Landtag,
6. Sitzung vom 30.1.2002, Wörtliches Protokoll
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enormen Anstrengungen, welche gigantischen Aufbauarbeiten
nach beiden Weltkriegen notwendig waren, um dieses Wien wieder so entstehen und
blühen zu lassen, wie es für uns seit vielen Jahren eine Selbstverständlichkeit
ist.
Am Anfang dieser Entwicklung stand die Befreiung der
Arbeiterschaft, aber auch nicht unwesentlicher Teile des Kleinbürgertums vom
materiellen und sozialen Elend. War das nicht, meine Damen und Herren, die
klassischste Form der Daseinsvorsorge? - Durch vielfältige
gesundheitspolitische Maßnahmen, wie die Schaffung moderner Spitäler,
Beratungseinrichtungen, Kinderschulzahnkliniken, obligatorische Impfungen, aber
auch durch die Entwicklung der breiten Vielfalt der sozialen Wohlfahrt wurde in
Wien sichergestellt, dass die damals eklatante Säuglings- und
Kindersterblichkeit gesenkt werden konnte, dass epidemische Krankheiten
zurückgedrängt wurden und dass vor allem die durchschnittliche Lebenserwartung
und die Lebensqualität der Wienerinnen und Wiener auf beachtliches Niveau
gebracht werden konnte.
Das Ganze, meine Damen und Herren, war begleitet von
der Erfindung und der Verwirklichung des genialen Gedankens des sozialen Wohnbaus,
gepaart mit der pionierhaften Entwicklung von Grün- und Freiraumpolitik - Grün-
und Freiraumpolitik, meine Damen und Herren, Jahrzehnte, bevor die
Ökologiebewegung als geistige Kraft überhaupt manifest wurde und sich dann
teilweise in eine politische Partei umgewandelt hat. Diese europaweit
anerkannte und engagierte Kommunalpolitik, von den Christlich-Sozialen und
ihrer "Reichspost“ vehement bekämpft, wurde von Sozialdemokraten
entwickelt und in kongenialer Zusammenarbeit mit Tausenden Beschäftigten dieser
Stadt, die eben in diesem Geiste einer sozialen Gesellschaft ihre Aufgaben
wahrgenommen haben, in allen Lebensbereichen umgesetzt. Jawohl, meine Damen und
Herren des Wiener Landtags: Diese Säulen des Roten Wien waren klassische
Daseinsvorsorge vom Besten - eine Gesamtleistung, die bis heute unverändert
Berechtigung besitzt und auf die wir mit Recht auch an der Wende vom 20. zum
21. Jahrhundert stolz sein können. (Beifall
bei der SPÖ.)
Das kommunale Versorgungs- und Dienstleistungspaket
ist bis heute unverändert wirksam, ja geradezu unverzichtbar für das Leben in
unserer Stadt. Und jetzt, in Zeiten neoliberaler Kälte und globalisierter
Machtansprüche der Konzerne, die einige wenige wohlhabend und einige ganz
wenige unermesslich reich, aber sehr viele arm und joblos machen, soll
plötzlich Privat die bessere Antwort auf die Lösung der anstehenden Probleme
sein? Soll nunmehr der Markt, der bekanntlich keinerlei soziale Dimensionen
beinhaltet, den Pflichtenkatalog der großen Kommunen übernehmen? Sollen Aufgaben
von allgemeinem öffentlichem Interesse neoliberalen und vor allem auch
shareholder-orientierten Interessen untergeordnet werden?
Hoher Landtag! Für uns Sozialdemokratinnen und
Sozialdemokraten stehen bei allen öffentlichen Dienstleistungen Versorgungssicherheit,
leistbare Preise für die gesamte Bevölkerung, Kontrolle und Begleitung durch
den Wiener Gemeinderat und Schaffung der legistischen Maßnahmen durch den
Landtag im Vordergrund. Wir stehen mit einem Wort für Qualitätssicherung, wir
stehen für Versorgungssicherheit.
Deshalb, und weil das von Privaten noch bei keinen
exemplarischen Versuchen bisher in annähernd der gleichen Form angeboten werden
konnte, lehnen wir die Zerschlagung von funktionierenden Strukturen und lehnen
wir auch bedenkliche Liberalisierungs- und Privatisierungswünsche aufs
Entschiedenste ab. Hier werden wir nie ein Partner sein! (Beifall bei der SPÖ.)
In diesem Zusammenhang ein Blick zur gegenständlichen
Meinungsbildung in Brüssel. Vorweg: Jeder verantwortungsvolle Politiker in
Europa müsste und sollte dieses einmalige Friedens- und Sicherheitsprojekt
jenes Kontinents, der durch Jahrhunderte der blutigste der
Menschheitsgeschichte war, außer Streit stellen und die Entwicklung einer
europäischen Identität nachhaltig unterstützen. Die Förderung strukturschwacher
Regionen und Länder durch die wohlhabenderen Mitgliedsstaaten der Europäischen
Union sind dafür genauso Voraussetzung, wie die mittlerweile eingeführten
multinationalen Freiheiten beim Personen-, Dienstleistungs- und Warenverkehr.
Aber genauso gilt es auch festzustellen, dass der
Euro, jene Verrechnungswährung, die seit dem 1. Jänner allgemeine
Zahlkraft der Bevölkerung gebracht hat, ein identitätsförderndes Element zur
Schaffung der neuen europäischen Gewährleistungen darstellt.
Größte Skepsis hingegen, ja sogar demokratisch
legitimierter Widerspruch sind angezeigt, wenn die Liberalisierungslobbyisten
ihre Interessen den EU-Gremien aufzudrängen versuchen, wie dies in der
Mitteilung der Europäischen Kommission vom Juni vergangenen Jahres zum Ausdruck
kam. Nach der Liberalisierung der Energiemärkte und dem nur mäßig erfolgreichen
Verkauf der meisten Telekomunternehmungen sollten auch die Einrichtungen des
öffentlichen Personennahverkehrs, der Wasserver- und -entsorgung, ja sogar der
Abfallwirtschaft für die Privatisierung freigemacht werden.
Warnende Beispiele, extrem warnende Beispiele
vollzogener Privatisierungen, wie jene der englischen Wasserversorgung, aber
auch von Teilen französischer Kommunen, die sich hier angeschlossen haben, mit
den Ergebnissen sinkende Wasserqualität, exorbitant steigende Preise, sinkende
Beschäftigungszahlen, einige wenige Topunternehmer, die sich ihre Gagen
persönlich richten konnten, aber gleichzeitig auch hohe Transportverluste beim
Wasser und die Härte gegenüber jenen Kunden, die nicht in der Lage waren, ihre
Wasserrechnungen pünktlich zu begleichen, das waren die Begleitumstände dieser
Wasserprivatisierungen.
Ganz zu schweigen vom fatalen Beispiel der Privatisierung
der englischen Verkehrseinrichtungen, vornehmlich des Eisenbahnsystems, wo ein
sprunghaftes Ansteigen der Unfälle für negative Schlagzeilen sorgte, weil ganz
einfach Infrastrukturmaßnahmen, Investitionen zur Sicherheit und eine
ausreichende personelle Dotation
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