Landtag,
10. Sitzung vom 28.06.2007, Wörtliches Protokoll - Seite 34 von 98
auch, weil wir so selten hier die Gelegenheit haben,
eine grundsätzliche, europapolitische Debatten zu führen, ein bisschen den Raum
nehmen für eine historischen Betrachtung der europäischen Union.
Zunächst etwas Positives: Vor 50 Jahren war
eines, aber wie gesagt, eines der Ziele der Europapolitik ein
friedenspolitisches, nämlich die Verhinderung zukünftiger Kriege in Europa.
Zuerst mit den Schlüsselindustrien Kohle und Stahl in Deutschland und
Frankreich. Und ich denke, der Gedanke Integration als friedenspolitisches
Instrument ist ein durchaus erfolgreicher und hat sich bewährt. Mit den
Erweiterungsschritten 2004 und 2007 mit den mittel- und osteuropäischen Ländern
und vorher mit dem Fall des Eisernen Vorhangs konnten die Spaltung Europas und
die Blockgrenze zumindest aus politischer Sicht überwunden werden. Und lassen
Sie uns aber nicht vergessen, was die großen friedenspolitischen
Herausforderungen für die künftigen Jahre sind, lassen Sie uns nicht vergessen,
dass es auf europäischem Boden auch Ende der 90er Jahre noch Kriege gegeben
hat, nämlich im zerfallenden Jugoslawien, und die Integration der Länder des
westlichen Balkans - Sie haben es angesprochen, Herr Bürgermeister - ist sicher
eine der herausragenden Herausforderungen für die Europäische Union, um die
Stabilität auch in Süd- und Osteuropa zu erlangen. Die langfristige Perspektive
für Beitritte der Länder Kroatien, Mazedonien, aber auch Serbien,
Bosnien-Herzegovina, Montenegro und Albanien ist sicher ein wesentlicher
Schritt, den auch Wien zum Beispiel mit Programmen wie das Südosteuropa-Programm
unterstützen muss. Aber nicht nur in wirtschaftspolitischer oder
investorfreundlicher Hinsicht, sondern - und das lassen sie mich auch
anlässlich der Einsetzung eines hohen Repräsentanten für Außen- und
Sicherheitspolitik der Europäischen Union sagen - vor allem in Hinblick auf
Friedenspolitik, Konfliktlösungspolitik und Aufwertung der Außenpolitik im
Vergleich, und manchmal leider im Gegensatz zur Sicherheitspolitik.
Mit diesen positiven Elementen einer Analyse möchte
ich aber jetzt zur sehr kritischen Betrachtung der Entwicklung der Europäischen
Union kommen.
Sie wissen, die Grünen
haben damals beim Beitritt zur Europäischen Union Ja zu Europa, Nein zur EU
gesagt. Auch deshalb, weil es enorme Defizite gibt in der sozialen Dimension
und in der demokratiepolitischen Dimension der Europäischen Union.
Wirtschaftspolitik ist zunächst bei der Gründung im
Vordergrund gestanden, Freihandel, und ein Binnenmarkt hat sich später
entwickelt, die Idee eines sozialen Europas, eine soziale Dimension des Binnenmarkts,
wurde erst Ende der 80er Jahre mit Jacques Delors überhaupt eingebracht, und
auch dann, auch nach diesem eigentlich bahnbrechenden Konzept - der Herr
Bürgermeister hat es angesprochen - hat es kaum Fortschritte in der realen
Sozialpolitik der Europäischen Union gegeben. Sozialpolitische Fortschritte
sind eigentlich meistens nur durch den Europäischen Gerichtshof zustande
gekommen, der Wettbewerbsverzerrungen attestiert hat, zum Beispiel bei den
Antidiskriminierungsbestimmungen hinsichtlich der Gleichbehandlung von Frauen
und Männern, und ich denke, dieses Fehlen der sozialpolitischen Dimension ist
auch heute noch vielleicht historisch erklärbar, aber politisch nicht
entschuldbar.
Und auch die demokratiepolitische Entwicklung ist nur
sehr schleppend vorangegangen, die Wahl zum Europäischen Parlament ist
überhaupt erst seit 1979 möglich, das Europäische Parlament hat aber bis heute
nicht die Stellung eines, auch unseren nationalen Parlamenten vergleichbaren,
Kompetenzrahmens, es hat kein Initiativrecht, es hat nicht die Mitentscheidung
in weitgehenden Fragen, die gerade auch den Bürgern und Bürgerinnen wichtig
sind, und gleichzeitig ist es aber zu einer totalen Vergemeinschaftung in einem
Bereich wie der Wirtschaftspolitik gekommen.
Sie wissen, mit der Wirtschafts- und Währungsunion
wurden nationale Souveränitätsrechte im Bereich der Geld- und Fiskalpolitik
massiv eingeschränkt.
Es ist nicht verwunderlich, dass bei dieser
Schieflage der Europäischen Union auch nach dem Brüsseler Gipfel viele
BürgerInnen an der politischen Ausrichtung der EU zweifeln. Das zeigen nicht
nur immer wieder Umfragen, sondern auch wiederholt negative Referenden, wenn
man sich überhaupt traut, Referenden zu machen, sind doch einige Referenden
Maastricht, Euro, Verfassung, negativ ausgegangen. Ich denke, nicht immer nur
wegen der konkreten Vorhaben, sondern insbesondere war das auch Kritik und
Widerstand gegen Europapolitik im Allgemeinen und auch gegen die Politik der
nationalen Regierungen.
Viele Bürger sehen die EU als verlängerten Arm der
Globalisierung, nicht als Instrument, um Globalisierung zu gestalten und zu
regulieren. Beispiele hier gibt es genug, die Konvergenzkriterien der
Währungsunion haben zu massivem Sozialabbau in den meisten europäischen Ländern
geführt.
Ich habe schon angesprochen, dass Liberalisierung und
Deregulierung zu einem Rückbau des öffentlichen Sektors und einem Abbau
öffentlicher Dienstleistungen geführt haben, wir haben einen dramatischen
Anstieg von Arbeitslosigkeit, von Armut, von Working Poor in Europa, von
Menschen, die von ihrer Arbeit nicht mehr leben können. Das Europäische
Statistische Zentralamt spricht von einer Zahl von 20 Millionen
Arbeitslosen in der EU, von 72 Millionen armutsgefährdeten Personen in der
EU, und das bei einer Zählweise des Europäischen Statistischen Zentralamtes,
die äußerst umstritten ist. Sie wissen, dass eine Person, die in der Woche eine
Stunde beschäftigt ist, nicht mehr als arbeitslos gilt.
Also, ich denke, das ist auch eine
Verschleierung der sozialen Situation, die wir in Europa haben. Viele Menschen
fühlen sich zu Recht und nachvollziehbarerweise als Verlierer und
Verliererinnen, gleichzeitig ist es nach wie vor auch nach dem Brüsseler
Gipfel, der durchaus eine Aufwertung des Europäischen Parlamentes gebracht hat,
nicht wirklich möglich für den einzelnen Bürger, die einzelne Bürgerin, an
Europa demokratisch teilzuhaben, es gibt keine Öffentlichkeit von
Entscheidungen. Sie wissen, es gibt auch kaum Protokolle von
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