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Landtag, 38. Sitzung vom 27.06.2019, Wörtliches Protokoll  -  Seite 42 von 63

 

schied, ob ein Richter 176 Akte zu bearbeiten hat oder 90.

 

Aber der Aufschrei nach mehr Personal und nach mehr Ressourcen ist in dem Bericht gar nicht so groß, wie es schon in der Vergangenheit der Fall war. Es sind immerhin sechs zusätzliche Richter dazugekommen, wenn auch nicht systemisiert, weil man sagt, es ist nicht gesagt, dass man das über längere Zeit zur Verfügung stellen muss. Es werden jetzt auf Grund der Pensionierungen weniger, jetzt sind in Wahrheit nur drei dazugekommen, aber immerhin.

 

Aber was dem Verwaltungsgericht und der Vollversammlung sehr wichtig ist, ist das, was in einem eigenen Kapitel angesprochen wird, nämlich die richterliche Unabhängigkeit. Ich glaube, da müssen wir auch sehr genau hinschauen und da müssen wir auch genau lesen, was da drinnensteht. Da lesen wir schon, dass es eine Beschwerde über den Bestellungsmodus der Richter gibt. Da lesen wir schon, dass der Umstand, dass die Landesregierung nicht an die Dreiervorschläge des Personalausschusses gebunden ist, eine verfassungsrechtlich bedenkliche Regelung ist. Es ist wirklich seltsam, zu welcher Variante man sich in Wien entschlossen hat, nämlich neben diesem Dreiervorschlag des Personalausschusses noch ein weiteres Auswahlverfahren ins Leben zu rufen, um gar nicht gebunden zu sein oder sich an die Dreiervorschläge, die vom Personalsenat kommen, als nicht gebunden zu erachten

 

Was sagt die Landesregierung dazu in Ihrer Stellungnahme? Die Landesregierung verweist auf Art. 134 der Bundesverfassung, wo es heißt, die Landesregierung hat Dreiervorschläge einzuholen. Ja, die Landesregierung meint, die werden eh eingeholt, die Dreiervorschläge. Wenn wir uns daran nicht halten und nicht eine Person aus diesem Dreiervorschlag ernannt wird, dann haben wir trotzdem den Dreiervorschlag eingeholt, ist somit Teil des Verfahrens geworden, und wir haben der Bundesverfassung entsprochen.

 

Ich sehe das kritisch, nicht nur ich sehe das kritisch, sondern es sieht auch der Europarat sehr kritisch. Es hat sich mit dieser Organisationsform und mit dieser Bestellungsform bereits der Europarat beschäftigt. Es gibt eine Stellungnahme der Expertengruppe Beirat europäischer Richterinnen und Richter vom 29. März 2019 und da steht drinnen, dass diese Regelungen die Unabhängigkeit des Gerichtes gefährden können und die Gefahr eines unzulässigen Eingriffs besteht.

 

Der Europarat hat sich ein zweites Mal mit dem Bestellungsmodus von Richtern auseinandergesetzt, und zwar im Zusammenhang mit der ungarischen Justizreform, die mittlerweile zurückgezogen worden ist, und zwar war das die sogenannte Venedig-Kommission des Europarates. Sie heißt offiziell Kommission für Demokratie und Recht und hat sich angesehen, was mit dieser ungarischen Justiz geplant war. Da hat man zwei Dinge besonders kritisiert, nämlich dass ein Präsident im nationalen Richteramt eingesetzt wird, vorgesehen wird, der alleine über die Bestellung der Gerichtspräsidenten entscheidet. Weiters wurde kritisiert, dass es ein Vetorecht bei jeglicher Richterbestellung gibt. Das heißt, es gab einen unmittelbaren Einfluss der Exekutive auf die Bestellung der lokalen Präsidenten und auf die Ernennung und Bestellung aller Richter in der Art und Weise, dass einzelne Richter abgelehnt werden konnten.

 

Auf Grund dieser Kritik, die es gegeben hat, ist die ungarische Justizreform zurückgezogen worden. Die Kommission für Demokratie und Recht hat gesagt, der Rechtsstaatlichkeitstest ist nicht bestanden worden.

 

Sehr geehrte Damen und Herren! In Wien ist die Situation viel dramatischer. Dort ist es nicht so, dass die Landesregierung ein Vetorecht gegen einen der drei vorgeschlagenen Richter hat, dort kann die Landesregierung eine ganz andere Person bestellen, die überhaupt nicht vorgeschlagen worden ist. Das muss man sich schon auf der Zunge zergehen lassen. Ich glaube, es wäre wichtig, dass wir noch einmal über den Bestellungsvorgang eingehend diskutieren. Ich halte es für sehr problematisch, wenn dies in der Art und Weise bestehen bleibt.

 

In der Praxis ist es so, dass man sich regelmäßig an den Dreiervorschlag hält, zumindest in letzter Zeit. Es war aber nicht immer so. Es hat also auch schon andere Bestellungen gegeben. Man fragt sich natürlich, es gibt ja nur zwei Möglichkeiten: Entweder ich halte mich an diesen Dreiervorschlag, dann brauche ich ein zweites Verfahren nicht, das parallel dazu geführt wird, oder ich halte mich nicht an diesen Dreiervorschlag, dann besteht aber die große Gefahr, dass die Unabhängigkeit dieses Gerichtes nicht mehr gegeben ist und eine Verletzung von Art. 6 der Menschenrechtskonvention vorliegt, und sich einmal in Straßburg der Menschenrechtsgerichtshof damit beschäftigen könnte oder in Luxemburg der Europäische Gerichtshof.

 

Was ist der Vollversammlung noch sehr wichtig? - Das Disziplinarrecht. Über das Disziplinarrecht kann natürlich auch die Exekutive, der Rechtsträger, das Land, die Landesregierung direkt, aber mehr noch indirekt, Einfluss auf das Judizieren im Verwaltungsgericht Wien nehmen. Wir hören, dass es tatsächlich im Berichtsjahr ein Disziplinarverfahren gegeben hat, dieses Disziplinarverfahren auf großes Unverständnis bei vielen Richtern gestoßen ist und dass nach wie vor große Auffassungsunterschiede zwischen dem die Dienstaufsicht ausübenden Präsidenten und großen Teilen der Richterschaft bestehen. Das Verwaltungsgericht würde gerne die Bestimmungen des Disziplinarverfahrens überarbeiten. Insbesondere möchte man, dass die Disziplinaranwältin der Stadt Wien nicht gleichzeitig Organpartei im Beschwerdeverfahren vor dem Dienstrechtssenat und Anklägerin gegen Richter im richterlichen Disziplinarrecht ist.

 

Was sagt die Landesregierung in ihrer Stellungnahme dazu? - Alles nicht so schlimm, denn gibt es den Verdacht einer Dienstpflichtverletzung, dann erstattet ja die Anzeige nicht die Disziplinaranwältin, sondern der Präsident des Gerichtes. Ja, das ist richtig, die Anzeige bei vermuteten Dienstverfehlungen wird tatsächlich vom Präsidenten erstattet, aber die Disziplinaranwältin entscheidet darüber, ob Anklage gegen einen Beamten erhoben wird oder ob das Verfahren eingestellt wird. Das

 

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