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Gemeinderat, 40. Sitzung vom 03.03.2004, Wörtliches Protokoll  -  Seite 72 von 78

 

in diese SPÖ-Verwaltung gefahren, so eine Entscheidung zu treffen und noch dazu auf keinerlei sachlichen Grundlagen basierend? Wenn Sie hierher gekommen wären und gesagt hätten, also der Markt entwickelt sich, in Amerika explodiert der Markt, in Deutschland. Sie sind ja selber hier heraußen gestanden und haben gesagt: Na eigentlich geht es allen schlecht am Musicalmarkt. Und man hat nur schlechte Erfahrungen mit privaten Betreibern gemacht. Warum hat man nur schlechte Erfahrungen mit privaten Betreibern gemacht? Warum drängen sie denn nicht und warum stellen sich denn die privaten Betreiber nicht an? Weil schlicht und einfach damit kein Geld zu machen ist. Herr Stadtrat, wir rühmen uns damit, dass wir hier in Europa, am Kontinent, wie es so schön heißt, der größte Musicalproduzent sind. Wir haben eine Marktlücke entdeckt. Super. Wir haben die Marktlücke entdeckt, dass wir dem Lloyd Webber und den anderen, die in London und in New York geistiges Eigentum produzieren, es teuer in Wien abkaufen. Soweit ich die Bilanzen der Vereinigten Bühnen noch in Erinnerung habe, ist es doch so, dass wir für "Chicago" zum Beispiel Lizenzgebühren zahlen, weil, was ich mich erinnere, ist "Chicago" ja nicht von Österreich erfunden worden. (GR Ernst Woller: Das war der Marboe!) Es ändert nichts an den Tatsachen. Sie werden ja nicht ernsthaft behaupten, dass in der Zeit, seit der Marboe nicht mehr Stadtrat ist, die Lizenzeinnahmen der Vereinigten Bühnen durch Eigenproduktionen dramatisch gestiegen sind? Das ist ja überhaupt nicht der Fall. Sondern was wir machen: Wir finanzieren im Ausland die Produktion von geistigem Eigentum. Und unsere Künstler haben Ihnen eh eine Antwort darauf gegeben, wie Sie ihnen gesagt haben, sie haben jetzt die Chance, bei uns Musicals zu produzieren.

 

Also ich wollte auf den Punkt kommen: Warum gibt es keine privaten Investoren? Na weil sich dieses Investment nicht rechnet. Und deswegen passiert das ja nur in Wien, wie Sie sagen, in den schönen Häusern und nicht so abgenudelt wie in London und New York, in diesen Kleinstädten, die das ja alles nicht kennen. Und wir in Wien sind also die, die das halt ordentlich machen.

 

Ja, wir zahlen einen extrem hohen Preis dafür. Und da sage ich kulturpolitisch, diesen Preis ist es mir nicht wert, dieses Geld könnte man sinnvoller in andere Dinge investieren. Wir könnten, Herr Stadtrat, mit einem Bruchteil dieses Geldes die Musikschulen der Stadt Wien aufrüsten, einen Mangel, den Ihre Fraktion ja konsequent negiert, wo aber die Eltern in dieser Stadt genau wissen, dass es das gibt. Warum machen wir denn nicht ein massives Investment in die Musikschulen der Stadt Wien? Sie können doch nicht ernsthaft als Kulturpolitiker behaupten, dass die Subventionierung von fremden Musicals besser ist für die langfristige Sicherung der Zukunft des Musikstandortes Wien als die Investition in die eigene Zukunft, in die eigenen jungen Kinder, die in die Musikschulen der Stadt Wien gehen. Erster konkreter Vorschlag.

 

Zweiter konkreter Vorschlag. Auch mit einem Bruchteil des Geldes. Ich weiß es aus Dänemark, ich weiß es aus Holland. Niemand hindert die Stadt Wien daran, die beste Filmschule im Sinne einer Fachhochschule in Wien zu machen für Film und Medien. Da gibt es eine irre Nachfrage. Und der Film, seien Sie mir nicht bös, ist vielleicht doch das stärkere und das tragfähigere internationale Medium, als es das Musical ist.

 

Warum investieren wir also nicht, wenn der Herr Finanzstadtrat sagt, dieses Geld ist zur Verfügung, ich gebe es der Kultur. Na, dann muss ich doch Opportunitäten, Möglichkeiten prüfen und sagen: Was ist im Sinne der strategischen Positionierung dieser Stadt das Sinnvollste? Sie sagen Musical. Ich sage es Ihnen klar und deutlich: Ich sage nicht Musical, ich sage Musikschulen, ich sage Investitionen zum Beispiel ins Künstlerhaus und ich sage Investitionen in die Filmschulen und in die beste Filmausbildung von Europa. Das ist unsere Politik. Das andere ist Ihre Politik. (Beifall bei der ÖVP.)

 

Einen Satz noch. Sie haben die sozialen Bedingungen angeführt, unter denen im Ausland in den Musicalhäusern produziert wird. Keine Frage: Die sozialen Bedingungen bei den Vereinigten Bühnen sind deutlich besser als bei den anderen Musicalproduktionsstätten, weil wir wissen, dass das temporäre Produktionen sind, zum Beispiel in London und New York, wo wir es uns angeschaut haben.

 

Nur, das ist ja nicht der gerechte Vergleich. Der gerechte Vergleich ist: Warum schaffen wir in Wien in einem künstlerischen Bereich, der sehr nahe beim Kommerz liegt, sehr gut abgesicherte, sozial sehr abgesicherte und gut gepolsterte bis ganz hinauf gehende Arbeitsplätze und in einem anderen Bereich leben nach wie vor viele Künstler und Künstlerinnen, gerade im darstellenden Bereich, und du weißt das, wir wissen das beide, zwischen den Produktionen von der Notstandshilfe, wenn sie sie überhaupt einmal im Jahr kriegen. Wie können Sie jemals einem Künstler in die Augen schauen und ihm dieses Investment erklären, indem Sie sagen, na super, bei den Vereinigten Bühnen haben wir eh tolle Arbeitsplätze, vielleicht haben wir in Zukunft sogar weitere 200 gesicherte Arbeitsplätze, und die Situation der Künstler und Künstlerinnen, und zwar von 70 bis 80 Prozent in dieser Stadt, ist eine sozial nach wie vor beschämende. Das wissen wir alle miteinander. (Amtsf StR Mag Dr Andreas Mailath-Pokorny: Sagen Sie einmal ehrlich, warum das so ist!) Über das Thema können wir gerne reden. Herr Stadtrat, Preisfrage: Wer hat überhaupt das erste Mal in Österreich so etwas wie eine Künstlersozialversicherung eingeführt? War das ein Sozialdemokrat? Waren Sie das als verantwortlicher Sektionsleiter im Ministerium? Nein! Es war die schwarz-blaue Bundesregierung, die die Ersten überhaupt waren, die die Künstlersozialversicherung eingeführt haben. (Beifall bei der ÖVP.) Jetzt können Sie noch immer sagen: Nein, so nicht, und das könnte man anders machen. Wir waren es! Und Sie haben vorher 40 Jahre Zeit gehabt und haben es nicht gemacht. Damit müssen Sie sich abfinden. Ich will jetzt keine Künstler namentlich nennen, aber mir sind wenige bekannt, die gesagt haben: Wenn die Künstlersozialversicherung kommt, werden sie sofort ins Ausland emigrieren. Also da ist relativ

 

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