Gemeinderat,
53. Sitzung vom 25.02.2005, Wörtliches Protokoll - Seite 73 von 102
akut armutsgefährdet und das auf Zeit.
Wer sind diese Gruppen von Menschen? Der
Armutsbericht belegt auch eindeutig, dass zu den Klassikern - das sind
Alleinerzieherinnen, das sind Menschen mit Behinderungen, das sind chronisch
Kranke, das sind Langzeitarbeitslose - also zu diesen Gruppen inzwischen einige
hinzu kommen und die allerdings in einem rasanten Tempo, was ja auch bewirkt
und das können wir auch sehen, dass in den letzten Jahren immer mehr Menschen
unter die Armutsgrenze rutschen. Darüber haben wir schon heute Vormittag ein
bisschen diskutiert, als wir uns ja angesichts des Wirtschaftskammerwahlkampfes
nicht zuletzt auch mit dem Bereich Kleinstunternehmer und -unternehmerinnen und
mit dem Bereich der kleinen Selbstständigen, die es in dieser Stadt gibt,
auseinander gesetzt haben.
Es gibt viele Menschen, die in den letzten Jahren
nicht zuletzt auch auf Grund langer Arbeitslosenzeiten gezwungen sind, sich
selbstständig zu machen oder aber auch von Arbeitgebern und Arbeitgeberinnen in
die Selbstständigkeit gedrängt werden und die wirklich mit sehr, sehr kleinen
Beträgen arbeitender Weise auskommen müssen, geschweige denn, wenn das
Experiment platzt und sie dann erst recht auf die Sozialhilfe bestenfalls
angewiesen sind. Es gibt darüber hinaus eine rasant, wirklich rapide wachsende
Gruppe von neuen Selbstständigen, von Menschen in atypischen Verhältnissen, in
prekären Verhältnissen, freie DienstnehmerInnen, die monatlich teilweise mit
Beträgen auskommen müssen, die so gering sind, dass sie sogar
Ausgleichsleistungen aus der Sozialhilfe beziehen müssen. Das heißt, wir haben
hier auch das Phänomen der so genannten Working Poor, mit dem wir uns ja in den
letzten Jahren immer wieder auch auseinander setzen, in Kreisen der Politik
leider sehr selten und mit sehr wenig Aufmerksamkeit, dafür mit umso größerer
Gründlichkeit und viel mehr Aufmerksamkeit in den Bereichen von
Sozialexpertinnen und Sozialexperten. Und diese Gruppe wächst und sie wächst
nicht wenig, wenn man sich die Zahlen jener Personen anschaut, die aus dem
Kapitel der Sozialhilfe in Wien Ausgleichsleistungen bezogen haben, das heißt,
sie haben arbeitender Weise großteils so wenig verdient, dass sie sogar mit
Leistungen aus der Sozialhilfe zusätzlich unterstützt werden mussten und das
muss man sich wirklich auf der Zunge zergehen lassen: Ungefähr
30 800 Menschen - jetzt aufgerundet - waren es 2001 und 2003, also
zwei Jahre später, waren es 42 304 Menschen! Das heißt, ich spreche
hier von einer Steigerung von immerhin 37 Prozent! 37 Prozent
Steigerung der Working Poor in Wien innerhalb von zwei Jahren! Das muss doch
etwas bedeuten! Also wenn man da nicht die Alarmglocken schrillen hört, muss
man aber wirklich auf ganz schön taube Ohren angewiesen sein!
Und ich setze fort: Ich habe vorhin von den akut
gefährdeten Personen gesprochen, also von jener Gruppe von Menschen, die in
Österreich von insgesamt weniger als 655 EUR im Monat leben müssen. Diese
sind innerhalb von zwei Jahren auch um 50 Prozent gestiegen. Das muss man
sich auch einmal überlegen! Welche Politik ist es, die verfolgt wird, ja, und
hier allem voran auf Bundesebene, die dazu geführt hat, dass die Gruppe der
akut gefährdeten Personen innerhalb von lediglich zwei Jahren eine Steigerung
um 50 Prozent, also um 150 000 Menschen, verzeichnet?
Wie auch immer, Gegenstand der heutigen
Auseinandersetzung ist nicht zu erörtern, welche Politik das ist, die dazu
führt, denn das haben wir sowohl hier in diesem Hause als auch andernorts in
den letzten Jahren getan. Vielmehr, glaube ich, lohnt es sich heute zu
überlegen: Können wir etwas tun und wollen wir in Wien etwas dagegen
unternehmen? Ich glaube, dass es schon an der Zeit ist, dass Wien sein
Versprechen, eine Vorreiterrolle in Österreich zu haben und mit den guten
Beispielen voraus zu gehen und auch zu zeigen, wie es in ganz Österreich einmal
sein könnte, jetzt endlich einmal einlösen könnte und auch sollte. (Beifall
bei den GRÜNEN.)
Und das heißt, dass die Frage, die wir uns heute
stellen und auch beantworten müssen, ganz einfach diese ist: Wollen wir und
können wir es uns leisten, dass es in einer der reichsten Städte der Welt - und
Wien ist eine der reichsten Städte der Welt - Menschen gibt, die per Bescheid
zur Armut gezwungen sind, denn wer Sozialhilfe in Wien bezieht, bezieht maximal
630 EUR. Das liegt deutlich unter der Armutsgrenze. Und als besonders
zynisch empfinde ich, dass übrigens laut Definition die Sozialhilfe
armutsvorbeugend sein soll. Na, wie denn, mit diesem Betrag?
Also wollen wir und können wir es uns leisten, dass
in dieser Stadt, wo wir hier sitzen, es Menschen gibt, die nicht wissen, ob sie
sich einen neuen Mantel leisten können, es Menschen gibt, die nicht wissen, ob
sie neue Schuhe für ihre Kinder kaufen können, es Familien gibt, die nicht
wissen, ob sie morgen am Abend Fleisch zum Abendessen haben können und die
nicht wissen, ob sie es sich morgen leisten können, mehr als ein Zimmer in
ihrer Wohnung zu heizen. Und das sind keine Horrormärchen, die ich von hier aus
erzähle, sondern das ist für immerhin mehr als 70 000 Menschen in
dieser Stadt traurige Realität! Und sie wissen es und ich weiß es.
Ich glaube, dass es an der Zeit ist, Mut zu beweisen
und auch zu handeln, denn von schönen Worten, von Verständnis und von
Wahlversprechen haben diese Menschen nichts. Sie können sich davon nichts
kaufen. Und unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass sie sich zumindest das
leisten können und dass sie sich ein Leben in Würde und ein Leben in nicht
ständiger Existenzangst in dieser Stadt leisten können. Es ist immerhin, wie
gesagt, eine Stadt, die jetzt nicht weiß Gott wie mit finanziellen Nöten zu
kämpfen hat.
Das heißt, sehr verehrte
Kolleginnen und Kollegen, Armut müssen wir nicht hinnehmen und Armut können wir
nicht mit Sonntagsreden bekämpfen. Armut müssen wir bekämpfen, wir müssen etwas
unternehmen. Wir können heute handeln und ein aller, aller erster Schritt in
diese Richtung würde bedeuten, dass wir die Sozialhilfe in dieser Stadt in eine
Form sozialer Grundsicherung, also in eine Form von sozialer Existenzsicherung
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