Landtag, 12. Sitzung vom 28.04.2022, Wörtliches Protokoll - Seite 28 von 101
bringen!“ - Ich frage mich, was das soll, außer Geld für die Rüstungsindustrie zu bringen. Und denjenigen, die jetzt rufen: „Raus aus dem Gas aus Russland!“, möchte ich entgegenhalten: Besser raus aus dem Krieg! Das sollte unser Konsens sein.
Das für mich wirklich Enttäuschende ist, dass in der ganzen Situation das Wort Frieden immer weniger in den Mund genommen wird. Sogar Selenskyj, der am Anfang noch von Frieden gesprochen hat, ist derjenige, der in die internationale Staatengemeinschaft hinausruft: „Bringt mir schwere Waffen!“ - Ich halte das für einen völlig falschen Weg. Erstens ist es naiv, wenn man glaubt, dass als Antwort auf die immer schwereren Waffen die Russen dann vielleicht hier Wattebällchen zurückwerfen werden. Nein, das ist nicht der Fall. Es wird diese kriegerische Auseinandersetzung eskalieren. Europa, und damit Österreich und unsere Heimatstadt Wien, wird damit auch zu einem Leidtragenden werden. Mir gefiele viel mehr, wenn Wien - als Hauptstadt des neutralen Österreich, als UNO-Standort, OSZE-Standort - sich anbietet, hier Friedensverhandlungen zu führen, nicht im NATO-Staat Türkei, sondern auf Wiener Boden. Und da dachte ich ja schon fast, dem Nehammer, dem Bundeskanzler - ich will nicht respektlos sein - sei hier Besonderes gelungen nach seiner PR-Aktion mit Selenskyj in Kiew, dass er über diplomatisch diskrete Kanäle mit den Russen vereinbart haben könnte, die Friedensverhandlungen nach Wien zu holen, und wir mit unserer geschichtlichen Tradition, wir mit unserem Ruf als Ort der Vermittlung und als eine Drehscheibe zwischen Ost und West es moderieren können, Gastgeber sein können für Verhandlungen mit dem Ziel, dass möglichst rasch die Waffen niedergelegt werden und das Sterben beendet wird.
Die Enttäuschung war natürlich eine große, als dann bekannt wurde: Nehammer flog zu Putin und Nehammer hat Putin ausgerichtet, dass er ein böser Bub ist und dass er das unterlassen soll, und Nehammer ist wieder nach Hause geflogen. - Also so eine lächerliche Aktion sucht sicher ihresgleichen.
Jetzt sind wir bei weiteren strukturellen Fehlern, die auf Grund einer europäischen Dynamik passieren. Wir sind etwa bei der Frage des EU-Beitritts der Ukraine. Ich muss sagen, ich war viele Jahre lang der Obmann der ukrainisch-österreichischen parlamentarischen Freundschaftsgruppe und war drei, vier Mal in Kiew, und ich mag die Menschen dort. Das ist eine europäische Prägung, und dass die eine Langfristoption haben, Teil dieser europäischen Völkerfamilie zu werden - natürlich. Sie haben sie aus meiner Sicht - die Türken nicht, das ist ein anderes Problem, aber die Ukrainer haben sie mit Sicherheit.
Nur - jetzt bin ich beim Nur -: In der Situation einer kriegerischen Auseinandersetzung das aufs politische Tapet zu bringen, halte ich für Irrsinn. Und ich halte es auch für Irrsinn, nachdem die Europäische Union all ihre Regeln gebrochen hat, die man nur brechen kann - ich beginne beim Maastricht-Vertrag, der durch die Verschuldung in Wahrheit obsolet und gebrochen ist, ich gehe weiter über den Schengen-Vertrag, der in der Migrationskrise von 2015 bis jetzt de facto keine Bedeutung mehr hat, bis hin zu vielen anderen Regelwerken, die gebrochen worden sind -, dass man ein ganz zentrales Postulat des EU-Regelwerkes, nämlich die Kopenhagener Kriterien, die Voraussetzung sind dafür, Mitglied in der EU werden zu können, jetzt auch nimmt und in den Mistkübel haut, sie irgendwo versteckt - sie sind auf einmal völlig bedeutungslos -, um eine weitere geostrategische Überlegung, die wiederum im Interesse der Amerikaner liegt, umzusetzen, die mit Sicherheit aber nicht im Interesse Europas liegt.
Und jetzt bin ich bei der Situation der Energieversorgung von Österreich und Wien, weil wir besonders stark vom russischen Gas abhängig sind - 80 Prozent der Gasimporte in Österreich kommen aus Russland, wir haben Österreich-weit die Situation, dass 900.000 von 4 Millionen Haushalten Gas benötigen - für Heizung und weitere Energieverwertung -, und wir haben in Wien die Situation, dass - Sie wissen das sicher besser als ich - 400.000 Haushalte mit Gas heizen. Jetzt kann man sagen: Wir steigen aus aus dem Gas, und bis 2027 schaffen wir das irgendwie! - Ich glaube nicht, dass das bis 2027 zu schaffen ist, aber was passiert denn jetzt, wenn wir weiter auch in den Ruf einstimmen, schwere Waffen in die Ukraine hineinzubeordern? - Wir verlieren immer mehr unsere Rolle als neutraler Staat. Vielleicht geht es dann Österreich auch so wie den Polen oder den Bulgaren, dass dann die Gasleitungen abgedreht werden - und wenn das der Fall sein sollte, hat Wien ein gigantisches und ein riesiges Problem. Ich warne daher eindringlich davor, hier quasi mit dem Feuer zu spielen, denn ein derartiger Schritt wäre in ganz, ganz negativem Interesse unserer Stadt. Abgesehen davon, dass die Menschen dadurch, dass die Heizungen nicht mehr entsprechend zu bedienen sind, darunter litten, wäre es ein gigantischer Schlag in Richtung Wirtschaft und in Richtung Industrie. Ich halte das daher für falsch, und ich sage das noch einmal: Jetzt ist die Stunde, wo Wien als Sitz der Vereinten Nationen und der OSZE sich endlich anbieten möge - aber das ist jetzt nicht an den Bürgermeister gerichtet, sondern an die Bundesregierung gerichtet -, hier Friedensverhandlungen zu führen, den klaren Ruf in die Welt hinauszuschallen, die Waffen niederzulegen, das Sterben zu beenden und mitzuhelfen dabei, dass diese Welt wieder normaler wird und Frieden wieder definiert.
Ich habe es auch für schlecht gefunden, als die Österreichische Bundesregierung in einer Panikaktion, so wie viele andere Staaten der EU, den russischen Botschafter abberufen hat. Da kann man sagen: Schön, den russischen Botschafter, den berufen wir ab - nur gibt es immer Reaktionen darauf. Die Reaktion darauf ist halt jene, dass in Moskau der österreichische Botschafter abberufen wird und damit jene Menschen und vor allem Betriebe, die immer noch wirtschaftlich dort tätig sind, vielleicht auch Sorge haben, Ansprechpartner in Österreich brauchen, damit dann keine Ansprechpartner mehr haben. Was diese Aktion soll, die diplomatischen Kanäle zum Versiegen zu bringen, möge mir einmal jemand erklären.
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