Gemeinderat, 50. Sitzung vom 22.02.2024, Wörtliches Protokoll - Seite 18 von 103
sollte bekannt sein - hat das Grundstück bei einem Versteigerungsverfahren gekauft. Man hat sich offensichtlich verspekuliert. Man hat nicht damit gerechnet, dass die öffentliche Hand irgendwann einmal doch in diese explodierenden Bodenpreise eingreifen könnte. Zunächst hat man - offenbar in Unkenntnis der Planungsgrundlagen - versucht, das Grundstück in neun Projektgesellschaften zu filetieren: in Werndlgasse Alpha, Beta, Gamma, Delta, Epsilon, Zeta, Eta, Theta und Iota Entwicklungs GmbH. So viele griechische Buchstaben haben wir nicht einmal während der Pandemie verbraucht. (Heiterkeit bei den GRÜNEN.)
Wahrscheinlich ist den Investoren dann schnell klar geworden, dass das umsonst war. Die Anwendung der Widmungskategorie „Geförderter Wohnbau“ bezieht sich nämlich auf einzelne Grundstücke und nicht auf das Planungsgebiet. Danach hat die Soravia-Tochter versucht, die Stadt in mehreren Schreiben von der Anwendung der Widmungskategorie „Geförderter Wohnbau“ abzubringen - aus deren Sicht legitim, auch das allerdings erfolglos. Die MA 21 stellt in einem Schreiben aus dem Jänner 2020 unmissverständlich fest, dass die Planungsgrundlagen zur Widmung von Gebieten für geförderten Wohnbau anzuwenden sind. Soweit so gut. Die Stadt hat die Wünsche der Investoren, die den maximalen Profit aus dem Projekt herausholen wollten, zurückgewiesen. Hier könnte und hier sollte die Geschichte zu Ende sein.
Heute liegt uns im Gemeinderat ein Flächenwidmungsplan für diese Siedlung vor, in dem die Widmungskategorie „Geförderter Wohnbau“ nicht angewandt wird. Kein Vorrang für sozialen Wohnbau weit und breit, stattdessen Vorrang für Investoreninteressen. Ich halte das für skandalös, sehr geehrte Damen und Herren. Ich halte das für wirklich skandalös. (Beifall bei den GRÜNEN.)
Denn was ist seit 2020 passiert? Was ist seit 2020 passiert? Die politische Führung des Planungsressorts hat gewechselt. Der Vorrang für den sozialen Wohnbau hat offenkundig der Investorenhörigkeit Platz gemacht. Man hat die anwendbare Wohnfläche für den Investor so lange zurechtgebogen, bis man sagen konnte: Die Widmungskategorie „Geförderter Wohnbau“ muss nicht angewendet werden. Das Ergebnis ist eine Gewinnmaximierung von privaten Investoren auf Kosten von günstigen Wohnungen für die Allgemeinheit.
Ich habe es gestern schon mit Kollegin Arapović diskutiert: Dass die NEOS dieses Projekt für eine städtebauliche Meisterleistung halten, ist geschenkt. Bei einer Sozialdemokratie aber, deren Bundesparteivorsitzender gerade im ganzen Land auf und ab den Vorrang für sozialen Wohnbau fordert, frage ich mich schon: Wo seid ihr falsch abgebogen, sehr geehrte Damen und Herren? Wo seid ihr falsch abgebogen? (Beifall bei den GRÜNEN. - GRin Martina Ludwig-Faymann: Wo leben Sie?) Es wird jetzt argumentiert, der Wohnanteil sei seitens des Projektwerbers und nicht seitens der Stadt reduziert worden. Na, geht‘s noch? Eine Planung ist doch kein Wunschkonzert von Investoren, auch wenn die Planung in der Regel im Dialog erfolgt. (GRin Martina Ludwig-Faymann: Zwei Drittel von Wiener Wohnen im Geförderten!) Dass ein Diktat des Investors vorgesehen wäre, ist mir noch nicht bekannt. Entscheiden tut es am Ende die Stadt. Man hat dem Investor einfach ohne Not zugestanden, den Wohnanteil so weit zurechtzubiegen, dass kein sozialer Wohnbau entsteht. Das ist angesichts der ganzen Sonntagsreden vom sozialen Wohnbau schon ein bisschen schamlos, sehr geehrte Damen und Herren. (Beifall bei den GRÜNEN.)
