Gemeinderat,
44. Sitzung vom 29.06.2004, Wörtliches Protokoll - Seite 19 von 95
Seit 1970 geht in den USA die Ölförderung kontinuierlich zurück. Die Nordsee hatte ihr peak, ihre Spitze im Jahr 2000 und mit Ausnahme des Nahen Ostens und Russlands sind alle Erdöl produzierenden Länder, wie das in der Fachsprache heißt, lost peak, das heißt, die Ölproduktion geht zurück. Ich sage hier nicht, dass uns das Öl ausgeht. Wir werden noch für viele Jahrzehnte Öl haben, aber worauf wir uns einstellen müssen, ist - den Autoorganisationen ist das mit ihrem Gezeter ziemlich egal -, wir werden in einigen wenigen Jahren nicht mehr über 80 c oder 85 c, sondern möglicher Weise über 2 EUR oder gar mehr für den Liter Benzin reden. Die Zeit des billigen Öls scheint vorbei zu sein.
Warum erzähle ich das hier? Was heißt dann
Suburbanisierung? Das Geschrei ist, wir brauchen, wir wohnen, wir sind ins
Umland gezogen, wir sind ins Grüne gezogen, wir wollen die entsprechenden
Straßen und der Sprit ist so teuer – und die Leute kaufen sich immer größere
Autos. Ich habe jetzt neulich im Stau auf der Mariahilfer Straße einen „Hummer“
gesehen. Ich weiß nicht, ob Sie den „Hummer“ kennen. Der Herr Schwarzenegger
hat ihn irgendwie bekannt gemacht. Er braucht ungefähr 25 Liter Benzin,
kommt vom Militär und kostet eineinhalb bis zwei Millionen Schilling. Damit
kann man wirklich im extremsten Gelände fahren, zum Beispiel im Stau auf der
Mariahilfer Straße! Die Leute kaufen sich solche Autos. Ich füge dazu, selber
schuld. Ich sage nur: Achtung! Achtung, die Chance ist sehr groß, dass in
einigen wenigen Jahren Benzin wirklich sehr viel teurer sein wird, und das sage
ich jetzt in Richtung Planungsstadtrat. Was heißt das dann, wenn reihenweise in
den dichtbesiedelten urbanen Gebieten die Geschäfte deswegen eingehen, weil im
Stadtrandbereich ein Einkaufszentrum nach dem anderen gebaut wird, wo im
Unterschied zur Mariahilfer Straße, wo 85 Prozent der Leute mit dem
öffentlichen Verkehr kommen, dort 85 Prozent der Leute mit dem Auto fahren
müssen? Ein Einkaufszentrum öffentlich zu erschließen - also jetzt fällt mir
fast ein delikater Vergleich ein. Ich sage es jetzt verträglich für dieses
Podium: Dort fährt man mit dem Auto hin.
Ich habe mir einmal bei IKEA den Spaß gemacht, bei
der Kassa zu fragen, wo da eine Busstation ist. Die hat mich angeschaut als
wäre ich angerannt. Dort fahrt man mit dem Auto hin. Ich bin dann zu Fuß zur
Busstation gegangen. Das war wirklich – also mit diesem Hürdenlauf könnte ich
im Fernsehen oder bei dieser Expeditionsgeschichte im ORF auftreten! (Heiterkeit
bei den GRÜNEN.)
Langer Rede kurzer Sinn: Sind wir von der
Stadtplanung aus darauf vorbereitet, der Zersiedelung gegen zu wirken oder
machen wir genau das Gegenteil? Dazu kommt - ich sage das auch im Hinblick auf
die Suburbanisierung -, dass wir als Gesellschaft immer älter werden. Was heißt
diese Einfamilienhausstruktur? Weit und breit kein Geschäft, weit und bereit
keine Sozialeinrichtung, egal, ob sie jetzt gerade noch in Wien oder außerhalb
Wiens ist. Was heißt das dann, wenn angesichts von Scheidungsraten von
50 Prozent und mehr - und nichts deutet darauf hin, dass sich das ändern
wird - dann in einigen Jahren lauter alleinstehende 70-Jährige, 75-Jährige,
80-Jährige im 150 Quadratmeter-Blue-Lagune-Haus an der Peripherie leben?
