Gemeinderat,
48. Sitzung vom 08.11.2004, Wörtliches Protokoll - Seite 34 von 45
nicht weitergehen darf, etwas zu meinem Vorredner, dem Herrn GR Wagner, der da gemeint hat: Es ist im Wesen eines Kompromisses gelegen, dass es keine Gewinner und auch keine Besiegten geben wird und dass das dann zu akzeptieren ist. - So einfach, Herr Gemeinderat, kann man es sich nicht machen. Denn in diesem Fall ist es schon so, dass es Besiegte gibt, ganz klare Besiegte! Die Besiegten sind die LehrerInnen, sind die SchülerInnen und sind die Eltern.
Ich möchte daran erinnern,
dass bereits im Jahr 2000, als der letzte Finanzausgleich öffentlich wurde und
die Fachleute gesehen haben, was das für den Schulbereich bedeutet, von allen
Seiten sehr klar festgestellt wurde und im Speziellen auch von Seiten der SPÖ
festgestellt wurde, dass es hier Besiegte gibt. Ich erinnere Sie an einen
Ausspruch des Bezirksschulinspektors Gröpel, der gesagt hat: „Da werden ja
Straßenkinder produziert.“ Als ich das in meiner letzten Pressekonferenz
wiederholt habe, hat Herr GR Vettermann - er ist jetzt leider nicht hier -
gemeint, ich disqualifiziere mich mit dieser Bemerkung. Na, sicher nicht! Ich
möchte sie wiederholen und Herrn Abteilungsleiter Gröpel Recht geben: In Wien
werden Straßenkinder produziert!
Ich möchte genau auf diesen
Punkt näher eingehen. Denn was Sie tun, gemeinsam mit der ÖVP, ist, die
schwächsten, die einkommensschwächsten und lernschwächsten Schülerinnen und
Schüler weiter zu schädigen und ihnen zu schaden. Dazu möchte ich einiges
sagen.
Sie haben bereits beim
letzten Finanzausgleich rund 1 400 Lehrerinnen und Lehrer weggekürzt.
Das ist eine schulpolitische Katastrophe, deren Folgen wir noch sehr genau zu
sehen und zu spüren bekommen werden. Der neue Finanzausgleich hat daran nahezu
nichts geändert, außer dass er von den 1 440 Weggekürzten nun 50
wieder für die Integration zurückgibt. Das ist ein Tropfen auf den heißen
Stein, mit dem nahezu nichts anzufangen ist. Ich verstehe Bgm Häupl wirklich
nicht, der da gemeint hat, es sei zwar nicht das Gelbe vom Ei, aber es sei zu
akzeptieren. - Meiner Meinung nach ist das ein faules Ei, und es ist mit
Sicherheit nicht zu akzeptieren, denn es stinkt!
Meine Damen und Herren!
Minus 1 445 Planstellen, das spüren alle Kinder in Wien. Jedes einzelne
Kind leidet darunter, und zwar vor allem deswegen, weil die
Klassenschülerzahlen gestiegen sind, und zwar massiv gestiegen sind. Während
früher in Volkschulklassen 20, 22, 23 Kinder gesessen sind, gibt es
nunmehr - und das ist keine Ausnahme - Klassen, in denen 28 bis 29 Kinder
sitzen. Wenn wir uns jetzt die Frage stellen: Wer spürt das am
meisten?, dann mit Sicherheit die Kinder, die die einkommensschwächsten Eltern
haben, die in Haushalten leben, in denen man sich einen Nachhilfeunterricht
nicht leisten kann oder aber auch nicht leisten will, in denen aber die Kinder
diese zusätzliche Förderung mit Sicherheit nicht erhalten werden. Und das in
einem Land, dem die PISA-Studie ja nachgewiesen hat, dass die Diskrepanz
zwischen den einkommensschwächsten und lernschwächsten Schülern sowie den
besten Schülern und deren Herkunft zu den größten zählt!
Wenn wir der Reihe nach durchgehen, welche Folgen
diese Kürzungen weiters haben, so kann man Punkt für Punkt feststellen, dass es
immer die ärmsten Kinder dieser Stadt trifft. Da frage ich mich schon, wo das
sozialdemokratische Gewissen geblieben ist, von dem StR Rieder behauptet, genau
darauf habe er geachtet.
Wir haben die größten Kürzungen im Bereich der
Förderungsmaßnahmen für die Kinder mit nichtdeutscher Muttersprache, also für
die Schülerinnen und Schüler, die als außerordentliche SchülerInnen geführt
werden und die deutliche Unterstützung und Förderungsmaßnahmen brauchen. In
diesem Bereich wurden rund zwei Drittel der Maßnahmen weggestrichen. Das sind
die Kinder aus MigrantInnenfamilien, und ich denke, Sie können meiner
Behauptung folgen, wenn ich sage: Diese zählen zu den einkommensschwächsten und
manchmal auch zu jenen Familien, die vielleicht der Bildung eher fern stehen
und da geringere Ambitionen haben.
Wir haben enorme Kürzungen bei den Kindern, die
aufgrund von Behinderungen körperlicher oder psychischer Natur eine besondere
Förderung brauchen. Auch hier wurden die Maßnahmen im Ausmaß von zwei Dritteln
gekürzt.
Außerdem wurden die unverbindlichen Übungen kurz und
klein gestrichen. Auch in dem Punkt ist es wieder so, dass die Kinder aus den
einkommensschwächsten Haushalten am meisten getroffen werden. Denn wenn die
Musik gestrichen wird oder das Theaterspielen oder Sportangebote oder das
Fotografieren oder Schach oder oder oder - einfach alles, was Kindern
besonderen Spaß macht -, so können Sie davon ausgehen, dass es Elternhäuser
gibt, in denen genug Geld vorhanden ist, um den Kindern das privat finanzieren
zu können, und dass es andere Haushalte gibt, in denen das unter gar keinen
Umständen möglich ist, weil die Familien zu arm sind. Das heißt, was hier
passiert, ist zum Schaden der einkommensschwächsten Haushalte, ist zum Schaden
der ärmsten Kinder.
Ich möchte Sie gerne auffordern, mir kurz zu folgen
und ein paar Dinge zusammenzulesen und zusammenzudenken, die man vielleicht
nicht unmittelbar immer gleich zusammendenkt.
Wir haben eine Anmerkung in der
PISA-Studie, die eigentlich uns alle alarmieren sollte, nämlich dass rund
14 Prozent der Kinder - und rechnet man jene dazu, die zu den Dropouts
zählen, dann sind es eigentlich 20 Prozent der Kinder -, die unsere
Pflichtschule verlassen, sehr schlecht lesen können, oder sagen wir, nicht im
Sinnzusammenhang lesen können. Ich glaube, das ist nicht lustig, weil, wer
nicht lesen kann, nicht dazu in der Lage ist, sich im Weiteren jene Bildung
anzueignen, die sie braucht, um im Berufsleben reüssieren zu können, oder die
er braucht, um weiterlernen zu können. Wenn wir uns das jetzt zu den Kürzungen
im Schulsystem noch dazudenken, dann kommt unterm Strich eine wahre Katastrophe
heraus, die der Präsident der Kinderfreunde, Kurt Nekula, als eine dramatische
Situation bezeichnet hat. Ich gebe ihm Recht, es ist eine dramatische
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