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Landtag, 3. Sitzung vom 04.10.2001, Wörtliches Protokoll  -  Seite 63 von 130

 

formulieren - jemand, der noch so sehr auf Umweltschutz bedacht ist, nicht in einer hohen Umwelt- und Lebensqualität leben, wenn es der "böse Nachbar" nicht will beziehungsweise nicht zulässt - wobei man jetzt den Begriff "Nachbar" eng oder weit definieren kann. Man kann tatsächlich den Nachbarn in der gleichen Gasse meinen, aber manchmal ist es auch ein anderes Bundesland, wie zum Beispiel Niederösterreich, von dem gesagt wurde, Niederösterreich hätte verhindert, dass wir einen weiteren Nationalpark, nämlich den Nationalpark Wienerwald, bekommen.

 

Manchmal kann es auch ein anderer Staat sein: Die Nachbarschaft zu Atomkraftwerken beispielsweise ist auch schon ohne Unfall oder Defekt in einem Atomkraftwerk gesundheitsgefährdend und sogar lebensgefährlich. Das Bundesamt für Strahlenschutz hat in verschiedenen bayerischen Landkreisen den Einfluss von Kernkraftwerken auf das Leukämierisiko untersucht, indem es die Krebsrate in der unmittelbaren Umgebung von Standorten von Kernkraftwerken mit jenen in den restlichen bayerischen Landkreisen verglichen hat, und ist zu einem erschütternden Ergebnis gekommen: In der Umgebung von Kernkraftwerken ist die Krebsrate bei Kindern um 20 Prozent höher als in den anderen Landkreisen Bayerns! Das alleine müsste schon jeden vernünftigen Menschen dazu bringen, keine AKW mehr zu errichten oder in Betrieb zu nehmen.

 

Der Vorstand des Instituts für Umweltrecht in Linz, Ferdinand Kerschner, geht davon aus, dass jeder Staat verpflichtet ist, für Umweltschutz alle Gestaltungsmittel einzusetzen, die ihm zur Verfügung stehen. Der Republik Österreich drohen seiner Meinung nach im Falle eines Reaktorunfalls in Temelin Amtshaftungsklagen und Schadenersatzforderungen. Er kommt daher zu dem Schluss, dass ein Veto Österreichs gegen einen EU-Beitritt Tschechiens, wenn das Problem Temelin noch nicht gelöst ist, sinnvoll oder sogar erforderlich ist. Diese Äußerung hat der Herr Professor zu einem Zeitpunkt gemacht, der im Sommer lag, noch vor dieser großen Katastrophe in den USA. Er hat dabei wahrscheinlich in erster Linie an übliche technische Gebrechen oder an Ereignisse wie Erdbeben gedacht.

 

Die SPÖ hat es über Jahre hinweg verabsäumt, sich für Alternativen zu Atomkraftwerken in den Nachbarstaaten stark zu machen. Jetzt steht Temelin, jetzt geht es in Betrieb. Es ist nicht fünf vor zwölf, es ist fast fünf nach zwölf, denn seit kurzem hat sich ein neues Gefahrenpotenzial zu diesem Thema eröffnet. Der Terrorangriff auf die USA am 11. September dieses Jahres hat auch in Österreich die Angst vor möglichen Anschlägen geschürt. Vor allem die Gefahr eines terroristischen Akts an einem Kernkraftwerk wurde dabei diskutiert. Temelin stellt daher auch aus dieser Sicht eine Bedrohung für die gesamte Bevölkerung in Wien, in Österreich, aber auch in Tschechien dar. So sagte etwa Otto Gumpinger vom Anti-Atomkomitee laut "Kronen Zeitung" vom 16. September 2001: "Das Gefährdungspotenzial für Atomkraftwerke muss nach den Terrorakten in den USA neu überdacht werden und zum Aus von Risikoanlagen wie Temelin führen."

 

Weiters wurde am 22. September dieses Jahres ein internationaler Expertenbericht veröffentlicht, der im Auftrag der Bundesregierung im Rahmen des Melker Protokolls erstellt wurde. Dieser belegt auf wissenschaftlich fundierte Art gravierende Sicherheitsdefizite im AKW Temelin. Die Mängel werden als so schwer wiegend eingestuft, dass nach europäischer Sicherheitspraxis nicht einmal die Beladung der Reaktoren mit Brennstäben möglich wäre. Aus diesen Gründen muss Wien seine Haltung zum AKW Temelin dahingehend korrigieren, dass nicht mehr die Beseitigung von Sicherheitsmängeln, sondern die Stilllegung des grenznahen AKWs gefordert wird. (Beifall bei der FPÖ.)  

 

Dies umso mehr, als sich nun auch das Europäische Parlament am 5. September 2001 mit großer Mehrheit für die Abhaltung einer Ausstiegskonferenz und somit für eine Stilllegung ausgesprochen hat. Das einzige Mittel, mit dem auf Seiten Tschechiens und der Europäischen Kommission ein Umdenkprozess und ein Einlenken erreicht werden kann, ist das Veto gegen den EU-Beitritt Tschechiens, falls Temelin nicht stillgelegt wird.

 

Diese Forderung wurde bereits von Politikern aller Parteien unterstützt. So äußerte sich Rudolf Anschober, Klubobmann der GRÜNEN, in den "Oberösterreichischen Nachrichten" vom 30. August 2000 wie folgt: "Unsere Experten sind sich sicher, dass Temelin nie und nimmer auf diesen Stand zu bringen ist", "... ein klares Signal, dass bei Beitrittsverhandlungen ein Ende für Temelin kommen muss". - Oder: Eva Glawischnig, grüne Umweltsprecherin, sagt in einem offenen Brief an die tschechische Bevölkerung - ich zitiere aus der APA-Meldung 0282 vom 6. Oktober 2000 -: "Nur ein stillgelegtes Temelin ist ein sicheres Temelin." - Lhptm Josef Pühringer sagt am 11. August 2000 im "Kurier": "Hier muss einfach mit einem Veto hinsichtlich eines Beitritts gespielt werden."

 

Die freiheitlichen Abgeordneten stellen daher folgenden Resolutionsantrag:

 

"Der Wiener Landtag möge beschließen:

 

Die Österreichische Bundesregierung und im Besonderen der Bundeskanzler und die Außenministerin mögen keinesfalls dem Abschluss des Energiekapitels im Rahmen der Beitrittsverhandlungen der Tschechischen Republik zur Europäischen Union zustimmen, um dieses Druckmittel als letzten Triumph in den Bemühungen, eine Stilllegung Temelins zu erreichen, nicht aus der Hand zu geben; gegenüber Tschechien und der Europäischen Union klar zum Ausdruck bringen, dass für Österreich nur eine Stilllegung des AKWs Temelin in Frage kommt."

 

In formeller Hinsicht wird die sofortige Abstimmung des Antrags gefordert. (Beifall bei der FPÖ.)  

 

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