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Gemeinderat, 23. Sitzung vom 17.01.2003, Wörtliches Protokoll  -  Seite 30 von 32

 

zu den merkwürdigen Differenzen von Tarifen für erbrachte Leistungen und zu der merkwürdigen Einrichtung der Pensionistenklubs. Aber in der nächsten Zeit werden wir Sie sicher immer wieder an Ihre Versäumnisse erinnern. Das garantiere ich Ihnen! (Beifall bei den GRÜNEN.)

 

Vorsitzende GRin Mag Heidemarie Unterreiner: Als nächste Rednerin ist Frau Dr Laschan gemeldet. Ich erteile ihr das Wort.

 

GRin Dr Claudia Laschan (Sozialdemokratische Fraktion des Wiener Landtags und Gemeinderats): Sehr geehrte Frau Vorsitzende! Sehr geehrte Frau Stadträtin! Sehr geehrte Damen und Herren!

 

Ich möchte zu meiner Vorrednerin nur eine Bemerkung machen, weil sie wieder die Vergabepraxis erwähnt hat. Ich möchte bemerken, dass es, wie die Frau Stadträtin schon erwähnt hat, bezüglich der Vergabepraxis ein Vertragsverletzungsverfahren der EU gegen drei Bundesländer gibt, und zwar gegen Steiermark, Oberösterreich und Kärnten, und das sind bekanntlich nicht sozialdemokratisch regierte Bundesländer.

 

Aber ich möchte gerne, weil mir das Thema so ein Anliegen ist und weil es uns allen so ein Anliegen sein sollte, auch auf ein paar grundsätzliche Dinge, was die Betreuung älterer Menschen betrifft, eingehen und dann in der Folge auf einen meiner Ansicht nach sehr wichtigen Spezialbereich.

 

Gestern am Abend wurde in einem deutschen Fernsehsender ein Beitrag über ein japanisches Dorf gezeigt - ich weiß nicht, wer von Ihnen das gesehen hat -, in dem überdurchschnittlich viele alte Menschen leben, und zwar vor allem Frauen, sehr viele über 100-jährige Frauen, die Bohnen ernten und die an Pensionistenausflügen teilnehmen. Nach diesem Film, nach diesem Beitrag wurde ein Altersforscher über die Ursachen dieses Phänomens interviewt, und er hat es kurz zusammengefasst mit den Worten, dass ein glückliches Leben mit Aktivität und Beibehaltung sozialer Beziehungen gesund erhält und lebensverlängernd wirkt.

 

Im 20. Jahrhundert hat sich in allen europäischen Ländern die mittlere Lebenserwartung stark erhöht und dafür verantwortlich ist eine Reihe von Gründen. So konnten durch den Aufbau und den Ausbau der Sozialgesetzgebung die Menschen einmal in erster Linie von den drückenden Sorgen um das tägliche Brot befreit und der Lebensabend gesichert werden. Die besseren Lebensbedingungen insgesamt, an denen nicht zuletzt - ich würde sogar behaupten, zuallererst - sozialdemokratische Regierungen ursächlich beteiligt waren, der Ausbau der Gesundheitsversorgung und natürlich auch der Fortschritt in der Medizin haben die Lebenserwartung erhöht.

 

Die steigende Anzahl älterer Menschen stellt aber auch große Anforderungen an die Gesellschaft. Das Altwerden ist für den Einzelnen durch mehr oder weniger einschneidende Lebensveränderungen und einschneidendes subjektives Erleben gekennzeichnet, nämlich durch die Einschränkung der sozialen Beziehungen, unter Umständen durch den Verlust des Lebenspartners, durch die Einschränkung körperlicher und geistiger Leistungsfähigkeit, durch die Entwicklung chronischer Erkrankungen und durch das - da brauchen wir die Andersen-Studie nicht dazu, um zu wissen, dass bestimmte Erkrankungen in der heutigen Zeit immer mehr werden und immer mehr Menschen betreffen - Angewiesensein auf fremde Hilfe. All das ist für viele Menschen - und das werden Sie sicher aus Ihrem Angehörigenkreis wissen - eine sehr große psychische Belastung.

 

Seniorinnen und Senioren haben eigene Bedürfnisse, was das Wohnen betrifft, was die Freizeitgestaltung betrifft, was den öffentlichen Raum betrifft, was die Verkehrsorganisation betrifft, was das Konsumverhalten betrifft, aber auch in der medizinischen Behandlung. Ich möchte in diesem Zusammenhang einmal erwähnen, dass, so wie in der Gestaltung der Wohnumgebung und der öffentlichen Verkehrsmittel, auf die Bedürfnisse älterer Menschen eingegangen werden muss, dass sich meiner Meinung nach auch die medizinische Forschung mehr mit den Besonderheiten eines älteren Menschen auseinander setzen sollte.

 

Im Zeitalter der Industrialisierung mit Auflösung der großfamiliären Strukturen, vor allem im städtischen Bereich, wurde die Betreuung älterer Mitmenschen immer mehr zur gesellschaftlichen Aufgabe, und es ist meiner Meinung nach auch eine gesellschaftliche Aufgabe. Wien hatte und hat auch hier eine Vorreiterrolle. Der Aufbau der sozialen Dienste hat es ermöglicht, dass viele ältere Menschen weiterhin ein relativ unabhängiges Leben in ihrer gewohnten Umgebung führen können.

 

Ich möchte in diesem Zusammenhang das Recht auf Betreuung und Pflege dem Nachbarschaftshilfeansatz gegenüberstellen. Wir haben erreicht, dass alle Menschen ein Recht auf Betreuung und Pflege haben und nicht auf den guten Willen von Nachbarn, Angehörigen oder Hilfsorganisationen angewiesen sind, dass alte Menschen keine Bittsteller sein müssen, sondern ihnen als vollwertigen Mitgliedern der Gesellschaft bestimmte Leistungen zustehen. Ich habe nichts gegen Nachbarschaftshilfe, im Gegenteil, als zusätzliches Element ist jede Initiative gerade in einer sich immer mehr entsolidarisierenden und individualisierenden Gesellschaft zu begrüßen, sie darf aber nicht die bestehenden Betreuungsstrukturen ersetzen. Ich sage das deswegen, weil es unter dem Deckmantel der Eigenverantwortlichkeit und dem Stichwort "Mehr Privat und weniger Staat" immer wieder Versuche gibt, öffentliche Leistungen zurückzudrängen. Konkret war das im Regierungsübereinkommen zwischen der FPÖ und der ÖVP zu lesen, nämlich dass die Betreuung älterer Menschen vermehrt durch Nachbarschaftshilfe abzudecken sei. Für solche Konzepte stehen wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten nicht zur Verfügung. (Beifall bei der SPÖ.) Wien geht einen anderen Weg. Das Betreuungsangebot ist qualitativ hochwertig, differenziert und vielfältig, so wie eben die Bedürfnisse älterer Menschen vielfältig und differenziert sind.

 

Ich möchte nun auf einen Bereich eingehen, der mir ein besonderes Anliegen ist, der meiner Meinung nach sehr bedeutend ist und der in der

 

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