kümmern sollen und nicht mehr wissen, wie sie mit dem Dauerstress und der Dauerbelastung umgehen sollen, drittens einen Rettungsring für alle, die in diesem wirklich kaputten Gesundheitssystem dringend strukturelle und nachhaltige Verbesserung brauchen.

 

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