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Landtag, 42. Sitzung vom 28.01.2020, Wörtliches Protokoll  -  Seite 48 von 72

 

schaftliche Verflechtung und Bündnispolitik keine Garantien für Frieden sind, und zweitens, dass gewalttätige Auseinandersetzungen nicht unbedingt ausschließlich zwischen Nationen respektive zwischen Staaten stattfinden müssen. Während also unter dem Dach der Europäischen Union beziehungsweise als solche eine institutionelle Balance zwischen souveränen Staaten zu finden versucht wird, reißen tiefe emotionale Fragen über Staatsgrenzen hinweg auf. Das sind Fragen der Identität, das sind Fragen ökonomischer Ungleichheit, das sind Fragen des Gegensatzes von liberaler/illiberaler Demokratie, das sind Fragen zum kulturellen Erbe Europas und das sind Fragen zur ökologischen Verantwortung. All diesen Fragen kann nur begrenzt mit institutionellen Mitteln entgegengewirkt oder begegnet werden, es geht hier nämlich nicht nur um nüchterne Staatsinteressen, sondern es geht gewissermaßen um ein Gefühl, das die Bürger Europas haben, es geht um Emotionen, es geht um Einstellungen.

 

Bei der Überwindung dieser Gräben kann Österreich und leistet Österreich einen sehr bedeutenden Beitrag, nämlich nicht nur, wenn es darum geht, Fehlentwicklungen aufzuzeigen, teilweise auch als Erste in der Europäischen Union, Stichwort Migration, sondern auch, wenn es darum geht, für Dialog zu sorgen zwischen dem, was historisch bedingt als Osten und dem, was historisch bedingt als Westeuropa bezeichnet wird. Denn an dieser Bruchlinie - unter Anführungszeichen - sehen wir ja die großen, thematischen Herausforderungen: Das ist das Thema Migration, das ist das gemeinsame Verständnis von Rechtsstaatlichkeit, das ist ein Ausgleich zwischen Umweltschutz und Wirtschaftswachstum. Hier leistet Österreich einen ganz, ganz wichtigen Beitrag im Dialog mit den Visegrád-Staaten, und ich glaube, dass das ein weiterer Punkt ist, wo Österreich in der Europäischen Union eklatant fehlen würde.

 

Dieser Brückenbau ist nicht nur in der historischen Rolle Wiens begründet, sondern sehr wohl auch in seiner aktuellen. Wien hat sehr florierende Delegationsbesuche, es ist sehr viel Interesse daran da, wie wir das in Wien machen. De facto hat Wien natürlich wirtschaftliche Vorteile durch die Osterweiterung, sehr wohl aber auch Herausforderungen. Ich möchte hier zum Stichwort Migration ein Beispiel herausgreifen, und zwar ausschließlich deswegen, weil das die größte Volksgruppe aus Osteuropa ist, nämlich jene der Rumänen. Bei den rumänischen Staatsbürgern hat sich die Anzahl seit dem EU-Beitritt 2007 bis 2019 von 7.400 auf 34.300 Menschen erhöht, das ist eine Verfünffachung. Insgesamt leben 40.000 Menschen mit rumänischer Herkunft aktuell in Wien. Und ja, das sind benötigte Pflegekräfte und ja, das sind Handwerker und Fachkräfte, die am österreichischen Arbeitsmarkt gesucht werden, aber das sind auch Menschen, die integriert werden müssen, und das sind auch Menschen, die sozial abgesichert werden müssen.

 

Das heißt, fraglos bedeutet die Osterweiterung für Wien nicht nur Wachstum, sondern auch Herausforderung für den Arbeitsmarkt. Ich möchte die Studie der Synthesis Forschung GmbH zitieren. Sie ist im Auftrag des AMS 2019 erstellt worden und kommt zu dem Schluss: „Im Jahr 2019 werden rund drei von vier zusätzlichen Beschäftigungsverhältnissen mit Personen besetzt sein, die eine andere als die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen“, großteils davon aus den neuen Mitgliedsstaaten des Ostens. Die Osterweiterung ist damit eine Herausforderung für die Wiener Arbeitsmarktpolitik, für die Wiener Integrationspolitik, für die Wiener Sozialpolitik, aber nicht zuletzt für die Wiener Bevölkerung, die aktuell mit großem Erstaunen sieht, wie schnell unsere Stadt wächst und wie rasant sie sich verändert. Und dennoch, ungeachtet all dieser Herausforderungen ist die Zustimmung zur Europäischen Union noch höher als sie zu Zeiten des EU-Beitritts war. Im Mai 2018 maß Eurostat in einer Umfrage 80 Prozent Zustimmung zu der Aussage, dass der EU-Beitritt damals die richtige Entscheidung war.

 

Ist die EU-Erweiterung Richtung Osten nun mehr oder weniger abgeschlossen, ist das nächste Erweiterungskapitel der Westbalkan. Gerade die vorhin erwähnten Argumente, nämlich Migration oder Arbeitsmarktzugang, werden gerne als Argumente gegen eine Westbalkan-Erweiterung ins Treffen geführt. Ich möchte auch überhaupt nicht leugnen, dass es auch darüber hinaus Bedenken geben darf und diese auch artikuliert und diskutiert werden müssen, aber es gibt genauso gewichtige Argumente für die Erweiterung der Europäischen Union auf den Westbalkan, und diese Argumente sind besonders für Ostösterreich wichtig. Da ist natürlich erstens die wirtschaftliche Dimension, das heißt, die Schaffung von Rechtssicherheit und irgendwann einmal eines gemeinsames Wirtschaftsraumes. Da ist die idealistische Dimension - unter Anführungszeichen -, die EU als Stabilitätsgarantin, als Friedensprojekt und als Wohlstandsbringerin auch für die Bevölkerung der südosteuropäischen Länder, und da ist die - ich nenne es - realpolitische Dimension, nämlich die außenpolitischen Interessen der EU.

 

In dieser außenpolitischen Dimension geht es hauptsächlich um Einflussgebiete. Der Balkan war in der Vergangenheit immer der Raum, wo verschiedene Großmächte um Einfluss kämpften, war das damals das zaristische Russland, die Habsburgermonarchie oder das Osmanische Reich. Und ich frage Sie, welches Land könnte sich mehr oder besser mit Großmachtpolitik auf dem Westbalkan auskennen, als das Österreich ist - unsere Geschichte ist durchdrungen oder eng verknüpft mit der Geschichte des Westbalkans -, denn heute sieht es nicht anders aus mit außereuropäischen Einflussgebieten am Westbalkan, sei das arabischer oder türkischer Einfluss, also eine religiöse Konnotation, sei das wirtschaftliche Einflussnahme, mit Stichwort China, oder sei das nationalistische Einflussnahme, Stichwort Russland.

 

Es ist also im ureigenen außenpolitischen Interesse der Europäischen Union, unsere Werte, unser Einflussgebiet, unsere Werte Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und effektive Korruptionsbekämpfung als EU in unsere unmittelbare Nachbarschaft zu expandieren, und das sowohl institutionell als auch ideologisch. Und ich weiß, das wird gerne ein wenig belächelt, wenn wir Europäer

 

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