Landtag,
14. Sitzung vom 24.04.2003, Wörtliches Protokoll - Seite 29 von 83
und unseren Freunden in Brünn, Bratislava, Györ und Sopron
eine "Europaregion", eine "Vienna Region", die alle
Lebensbereiche umfasst, zu entwickeln.
Worauf ich aber im Hinblick auf die Erweiterung heute
vor allem hinweisen möchte, ist, dass wir, wenn wir an die neuen
Mitgliedsländer denken, auch berücksichtigen müssen, in welch kurzer Zeit und
unter welch großen Schwierigkeiten diese Gesellschaften einen
Transformationsprozess durchmachen. Dieser Transformationsprozess ist, und
deswegen erwähne ich das an dieser Stelle, von zweierlei Art: Erstens erfolgt
eine radikale ökonomische Umwandlung von einem planwirtschaftlichen System hin
zu einem marktwirtschaftlichen System, auch um den Preis sozialer Verwerfungen.
Gleichzeitig erfolgt die Integration in die Europäische Union und damit die
Integration in das europäische Gesellschaftsmodell, das, wie ich eben
ausführte, den sozialen Zusammenhalt als grundlegende politische Aufgabe
ansehen sollte. Und auch hier treffen zwei Gesellschaftsmodelle aufeinander:
jenes der freien Marktwirtschaft und jenes der sozialen, der ökosozialen
Marktwirtschaft.
Wir begrüßen mit traditioneller Herzlichkeit die
neuen Mitglieder in der Union und sind zuversichtlich, dass sie ihre Chancen
und Aufgaben im gemeinsamen Europa, zur positiven gemeinsamen Entwicklung
nutzen und lösen werden.
Die Erweiterung darf jedoch nicht Halt machen. Mit
dem Beitritt der mittel- und osteuropäischen Länder ist sicher ein großer
Schritt vorwärts getan. Wir, Europa darf jedoch nicht stehen bleiben. Die
Integration der Staaten Südosteuropas ist zügig voranzutreiben. Darüber hinaus
müssen wir uns überlegen, wie wir in Hinkunft unser Verhältnis, das Verhältnis
der Europäischen Union, zu jenen Staaten, die bald an der Außengrenze der Union
liegen werden, zu Weißrussland, Moldawien, der Ukraine und natürlich auch zu
Russland gestalten wollen. Und auch der euro-mediterrane Dialog ist
weiterzuführen, ganz zu schweigen vom wichtigen und notwendigen Dialog mit dem
Islam, nicht zuletzt angesichts des wachsenden Anteils der islamischen
Bevölkerung in der Europäischen Union.
Was hat dies, meine sehr geehrten Damen und Herren,
alles mit Wien zu tun? - Eine nicht ganz rhetorische Frage. – Wien hat bereits
im Vorfeld die sich aus einem künftigen Beitritt ergebenden Chancen und
Herausforderungen einer Mitgliedschaft in der Europäischen Union zum Anlass
genommen, sich aktiv und engagiert auf eine solche Mitgliedschaft
vorzubereiten. Bester Beleg dafür ist, und dies sei an dieser Stelle angemerkt,
dass sich viele Städte der künftigen neuen Mitgliedsländer in den letzten
Jahren an Wien gewandt haben, um aus unseren Erfahrungen in der
Vorbeitrittsphase zu lernen, um sich ebenfalls gewissenhaft auf die
Herausforderungen einer Mitgliedschaft in der Union vorbereiten zu können.
Wir - und damit meine ich den Wiener Landtag und die
politisch Verantwortlichen in dieser Stadt - haben bereits im Jahr 1992 eine Europakommission
eingerichtet, um über wichtige Vorhaben der europäischen Integration zu beraten
und entsprechende Weichenstellungen in Wien vorzubereiten. Bereits in der
Endphase der Beitrittsverhandlungen mit Österreich hat der Wiener Landtag seine
erste Europadeklaration verabschiedet und ein klares Bekenntnis zur
europäischen Integration abgelegt, ein klares Bekenntnis zu Frieden, sozialer
Sicherheit, Gerechtigkeit und zu Wohlstand für alle Bürger und Bürgerinnen
Europas. Aus Anlass der Regierungskonferenzen Mitte der neunziger Jahre folgten
die Europadeklarationen der Jahre 1996 und 1997. Auch hier galt es einmal mehr,
die Standpunkte Wiens zu wichtigen europapolitischen Fragen zum Ausdruck zu
bringen.
Wir können durchaus stolz sein auf das Erreichte.
Wien hat die Integration und die Mitwirkung am europäischen Integrationsprozess
genutzt, wir haben gelernt, in europäischen Netzwerken Politik zu machen, zu
lobbyieren, wie das im EU-Jargon heißt, und wir haben damit sichergestellt,
dass unsere Anliegen, dass unsere Wiener Anliegen Gehör finden. Und wir haben
gelernt, dass wir nur gemeinsam mit Partnern - und ich darf sagen: Freunden -
anderer Regionen und Städte erfolgreich sind; stellvertretend für viele darf
ich meine Amtskollegen in Paris, London, Berlin, Brüssel und viele andere
erwähnen. Für Eigenbrötelei ist in Europa kein Platz.
Auf der anderen Seite haben wir gelernt, dass es, um
erfolgreich in Europa Politik mitzugestalten, unabdingbar ist, überhaupt zu
wissen, wohin wir denn wollen als Stadt in der Mitte Europas. Gute Argumente
und Konsequenz in der Sache waren immer noch Voraussetzung für eine
erfolgreiche Politik. Es war daher höchst an der Zeit, dass wir uns nach 1997
wieder eingehender mit grundsätzlichen Positionen des Wiener Landtags zu den
aktuellen europäischen Fragen und Herausforderungen auseinander setzen und
diese Positionen in Form der im weiteren Verlauf der heutigen Sitzung zu
verabschiedenden Europadeklaration zum Ausdruck bringen.
Meine
Damen und Herren! Was kann aber Wien nun dazu beitragen, dieses - von mir
skizzierte - europäische Gesellschaftsmodell weiterzuentwickeln?
Präsident Johann Hatzl
(unterbrechend): Herr Landeshauptmann, bitte beachten Sie: Sie haben
noch zwei Minuten Redezeit!
Lhptm Dr Michael Häupl (fortsetzend):
Ich denke, sehr viel: Wien hat sich seit Beginn aktiv an der Debatte über die
Zukunft Europas beteiligt und sich sowohl innerösterreichisch als auch auf
europäischer Ebene engagiert. Wien hat seine Positionen in einer großen Zahl
gemeinsamer Zusammenarbeitsmöglichkeiten und gemeinsamer Arbeiten eingebracht.
Anzuführen sind etwa die Landeshauptleutekonferenz und die
Landtagspräsidentenkonferenz in Österreich; auf europäischer Ebene der
Ausschuss der Regionen, der Rat der Gemeinden und Regionen Europas, die
Konferenz der europäischen regionalen gesetzgebenden Parlamente, die
Versammlung der Regionen Europas, das Städtenetzwerk "EUROCITIES"
sowie die Vereinigung der Hauptstädte der Europäischen Union, in der Wien die
Initiative ergriffen hat, einen eigenen Beschluss über gemeinsame Positionen
zur Debatte über die Zukunft der Europäischen Union zu verabschieden. Die
Europakommission
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