Landtag,
30. Sitzung vom 26.03.2010, Wörtliches Protokoll - Seite 61 von 82
teilweise sogar mehr oder weniger umgestürzt. Leider Gottes hat das
auch in Wien in der Gesetzgebung Eingang gefunden und wird jetzt noch
verschärft.
Schauen wir uns kurz an, um welche Prinzipien es geht: Jeder Jusstudent
im 1. Semester lernt das, die Grundprinzipien unserer Verfassung und beim
demokratischen Prinzip natürlich auch die Prinzipien unseres Wahlrechtes
gehören zur Einführungsprüfung. Damit erzähle hier nichts außerordentlich Neues
oder außerordentlich Geheimes.
Punkt 1, gleiches Wahlrecht: In Art 26 B-VG und Art 8
Staatsvertrag von Wien ist es normiert. Grundsätzlich soll damit gewährleistet
sein, dass jedem Wähler mit seiner Stimme der gleiche Einfluss gewährt wird.
Das war nicht immer der Fall. Wie Sie wissen werden, hatte auch das
Nationalratswahlrecht früher viele unterschiedliche Stimmgewichtungen. Jetzt
ist es halbwegs angepasst. In Wien kann man noch darüber diskutieren, wie wir
gehört haben, und es gibt auch einen Antrag dazu.
Jetzt hat sich aber ein ganz neues Problem gestellt: Es ist nicht mehr
gewährleistet, dass jede Stimme den gleichen Einfluss und den gleichen
Erfolgswert unter den gleichen Voraussetzungen hat. Es ist nicht zu
gewährleisten, dass nach den vorliegenden Bestimmungen, die wir heute
beschließen sollen, jemand nach Wahlschluss in den Wahllokalen noch
nachträglich wählt. Das ist bei diesen Bestimmungen nicht zu verhindern.
Die meisten beziehungsweise sehr viele Leute werden wahrscheinlich gar
nicht wissen, was eine Erklärung an Eides statt bedeutet. Man muss eine solche
Erklärung abgeben und unterschreiben. Ich weiß es von Berufs wegen, weil ich
damit relativ oft zu tun habe. Ich glaube aber nicht, dass das jeder weiß, und
selbst wenn man es weiß, ist nicht gewährleistet – ganz im
Gegenteil! –, dass trotzdem der eine oder andere denkt: Aha, die Wahl ist
so und so ausgegangen, jetzt werde ich erstens überhaupt wählen, wie Kollege
Margulies gesagt hat, und zweitens weiß ich jetzt auch, wen ich wählen werde.
Das heißt, es bestehen dann ganz andere Voraussetzungen als für einen,
der tatsächlich im Wahlsprengel wählen gegangen ist. Es ergibt sich eine
vollkommene Ungleichgewichtung. Das Grundprinzip des gleichen Wahlrechts wird
pervertiert. Außerdem ist früher noch im Gesetz gestanden, dass die Wahlkarte
rechtzeitig im Postweg ankommen muss. Diese Bestimmung gibt es jetzt auch nicht
mehr. Es heißt nur mehr, dass die Wahlkarte rechtzeitig an die zuständige
Bezirkswahlbehörde zu übermitteln ist, es ist nicht mehr vom Postweg die Rede.
Für Wien gilt auch, dass das bis 14 Uhr am 8. Tag nach der Wahl abgegeben
wird. Das heißt, das richtet sich nicht einmal mehr nach dem Poststempel, damit
man sehen kann, wann das wirklich aufgegeben wurde. – Damit ist also Manipulation
Tür und Tor geöffnet. Das muss jeder sehen! So blind kann man nicht sein!
