Gemeinderat,
10. Sitzung vom 23.1.2002, Wörtliches Protokoll - Seite 20 von 56
Investitionsmaßnahmen, die der eigenen Wirtschaft zugute
kommen. Das wäre eigentlich zu erwarten gewesen in einem Konjunkturprogramm.
Jedenfalls kann ich sagen: Es ist halbherzig, es
kommt zu spät - das ist nicht nur meine persönliche Meinung, das sagen viele
Wirtschaftsexperten -, und wenn man beurteilt, welchen Schaden die Bundesregierung
mit ihrem Belastungspaket, mit dieser Steuerquote angerichtet hat, dann kann
man nicht davon sprechen, dass dieses Konjunkturpaket in Wirklichkeit eine
tätige Reue wäre.
Letztlich - und das muss man dazusagen - geht es zu
einem Großteil auf die Kappe der Bundesregierung, dass wir derzeit, meine sehr
geehrten Damen und Herren, wieder rückversetzt sind in eine Zeit vor sieben
Jahren, 1994, also vor dem Beitritt zur Europäischen Union, dass die
Inflationsrate derart hoch war. Eigentlich war es bisher ein wesentlicher
Nebeneffekt des Beitritts zur Europäischen Union, dass die Inflationsrate in
Österreich ähnlich niedrig war wie in den anderen EU-Ländern. Jetzt haben wir
zum ersten Mal die Situation, dass die Inflationsrate mit 2,7 Prozent
wieder so hoch ist.
Und jetzt sage ich eine persönlich Bemerkung: Ich
habe das wirklich nicht verstanden, Herr Dr Görg, dass Sie die Abgeltung der
Inflationsrate durch die Stadtregierung den Gemeindebediensteten nicht gegönnt
haben. Bei einer derart massiven Inflationsrate war es einfach gar nicht möglich
zu sagen, das haben wir irgendwann einmal anders ausgemacht. Aber Tatsache ist,
dass eine Abgeltung in diesem Umfang sozial gerechtfertigt ist.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das österreichische
Dilemma - ich möchte das auch einmal klar sagen - ist nicht das Nulldefizit,
ist nicht das Bemühen um eine stabile Budgetpolitik, sondern das Dilemma ist,
dass dieses Nulldefizit einnahmenseitig durch eine Steuerquote hergestellt
wird, die alle erschreckt, die alle spüren und wo wir in Wirklichkeit sagen
müssen, Österreich ist auf Grund dieser Steuerquote zum weltweiten
Spitzenreiter, was die Steuerbelastung anlangt, aufgerückt. Es ist so, als wenn
das Programm der Bundesregierung wäre: Spitzensteuersatz für alle. In der
Situation befinden wir uns.
Ich glaube, dass diese hohe Inflationsrate, die von
der Europäischen Kommission kritisiert wird, die die Menschen ja auch spüren,
die tatsächliche Ursache dafür ist, dass sich viele Dinge nicht so entwickelt
haben, wie in Zeiten, wo wir diese Belastungen nicht gehabt haben.
Und Dilemma zwei ist nicht, meine sehr geehrten Damen
und Herren, dass der Finanzminister sich bemüht, an diesem Nulldefizit
festzuhalten, sondern dass er verfügbare Mittel, Milliarden, die durch
Mehreinnahmen hereingekommen sind, offensichtlich in Spekulation mit einem
Wahljahr 2003 - das kann sich geschwind ändern, das wissen wir schon, dass da
plötzlich eine Diskussion ausgebrochen ist - auf die hohe Kante legt, statt
dieses Geld hier unmittelbar einzusetzen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sind
bereit, die Wiener Stadtregierung ist bereit, alle finanziellen Möglichkeiten
voll auszuschöpfen, um unseren Beitrag zu einem effizienten Konjunkturprogramm
zu leisten. Wir könnten noch mehr tun, ich füge das hinzu, wenn wir tatsächlich
in der Lage wären, jene Budgetmittel zu haben, die der Finanzkraft unseres
Wirtschaftsstandorts Wien entsprechen. Wir sind Nettozahler. Ein Teil der
Finanzkraft unserer Stadt kommt anderen Bundesländern und dem Bund zugute.
Umso mehr verlangen wir auch eine Gemeinsamkeit, eine
Solidarität des Bundes unserer Situation gegenüber. Und ich glaube, dass es
notwendig ist, sich dagegen zu wehren, wie das jetzt offenbar das Spiel Igel
und Hase sein soll, nämlich dass die Wiener Stadtregierung, der Wiener Steuerzahler
sich ausblutet, alles unternimmt, und die Bundesregierung sich zurücklehnt und
sagt: Das geht uns nichts an. Das ist zwar nach der Bundesverfassung unsere
Aufgabe, aber wir haben ja das Nulldefizit sicherzustellen.
Und im Vergleich, meine sehr geehrten Damen und
Herren, mit dem Vorgehen anderer Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ist es
ziemlich deutlich, dass eine aktive, antizyklische Konjunktur- und
Beschäftigungspolitik auch unter ungünstigen Wirtschaftsbedingungen dazu
beitragen kann, die Wirtschaftsentwicklung anzukurbeln, und dass das nicht
automatisch bedeutet, dass man deswegen Schulden machen muss. Ich lasse nicht
den Einwand gelten, wir können keine Konjunkturpolitik machen seitens der
Bundesregierung, denn wir dürfen ja keine Schulden machen. Es geht beides und
man kann das anhand einer Reihe von Beispielen deutlich machen. (Beifall bei der SPÖ.)
Wir verlangen daher, dass der Finanzminister das tut,
was in der vorangegangenen Regierungskoalition auf Bundesebene auch gemacht
worden ist: eine Steuerreform, die Impulse gibt für die Entwicklung der
Wirtschaft. Und er hat die Mittel dazu, eine solche Steuerreform zu machen.
Und an die Adresse der hier versammelten Parteifreunde
der Regierungsmitglieder möchte ich eine Bitte richten. Statt dass Sie sich
hier bemühen, mit der Lupe nach irgendwelchen Verschuldenselementen in Wien zu
suchen: Machen Sie Druck auf die Bundesregierung, dass sie die letzte Chance
nützt, die noch besteht, durch eine gemeinsame Aktion in ganz Österreich, zu
einer Verbesserung der Konjunktur- und Wirtschaftslage und der
Beschäftigungslage beizutragen. Das wäre die Aufgabe der Stunde, dieses Augenblicks!
(Beifall bei der SPÖ.)
Vorsitzende GRin Josefa Tomsik: Ich danke Herrn VBgm Dr Sepp Rieder für den Bericht.
In der Präsidialkonferenz vom 21.1.2002 wurde vereinbart,
die Debatte über das vom ÖVP-Klub der Bundeshauptstadt Wien gestellte Verlangen
betreffend "Steigende Arbeitslosigkeit in Wien - Forderung nach einem
Sofortmaßnahmenpaket der Wiener Stadtregierung" und die Besprechung der
Mitteilung des Herrn amtsführenden Stadtrats der Geschäftsgruppe Finanzen,
Wirtschaftspolitik und Wiener Stadtwerke in einem abzuführen.
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