Statt Vorrang für sozialen Wohnbau kommt in der Siedlung Werndlgasse nun ein Bauherrenmodell mit maximaler Rendite für den Investor. Schauen Sie sich die Projektbeschreibungen gerne an: 5,7 Prozent Rendite per anno wird da versprochen, der Kauf einer Immobilie zum halben Preis. All das ist möglich, weil auf horrende Mieten spekuliert wird. All das machen Sie möglich, weil Sie auf den Vorrang für den sozialen Wohnbau verzichtet haben. Die Privaten streifen den Gewinn ein, und die Gesellschaft schaut durch die Finger. Das kann doch nicht Ihr Ernst sein, sehr geehrte Damen und Herren von der Sozialdemokratie. (Beifall bei den GRÜNEN.)
Eigentlich haben wir bereits im Zuge der Enquete zur Bauordnung vorgeschlagen, die Anwendungsgrenzen für die Widmungskategorie „Geförderter Wohnbau“ zu senken. Nicht nur unsere Seite hat das vorgeschlagen, sondern auch die Fachabteilungen. Wissen Sie, wer die Enquete nicht besucht hat? Die Planungsstadträtin. Wissen Sie, was nicht geändert wurde? Die Planungsgrundlagen. Auch ein Jahr danach bleibt die Anwendungsschwelle unverändert hoch, was gerade für Bestandsanierungen ein massives Problem ist. Dieses Desinteresse an der Durchsetzung von sozialem Wohnbau im Planungsressort ist himmelschreiend, sehr geehrte Damen und Herren. (Beifall bei den GRÜNEN.)
Es geht ja nicht nur um dieses Projekt. Als die GRÜNEN 2020 das Planungsressort an die SPÖ übergeben haben, war Vorsorge für zirka 42.000 Wohnungen getroffen. Wissen Sie was? Der Polster an gewidmeten Wohnungen ist innerhalb von 2 Jahren auf 27.500 heruntergewirtschaftet worden. Die Planungsstadträtin betreibt Arbeitsverweigerung. Wenn das so weitergeht, steuern wir auf ein massives Problem zu. Wenn wir nicht mehr Flächen für den sozialen Wohnbau widmen, dann kommt es in drei bis vier Jahren zu einer massiven Wohnraumverknappung. Wenn die Reserve einmal aufgebraucht ist, holt man das nicht mit einem Handstreich wieder auf. Es dauert Jahre, das zu reparieren, was hier verabsäumt wird. Wenn Sie mir nicht glauben, reden Sie mit gemeinnützigen Bauträgern! Ich bitte Sie, schauen Sie da nicht weg! Ich will da gar kein politisches Kleingeld waschen. Was Ihre Planungsstadträtin hier gerade kaputt macht, ist ein echtes Problem für das leistbare Wohnen in dieser Stadt, sehr geehrte Damen und Herren. (Beifall bei den GRÜNEN.)
Vorrang für sozialen Wohnbau heißt auch zweckmäßige Verwendung der Wohnbauförderung - auch so eine Forderung Ihres Bundesparteivorsitzenden. Jetzt raten Sie einmal, wer das nicht einhält. Wien hat von 2020 bis 2022 durchschnittlich 600 Millionen EUR aus Wohnbauförderbeiträgen und Darlehensrückflüssen eingenommen. Wie viel, glauben Sie, wurde in dieser Zeit im Schnitt für Wohnbauförderung ausgegeben? 390 Millionen EUR.
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