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Landtag, 4. Sitzung vom 18.03.2016, Wörtliches Protokoll  -  Seite 62 von 251

 

kein Gebrauch gemacht wird. Das wäre ja etwas Interessantes. Gut, wir sind in der Privatwirtschaftsverwaltung, aber es wäre schon ganz interessant zu wissen, in welchen Fällen jetzt Ihre Behörde von der Kann-Bestimmung Gebrauch macht und in welchen Fällen die Bauordnung anzuwenden ist. Wir wissen es nicht!

 

Wir wissen nicht, wie sich die Verfahren entwickeln werden. Wir wissen nicht, ob das nicht ein fixer Textbaustein in einem Bescheidformular sein wird, in dem drinsteht: „Im Übrigen wird gemäß § 71c Abs. 4 oder Abs. 6 auf die Einhaltung der Bestimmungen dieses Gesetzes verzichtet.“ Oder ob man sich da in Zukunft vielleicht ein bisschen mehr Mühe machen wird, ob jetzt die Bauordnung anzuwenden ist oder nicht.

 

Man hat sich von Seiten von Rot und Grün nicht wirklich ernsthaft mit unseren Argumenten auseinandergesetzt. Ich kann jetzt nicht direkt den Kollegen Chorherr ansprechen, ich kann jetzt auch nicht direkt den Kollegen Stürzenbecher ansprechen. (Abg. Dr. Kurt Stürzenbecher, von der Position des Berichterstatters aus: Ich glaube schon!) Ah, doch, kann ich! Er sitzt hinter mir, da ist er nicht so leicht zu sehen.

 

Wenn es wirklich so wäre, dass es nur darum geht, dass man jetzt im Augenblick ein Problem mit Flüchtlingen hat und dass man humane Unterkünfte für die zur Verfügung stellen muss, dann bräuchte ich diese enormen Eingriffe auf Grund von § 71c nicht, sondern würde ich mit dem § 71 der geltenden Bauordnung arbeiten! Dort habe ich ja schon besondere Vorschriften für Bewilligungen für Bauten vorübergehenden Bestandes. (Abg. Mag. Dietbert Kowarik: Gibt es schon!) Ich bräuchte diese Novelle überhaupt nicht.

 

Dort steht also ganz klar drin: Für Bewilligungen von Bauten vorübergehenden Bestandes „gelten die Bestimmungen dieses Gesetzes insofern nicht, als nach Lage des Falles im Bescheid auf die Einhaltung dieser Bestimmungen verzichtet worden ist“. Das heißt, man kann im Bescheid auf bestimmte Bestimmungen der Bauordnung verzichten. Wenn Sie im Gewerbegebiet bauen wollen, oder wenn das Bürogebäude für Flüchtlinge zur Verfügung gestellt werden soll, dann könnte man das schon jetzt auf Grund von § 71 machen.

 

Was allerdings im § 71 drinsteht, ist, dass subjektiv-öffentliche Rechte dem nicht entgegenstehen dürfen. Das macht jetzt den großen Unterschied zu § 71c aus, denn da steht ja drin, dass auch bei der befristeten Baubewilligung bis zu fünf Jahren subjektiv-öffentliche Rechte dem nicht entgegenstehen. Das heißt, es kann in diese subjektiv-öffentlichen Rechte eingegriffen werden.

 

Das ist natürlich enorm, dieser Eingriff bei einem Bau von fünf Jahren. Umso größer ist der Eingriff selbstverständlich bei einer befristeten Baubewilligung von bis zu 15 Jahren. Dort allerdings - das ist schon richtig, das ist auch von Herrn Kollegen Stürzenbecher richtig gesagt worden - muss auf diese subjektiven Rechte der Nachbarn Rücksicht genommen werden. Dort müssen sie berücksichtigt werden und dürfte die Baubewilligung nicht erteilt werden, wenn in solche Rechte eingegriffen wird.

 

Aber: Auch in diesem Fall kann die Anwendbarkeit der Bauordnung ausgeschlossen werden, und ich bin davon abhängig, dass die Behörde das richtig entscheidet! Das heißt, ich kann nicht mehr selbst meine subjektiven Rechte wahrnehmen, sondern die Behörde sorgt dafür, dass meine subjektiven Rechte wahrgenommen werden.

 

Wenn man das Rechtsstaatsprinzip so versteht und die Grundsätze von Ordnung und Humanität so versteht, dann muss ich Ihnen auch sagen, Herr Kollege Stürzenbecher: Das ist halt eine Form von Ordnung, die mich an den Nachtwächterstaat erinnert, an einen Staat, der schon weiß, was für seine Bürger gut ist, der weiß, wann in Rechte eingegriffen wird, und der schon dafür sorgen wird, dass alles gut wird. Davon halte ich herzlich wenig. Ich glaube, dass der Einzelne seine Rechte wahrnehmen können muss, und Voraussetzung dafür ist natürlich, dass die Schutzvorschriften der Bauordnung in jedem Fall anzuwenden sind. (Beifall bei ÖVP und FPÖ.)

 

Im konkreten Fall - und ich komme dann schon auch noch zu den ganz großen Unterschieden zum oberösterreichischen Gesetz und zu den anderen Landesgesetzen - gibt man nur in Wien der Behörde einen Persilschein, eine Generalbevollmächtigung, Bauten jeglicher Art unter Suspendierung der Bauordnung auszuführen. Und zwar ist es tatsächlich so, dass ganz am Anfang, in den ersten beiden Zeilen von Abs. 1 des § 71c, schon beispielhaft die Naturereignisse und die humanitären Gründe aufgezählt sind, das stimmt schon - aber nur demonstrativ, beispielhaft, nicht taxativ und nicht abgeschlossen!

 

Das heißt, dieses Gesetz mit diesen unglaublichen Eingriffsmöglichkeiten gibt es jetzt im Fall von humanitären Erfordernissen oder von Erfordernissen auf Grund von Naturkatastrophen, aber eben nicht nur! Denn grundsätzlich ist die Anwendung dieser Bestimmung immer dann möglich, wenn erstens einmal eine größere Anzahl von Personen unterzubringen ist. Ja, diesen Fall haben wir selbstverständlich jetzt schon verwirklicht, denn auf Grund der völlig unzureichenden Baumaßnahmen und Bauleistung in den letzten Jahren gibt es natürlich wirklich eine Wohnungsnot und ist eine größere Anzahl von Personen unterzubringen. Das heißt, Kriterium Nummer 1 für die Anwendbarkeit ist erfüllt.

 

Kriterium Nummer 2 finden wir in der 2. Zeile. Dort habe ich eine Determinierung mit folgenden Worten: „Auf Grund von bereits eingetretenen oder bevorstehenden Ereignissen“ - also da braucht kein Jurist stolz darauf zu sein, so eine Bestimmung gefunden zu haben, und kein Abgeordneter braucht stolz darauf zu sein, wenn er der Behörde mit so einer Bestimmung eine Generalvollmacht einräumt.

 

Denn was soll das heißen: „auf Grund von bereits eingetretenen oder bevorstehenden Ereignissen“? (Abg. Mag. Dietbert Kowarik: Alles!) Es ist eine völlig inhaltsleere Aussage, es ist alles. Man gibt lediglich vor, dass es Kriterien gibt, auf Grund derer diese Bestimmung anzuwenden ist. In Wahrheit gibt es keine Kriterien! Wir haben jetzt eine große Anzahl von Personen, die auf Wohnungssuche sind, und es gibt bereits eingetretene

 

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