Darauf gehen wir zu.
Im Unterschied dazu ist urbanes Wohnen, urban in den
gewachsenen Bezirken, ob das der 7. ist, der 1., der 16.,
der 15., das Zentrum in Floridsdorf oder ob es die noch intakten Bereiche
in Transdanubien sind - und ich schaue mir nur meine Lebenssituation im
6. Bezirk an, wo man wirklich zu Fuß alles erreichen kann. Mir ist ein
peak oil so was von egal, aber so was von egal, noch, obwohl das bedroht ist.
Und ich rede intensiv mit den Menschen der Nahversorgung, die wirklich bedroht
sind und stinkesauer auf die Wirtschaftskammer sind und stinkesauer auf die
Planung, auf die Politik sind, die ein großes Einkaufszentrum nach dem anderen
hinsetzt, das natürlich maßgeblich zu Lasten der Nahversorgung geht, wo ein
Geschäft nach dem anderen zusperrt.
Es wäre einmal interessant, das Museum Wien, wie es
jetzt heißt, zu bitten, Fotos zu machen: Nahversorgung vor 20 Jahren in
vielen Gebieten und Nahversorgung heute. Und da nutzt eine goldige
Einkaufsstraßenförderung nichts! Kaufkraft ist begrenzt. Parndorfer
Outlet-Center, Stau am Samstag dort. Das geht über die Kompetenzen des
Stadtrats hinaus, da ist auch die Bundesebene gefordert. Können Bürgermeister
in eigener Regie quasi Städte gründen, so etwas wie Parndorf, so etwas wie
Excalibur und diese Wahnsinnsdinge, die dann alle - und das gönne ich ihnen ja
–, wenn peak oil kommt, und ich bin davon überzeugt, und der Liter 2,50 EUR
kosten wird, reihenweise eingehen werden. Ich gönne es ihnen. Aber wie weit
sind wir vorbereitet und wie schnell kann sich eine Gesellschaft wieder drehen,
um intakte Nahversorgungsstrukturen zu machen?
So, jetzt komme ich zu dem, was trotz dieser
Entwicklung die Stadt Wien tut und zu all diesen Projekten, wo ich jedes Mal im
Planungsausschuss sage: „He Leute, was tut ihr hier eigentlich?“ Ich habe mir
jetzt nur drei Projekte der jüngsten Widmung angeschaut, wo wir genau diese
Zersiedelung in den Tiefen, in den noch grünen Tiefen des 22. Bezirks
vorantreiben.
Projekt an der Breitenleer Straße. Im Zentrum, wo
keine Widmung stattfindet, eine Kiesgrube, links und rechts entsprechende
Wohneinrichtungen, ist im 1 000-Hektar-Plan, na selbstverständlich, dort
widmen wir jetzt „Wohnen“. Na, wie werden die Leute dort öffentlich verkehren?
Die werden sicher dort alle mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren und die
haben auch die Geduld, 20 Minuten zu warten. Die sind doch so ordentlich,
dass sie dann irgendwann um 8 oder 9 Uhr abends zu Hause sind, weil später
gibt es ja keine attraktiven Busverbindungen mehr. Na, selbstverständlich wird
es pro Haushalt zwei, drei Autos geben und dann staut es auf der Tangente und
dann bauen wir vier Tunnel, sechs Tunnel, acht Tunnel, zehn Tunnel, ein
Projekt.
Das zweite Projekt, das wir
bereits in der EU-Kommission hatten und jetzt zurückgestellt haben, immerhin,
ist auch sehr, sehr, sehr weit an der Peripherie und hat keine entsprechende
Verkehrsanbindung. Immer dasselbe: 1 000-Hektar-Plan, vorgesehen
Grüngürtel.
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