Ein weiteres Grundprinzip des Wahlrechtes in Österreich ist das
persönliche Wahlrecht nach Art 26 B-VG. Mit diesem Prinzip wird versucht,
eine Verfälschung des Wählerwillens hintanzuhalten. Wir haben keine Gewähr mehr
dafür, dass dieser Wählerwille wirklich unverfälscht zum Ausdruck kommt. Wir
wissen nicht, was geschieht, wenn jemand den Stimmzettel gerade ausfüllt. Wir
wissen es nicht. Wir haben keine Gewähr dafür, dass ein anderer womöglich Druck
ausübt, seinen Überlegungen Ausdruck verleiht und die Hand führt. Das wissen
wir nicht! Das können wir nicht gewährleisten! Wir wissen das dann, wenn jemand
in den Wahlsprengel kommt und allein in die Wahlzelle gehen muss, in dieser das
Kreuzerl macht und den Wahlzettel abgibt. Das ist „persönlich“ im besten Sinne
des Wortes.
Natürlich kann es Ausnahmen geben, aber das sollen auch immer Ausnahmen
bleiben. Wir haben jedoch bei der letzten Volksbefragung gesehen, dass das
nicht mehr Ausnahme, sondern schon Regel war, und das kann es, bitte, nicht
sein!
Die Mechanismen, die jetzt im Gesetzesentwurf enthalten sind, sind
vollkommen ungenügend, um solche Manipulationen auszumerzen beziehungsweise
hintanzuhalten.
Nächstes Prinzip – freies Wahlrecht: In Art 8 Staatsvertrag
von Wien und in Art 3 Erstes Zusatzprotokoll zur Menschenrechtskonvention
ist von der Freiheit der politischen Willensbildung und Reinheit der Wahl die
Rede. Der Wähler soll in seiner Freiheit der Wahl in keinster Weise, weder in
rechtlicher noch in faktischer Weise beeinträchtigt werden. Es gilt das
Gleiche, was ich vorher zum persönlichen Wahlrecht gesagt habe. Man kann es
diesfalls nicht gewährleisten. Selbstverständlich kann man das auch bei der
Stimmabgabe von Auslandsösterreichern nicht gewährleisten, aber das sollte eben
eine Ausnahme sein. Jetzt wird es aber zur Regel. – Ich wiederhole: Wir
wissen nicht, was mit der Stimme geschieht. Sie werden es genauso wenig wissen
wie ich!
Viertes Prinzip – geheimes Wahlrecht, Art 26 B-VG, Art 8
Staatsvertrag von Wien, Art 3 Erstes Zusatzprotokoll zur
Menschenrechtskonvention: Dieser Grundsatz verlangt, dass die Abgabe der Stimme
stets in einer für die Wahlbehörde und die Öffentlichkeit nicht erkennbaren Weise
zu geschehen hat und für andere nicht einsehbar ist. Und auch diesfalls gilt
das Gleiche, was ich vorher gesagt habe: Wir wissen nicht, was geschieht.
Diese Gründe, die ich angeführt habe, und die zitierten Wahlprinzipien,
die gegenwärtig herrschen, machen eine Zustimmung zu diesem Gesetzesentwurf
unmöglich. Das sagen in diesem Fall nicht nur die FPÖ, die Grünen und die ÖVP, sondern das sagen
auch ausgewiesene Verfassungsrechtsspezialisten, die nicht in Verdacht stehen,
mit den Freiheitlichen unter einer Decke zu stecken. Sie wissen es, ich darf es
Ihnen trotzdem noch einmal sagen.
Der Verfassungsrechtler Theo Öhlinger hält die
Briefwahl für nicht unproblematisch. Vor allem sei nicht sicher, ob die
Freiheit der Wahl gewährleistet wird. Auch Verfassungsjurist Heinz Mayer äußert
Bedenken gegen die Briefwahl. Bei dieser Art der Stimmabgabe seien
Manipulationen leichter möglich. Der daraus entstehende Nachteil würde die
Vorteile nicht aufwiegen. – Mayer kennt jeder. (Abg Dr Kurt Stürzenbecher:
Sonst sind Sie aber selten seiner Meinung!) Sehen Sie! Jetzt bin ich
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