«  1  »

 

Gemeinderat, 18. Sitzung vom 26.06.2002, Wörtliches Protokoll  -  Seite 26 von 74

 

von Ihnen unterbrechen lassen. Sie entschuldigen, dass ich im Rahmen meiner Wortmeldung nicht auf Sie eingehe. (GR Gerhard Pfeiffer: Gut!)

 

Kommen wir zurück zu den Fragen. Zunächst einmal zu den Interessen des amerikanischen Investors. Ja, der Vertrag selbst, der hier liegt, ist hieb- und stichfest. Der sagt nichts anderes, als dass eine amerikanische Scheinfirma - überspitzt formuliert -, arrangiert durch eine australische Großbank, wo die unterschiedlichsten Depots möglicherweise immer wieder verlegt werden können, je nachdem, wann sich die Steuergesetzgebung verändert, Hauptmieter des Wiener Kanalsystems wird und dieses an die Stadt Wien zurückvermietet. Das ist ein reines Luftgeschäft, ein Scheingeschäft. Die Einzigen, die tatsächlich zahlen, sind die amerikanischen Steuerzahler.

 

Jetzt könnte man natürlich sagen: Was tut uns das weh, wenn die amerikanischen Steuerzahler etwas zahlen, wenn die amerikanischen Steuerzahler unser Kanalnetz finanzieren und dafür halt über Jahrzehnte hinweg ihr eigenes Kanalnetz vernachlässigen, ihre eigenen Bildungsausgaben vernachlässigen und ihre Gesundheitsausgaben vernachlässigen?

 

Ein breiter Teil der Bevölkerung, der in den Vereinigten Staaten lebt, lebt in Wirklichkeit in Umständen, wie sie normalerweise nur für Länder der Dritten Welt Gültigkeit haben. So ist die Situation in den Vereinigten Staaten, im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Es ist nicht so, dass dort Wohlstand und Reichtum für alle herrscht, sondern es ist so, dass gerade in den Vereinigten Staaten die Schere zwischen Arm und Reich erheblich weiter auseinander geht und dass die Armut gerade in den Vereinigten Staaten deshalb stärker zu Buche schlägt, weil es in vielen für uns selbstverständlichen Bereichen keine öffentliche Bereitstellung von Dienstleistungen gibt. (VBgm Dr Sepp Rieder: Vielleicht haben die Amerikaner weniger für die Rüstung ausgegeben!) Das große Problem der Geschichte der Vereinigten Staaten ist, dass immer zuerst bei den Sozialausgaben gespart wurde, Herr Dr Rieder, und nicht bei den Rüstungsausgaben. Das heißt, wenn die Vereinigten Staaten weniger Mittel ausgeben, dann war es immer so, dass dies im weitesten Sinne bei den Sozialausgaben und nicht bei den Rüstungsausgaben war. Daher lassen wir das einmal weg, aber das ist nur ein kleiner Punkt in einer globalen politischen Überlegung.

 

Ein zweiter Punkt sind - wir haben das gestern ausführlich besprochen - die Verhandlungen im Zuge der WTO, im Zuge des GATS-Abkommens, wo es um eine langfristige, nicht reversible Liberalisierung, Deregulierung von öffentlichen Dienstleistungen, mit dem Ziel, die Gewinne aus öffentlichen Dienstleistungen de facto dem privaten Kapital zukommen zu lassen, und dass die Aufgabe der öffentlichen Hand bestenfalls die Verwaltung von Rumpfversorgungssystemen darstellt, geht, so wie es gegenwärtig im Großen und Ganzen in der USA schon der Fall ist. Was überlegen sich die USA im Rahmen ihrer Steuergesetzgebung dazu? - Sie wissen, dass sie damit nur Unternehmen begünstigen und de facto Kanalsysteme in Wien und Autobahnen anderswo immer mitfinanzieren. Aber sie bekommen für diese internationalen Verhandlungen den Fuß in die Tür. Amerikanische Investoren, Lobbyisten und auch Politiker können sich im Rahmen von Deregulierungsverhandlungen hinstellen und sagen: "Was wollt ihr, wir sind diejenigen, die den Wienerinnen und Wienern ihr Kanalnetz bereitstellen." Da spielt es doch aus dem Blickwinkel dieser Investoren keine Rolle, dass Sie erwidern werden, wir haben es vorher den Amerikanern verleast. Sie stellen sich auf die Position, die amerikanische Wirtschaft stellt schon in vielen Bereichen Europas öffentliche Dienstleistungen zur Verfügung unter dem Motto: "Ihr seht, es funktioniert. Was spricht denn dann dagegen, dass wir genau diese öffentlichen Dienstleistungen privatisieren?"

 

Was jedoch das Privatisieren der Daseinsvorsorge längerfristig bedeuten kann, habe nicht nur ich, sondern hat am 30. Jänner - ich habe Ihnen das gestern gesagt - auch Bgm Häupl sehr ausführlich dargestellt. Unter diesen Gesichtspunkten muss man ihn langsam aber sicher zu fragen beginnen: Sind es kurzfristige 30 bis 50 Mill-ionen EUR tatsächlich wert, ein Gesellschaftssystem zu vertreten, welches unter den globalen Rahmenbedingungen des Neoliberalismus einzig darauf drängt, die öffentliche Bereitstellung von sozialen Dienstleistungen, von Umweltdienstleistungen zurückzudrängen? - Dazu sagen wir Nein. Wir glauben heute, dass man als Politiker, Politikerin, als Gemeinderat, Gemeinderätin der Stadt Wien nicht sämtliche moralischen, ethischen und politphilosophischen Ansprüche, die man hat, über Bord werfen kann, nur um kurzfristig finanzielle Mittel zu lukrieren.

 

Die Stadt Wien - wie wir gestern klar und deutlich gehört haben - steht nicht vor dem Bankrott, wo man möglicherweise als Ausrede sagen könnte, es ist lebensnotwendig für die Stadt Wien. Der Herr Finanzstadtrat hat gestern ausführlich klar und deutlich im Zuge des Rechnungsabschlusses dargelegt, es gibt einen Budgetüberschuss, einen administrativen Überschuss, einen Maastricht-Überschuss. Die Entwicklung der Stadt Wien deutet darauf hin, dass sich alles zum Positiven bewegt. Das heißt, der unbedingte Grund, dass Wien sich in Finanznöten befindet und diese Cross Border Leasing wäre der einzige Ausweg, um die fehlenden Stücke des Kanalnetzes im 21. und im 22. Bezirk zu realisieren, ist, würde ich eher sagen, eine vermessene Ausrede. Wenn es uns darum geht - und ich glaube, es ist wichtig, dass auch in den verbleibenden Teilen Wiens, im 21. und im 22. Bezirk das Kanalnetz hergestellt wird -, dann machen wir es. Wir werden die finanziellen Mittel finden. Aber opfern wir für dieses Finden nicht sämtliche Ansprüche an einen langfristigen Zeithorizont, wenn man versucht, längerfristig soziale und öffentliche kommunale Dienstleistungen zu sichern. (GR Dr Wilfried Serles: Das sind aber krause Verschwörungstheorien!)

 

Es geht nicht um krause Verschwörungstheorien, wenn man versucht, die letzten 20 Jahre Revue passieren zu lassen, und das sind nur 20 Jahre, aber

 

«  1  »

Verantwortlich für diese Seite:
Stadt Wien | Geschäftsstelle Landtag, Gemeinderat, Landesregierung und Stadtsenat (Magistratsdirektion)
Kontaktformular