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Landtag, 14. Sitzung vom 28.06.2012, Wörtliches Protokoll  -  Seite 23 von 38

 

Gehör. Wir erkennen das Leid an, auch wenn wir es nicht wiedergutmachen können.

 

Die Stadt Wien hat hier alles darangesetzt, die Vorwürfe aufzuarbeiten, die Menschen zu unterstützen, die Opfer zu unterstützen, nach wie vor zu entschädigen. Wir haben den Weissen Ring, wir haben die Historikerkommission unter der Leitung von Frau Barbara Helige, den Opferfonds, und es wird jetzt intensiv daran gearbeitet, auch Täter und Täterinnen auszuforschen. Es wird eine Enquete stattfinden im Herbst, bei der wir über die Aufhebung der Verjährungsfristen sprechen, und zwar mit Experten und Expertinnen der Forensik. Damit wir die Opfer nicht einer weiteren Traumatisierung aussetzen, werden wir schauen, ob es Sinn macht, die Verjährungsfristen aufzuheben. Und es werden die letzten großen sozialpädagogischen Einrichtungen geschlossen.

 

In aller Deutlichkeit möchten wir festhalten, dass vor allem Sie, Herr StR Oxonitsch, hier vorbildlich, offensiv mit dem sensiblen Thema umgegangen sind und umgehen und damit auch einen wichtigen Beitrag leisten, hier aufzuarbeiten, alles aufzuarbeiten. Das heißt, Ihnen gebührt schlichtweg Respekt, und wir sagen an dieser Stelle auch danke schön. (Beifall bei GRÜNEN und SPÖ.)

 

Wien geht hier als Vorbild voran. Was noch fehlt, ist, dass auch die Bundesregierung Verantwortung übernimmt. Wir brauchen dringend eine unabhängige Kommission, die alle Vorwürfe bundesweit aufklärt, Vorwürfe in staatlichen, privaten, kirchlichen Einrichtungen. Wir brauchen einen Opferfonds und eine einheitliche Opfer-Hotline. Wir müssen uns auch über sozialrechtliche Absicherung nichtversicherter Arbeitszeiten von Heimkindern auseinandersetzen, wenn wir uns selbst ernst nehmen mit dem Anspruch, hier alles aufarbeiten zu wollen.

 

Ein weiterer Punkt ist, dass wir alles tun müssen, um die Kinder zu schützen. Die Stadt Wien hat eine unabhängige Ombudsstelle eingerichtet, eine Ansprechperson für die Kinder und Jugendlichen. Es gibt einen Kinderrechtsbeauftragten. Es wird auch standardisierte Interviews geben, damit man Kinder und Jugendliche verstärkt wahrnimmt und mit einbezieht. Und es wird, wie StR Oxonitsch angekündigt hat, auch Veränderungen im Kinder- und Jugendhilfegesetz geben. Das halten wir für wichtig und entscheidend, damit wir Kinder und Jugendliche in unserer Stadt bestmöglich unterstützen. Das ist ein wichtiger Schritt.

 

Die Frage, die aber noch immer offen bleibt, ist: Wie konnte es passieren? Wie konnte dieses Schweigen, dieses System des Schweigens jahrzehntelang passieren? Es ist irrsinnig schwierig, darauf Antworten zu finden, weil – ich habe es schon angedeutet auch bei meiner Frage gegenüber Bgm Häupl – auch der HistorikerInnenbericht eindeutig zeigt, dass es bis heute noch eine Gleichgültigkeit gibt den Kindern und Jugendlichen gegenüber, die so ein massives Leid erfahren haben. Es gibt noch immer dieses pauschale Bild, dass es Jugendliche waren, die gewalttätig, asozial, erziehungsunwillig und gefährlich waren. Und diese Gleichgültigkeit und auch dieses Unverständnis halten noch bis heute an.

 

Wenn Sie diesen Bericht lesen, erkennen Sie ein System der Komplizen, das das über Jahrzehnte getragen hat. Dazu gehören Ärzte, Ärztinnen, Rechtsanwälte, Schulen, die Polizei. Sie alle haben dieses System mitgetragen, dieses System des Schweigens.

 

Wenn Sie sich die Gutachten der Lebensgeschichten der Menschen in diesem Bericht anschauen, erkennen Sie, dass sich die Stigmatisierung weiter fortsetzt in allen Gutachten, diese Pauschalierungen, diese Pathologisierung von Kindern und Jugendlichen in einem kompakten System, das eine totalitäre Institution war.

 

Was heißt das? – Alle Lebenstätigkeiten dieser Kinder und Jugendlichen wurden kontrolliert, und der Bericht hält auch fest, dass diese Gedankenwelt des Katholizismus, des Nationalsozialismus auch nach wie vor anhält. Es gab einen rassenhygienischen Diskurs immer und immer wieder, der zum Beispiel festgehalten hat, dass Verwahrlosung nicht der Fortpflanzung dient und diese moralisch wichtig ist für unsere Gesellschaft.

 

Dieser Diskurs wurde ebenfalls geführt, und wenn Sie sich mit den Berichten auseinandersetzen, erkennen Sie, dass zu Beginn die Kinder oft abgenommen worden sind aus materieller Not, später, weil es Erziehungsschwierigkeiten gegeben hat, vor allem Erziehungsschwierigkeiten der Mutter. Da hat es genügt, dass eine Mutter erwerbstätig war, da hat es genügt, dass ein Vater – ich weiß nicht, was daran so lustig ist – gefehlt hat, die männliche Autorität gefehlt hat. Das hat genügt, um einen Stempel zu bekommen: Das bedeutet Erziehungsschwierigkeiten. Wir brauchen den starken Arm männlicher Autorität, und das ist in diesem Fall der Staat.

 

Bis 1989, meine Damen und Herren, hat eine Mutter sich begutachten lassen müssen, um überhaupt die Vormundschaft für ihre Kinder zu bekommen. Das heißt, dieser bürgerliche einzementierte Wert einer Vater-Mutter-Kind-Beziehung war auch ein Teil des Systems.

 

Warum ich das betone, ist, weil ich es als Auftrag sehe, als Arbeitsauftrag für uns alle, aus diesen Berichten, aus diesen Erfahrungen zu lernen.

 

Vor zwei Tagen hat sich ein Politiker hierhergestellt, hat eine Studie zitiert, in der betont wird, wie sehr Kinder Schaden nehmen, wenn sie in Betreuung kommen – ich spreche von 2012, ich spreche von vorgestern –, wo betont wird, die Kinder brauchen ihre Mütter jahrelang, vielleicht auch ein bisserl die Väter, gebt sie nicht in Betreuung, sie erleiden Schäden, gibt sie nicht Kindergärten, sie erleiden Schäden.

 

Es ist unsere politische Verantwortung, genau hinzuhören, welche Rolle vermittelt wird, welche Gesellschaftsbilder auch heute vermittelt werden. Es ist unser politischer Auftrag, alles zu tun, damit solche Entwicklungen nicht mehr passieren, meine Damen und Herren.

 

Der zweite Punkt, den ich auch sehr entscheidend finde, ist diese Stigmatisierung von Kindern und Jugendlichen damals, die Sprache, die verwendet worden ist, die Vorurteile, die es gegeben hat. Das hat nicht nur Unwissenheit als Ursache gehabt, da wurde dieses Asoziale, diese Gewalttätige weitergezogen bei all den sogenannten Komplizen, die ich vorher genannt habe, bei Ärzten, bei Gutachtern, bei Schulen.

 

Und heute haben wir wieder diese Sprache. Heute

 

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