Landtag,
16. Sitzung vom 28.03.2008, Wörtliches Protokoll - Seite 47 von 78
Volksabstimmung über den EU-Reformvertrag verlangt, will nichts anderes, als ihn zum Scheitern bringen! – „Nicht einmal die Hausordnung des Paradieses würde 27 Mal eine absolute Mehrheit erhalten.“ Diese Aussage ist sehr treffend und gut. Sie ist leider nicht von uns, sondern von einem GRÜNEN, nämlich von Johannes Voggenhuber, der über Jahre hinweg an der EU-Verfassung mitgearbeitet hat. – Ich frage Sie: Wenn ein einziges Land und womöglich ein kleines Land 26 andere Länder blockieren kann, weil in einer Volksabstimmung 51 Prozent gegen die Hausordnung des Paradieses stimmen, ist das dann demokratisch?
Bei der Ratifizierung der EU-Verfassung hatten wir
ein ähnliches Problem. Elf Länder hatten bereits dafür gestimmt, darunter
Spanien mit einer Volksabstimmung. Dann haben die Niederländer und Franzosen
dagegen gestimmt, und daraufhin haben die restlichen Länder den
Ratifizierungsprozess ausgesetzt. War das demokratisch? (Abg Mag Wolfgang Jung: Ja!)
Wie erklärt man den Spaniern, die sich in einer Volksabstimmung für
die EU-Verfassung ausgesprochen haben, dass jetzt alles blockiert wird? Ich
halte das nicht für demokratisch! Demokratie ist viel komplizierter.
Sehr geehrte Damen und Herren! Ein anderes Thema: Hat
der Reformvertrag der EU Auswirkungen auf Länder beispielsweise in Afrika, die
Entwicklungs- und humanitäre Hilfe benötigen? – Ja. Mit dem Vertrag von
Lissabon wird zum ersten Mal eine besondere Rechtsgrundlage für humanitäre
Hilfe geschaffen. Durch diese Bestimmung werden die Besonderheit der politischen
Maßnahmen und die Einhaltung der Grundsätze des internationalen Rechts
unterstrichen, vor allem Unparteilichkeit und Nichtdiskriminierung.
Im Reformvertrag heißt es unmissverständlich, dass
die Verringerung und letztlich die Beseitigung der Armut das Hauptziel der
Entwicklungszusammenarbeit der Europäischen Union sind. Dieses Ziel muss man im
Auge behalten, wenn die Union politische Maßnahmen einleitet, die sich auf die
Entwicklungsländer auswirken könnten. Dies bedeutet, dass die Entwicklungspolitik
als eigenständige Politik betrachtet werden muss und nicht als Anhängsel der
gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik behandelt werden darf.
Bei dringend benötigten Finanzhilfen wird der Rat
künftig mit qualifizierter Mehrheit über Vorschläge der Kommission abstimmen.
So sollen Finanzhilfen in Zukunft schneller fließen können.
Im Reformvertrag werden
Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe als Bereiche mit paralleler
Zuständigkeit klassifiziert. Dies bedeutet, dass die Union eine unabhängige
Politik betreibt, durch die weder einzelne Mitgliedsstaaten in der Ausübung
ihrer Zuständigkeiten behindert werden noch die Politik der Union als reine
Ergänzung zu derjenigen der Mitgliedsstaaten fungiert. Das ist eine wesentliche
Verbesserung gegenüber der jetzigen Situation, meine sehr geehrte Damen und
Herren! (Abg Mag Wolfgang Jung: Wie
soll das funktionieren?)
Europäer zu sein heißt,
dieselben Werte zu teilen. EU-Bürger zu sein bedeutet, wichtige Rechte zu
haben. Mit dem Reformvertrag werden diese Rechte nicht nur besser geschützt,
sondern es kommen auch neue hinzu. Die wichtigsten Werte der EU lauten:
Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und
Einhaltung der Menschenrechte. Alle Mitgliedsstaaten teilen diese Grundwerte,
die von jedem europäischen Land, das der Union beitreten möchte, geachtet
werden müssen. Diese Werte zu verbreiten sowie den Frieden und den Wohlstand
der Völker der EU zu fördern, sind die Hauptziele der Union. Ergänzt werden
diese allgemeinen Ziele durch eine Reihe konkreter Ziele wie Förderung der
sozialen Gerechtigkeit und des Sozialschutzes oder Kampf gegen soziale
Ausgrenzung und Diskriminierung.
Mit dem Reformvertrag erreicht der Schutz der
Grundrechte eine neue Qualität. Er ebnet den Weg für die Bestrebungen der
Union, der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und
Grundfreiheiten beizutreten. Darüber hinaus stellt der Vertrag eine Verstärkung
der Charta der Grundrechte dar. Somit erwirbt die EU einen Katalog von
politischen, wirtschaftlichen, sozialen und Bürgerrechten, die nicht nur für
die Union und ihre Institutionen, sondern auch für die Mitgliedsstaaten bei der
Anwendung und Umsetzung des Gemeinschaftsrechts bindend werden.
Alle grundlegenden Rechte sind in der Charta unter
sechs Kapiteln zusammengefasst: Würde des Menschen, Freiheit, Gleichheit,
Solidarität, Bürgerrechte und justizielle Rechte. Sie garantiert zudem Rechte,
die nicht in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert sind,
beispielsweise das Recht auf den Schutz personenbezogener Daten, Rechte im
Bereich der Bioethik oder das Recht auf eine gute Verwaltung.
Erwähnung finden weiters soziale Rechte in
Unternehmen, das heißt, das Recht der Arbeiternehmerinnen und Arbeitnehmer auf
Information sowie auf Kollektivverhandlungen und Kollektivmaßnahmen bis hin zum
Streik.
Bekräftigt werden wichtige Schritte zur Ahndung von
Diskriminierung wegen Geschlecht, Rasse oder Hautfarbe. (Abg Mag Wolfgang Jung: Es gibt keine Rasse! Das ist abgeschafft!)
Spätestens jetzt, sehr geehrte Damen und Herren,
müssen Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker erkennen, dass der
Reformvertrag direkte Auswirkungen auf die Kommunalpolitik hat, und zwar
positive Auswirkungen!
Nicht zuletzt wird mit dem Reformvertrag ein neues
Recht eingeführt, das der Stimme der Bürger in Europaangelegenheiten Gewicht
verleiht. Ein Begehren, das von mindestens einer Million Bürger und Bürgerinnen
aus mehreren Mitgliedsstaaten unterzeichnet wird, kann an die EU-Kommission
gerichtet werden, damit diese einen Vorschlag für einen Rechtsakt unterbreitet.
Sehr geehrte Damen und
Herren! Selten fällt es so leicht zuzustimmen. Selten fällt es so leicht
anzuerkennen, dass viel Positives gebracht wird, nämlich mehr Demokratie, mehr
Gerechtigkeit, mehr soziale Rechte und mehr Einfluss für jede Bürgerin und
jeden Bürger.
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