«  1  »

 

Gemeinderat, 58. Sitzung vom 30.06.2005, Wörtliches Protokoll  -  Seite 101 von 104

 

wenn man sie hat, den Sterbedaten - von Menschen, die das Nazi-Regime ermordet hat. Die werden von Paten gestiftet und kosten 95 EUR.

 

Ich habe sehr oft von Hinterbliebenen besonders von jüdischen Opfern gehört, dass es das Schlimmste für sie ist, wenn ihre Angehörigen keinen Grabstein haben. Sie werden vielleicht zum Großteil hier wissen, dass Grabsteine auf jüdischen Friedhöfen eine Symbolkraft für die Menschen, die dort beerdigt sind, haben. Das wäre eine Möglichkeit, namenlosen Menschen, die einfach verschwunden sind, die einfach hingerichtet wurden, die einfach ermordet wurden, die auf den Todesmärschen zugrunde gegangen sind, die in Massengräbern verschwunden sind, wieder einen Namen zu geben.

 

Leider habe ich gelesen, dass Sie, Herr Stadtrat, auf so ein Ansuchen so geantwortet haben, wie man Hausierer abschasselt, indem man sagt: Haben wir schon, brauchen wir nicht! Wir haben schon Mahnmale, das stimmt schon. Wir haben Mahnmale, aber nicht in dieser Form, die jedem Einzelnen ein Gedenken opfert.

 

Ich möchte nur sagen, ich war in Berlin, ich habe mir dieses Denkmal für die ermordeten Juden angesehen. Ich fand es sehr beeindruckend, vor allem auch das darunter liegende Dokumentationsarchiv, das ich in Österreich wirklich in dieser Form vermisse. Es wäre längst an der Zeit, so ein Dokumentationsarchiv - in dieser großen Form, in dieser ausführlichen Form - über dieses Verbrechen ganz Europa betreffend zu errichten. Auch da habe ich Stimmen von jüdischen Menschen gehört, die gesagt haben: Es ist sehr großartig, es ist schön, aber es fehlen die Namen.

 

Das wäre eine Gelegenheit, in dieser Form etwas zu errichten, das vielleicht auch eine Möglichkeit ist, vielen jungen Menschen endlich einen Zugang zu geben, nämlich eine Dokumentation in diesem Ausmaß. Denn ich habe hier gelesen, wie wenig Jugendliche wissen laut einer Umfrage, die es gegeben hat. Ein Prozent wusste nur, dass das Kriegsende 1945 war, überhaupt zu schweigen von all dem, was sich da abgespielt hat. Ich möchte wirklich plädieren, dafür zu sorgen, dass endlich ein öffentliches Bekenntnis - was auch dem Bund ansteht -, ein öffentliches Bekenntnis zu diesem Teil der Geschichte zugänglich wird! Ob es jetzt ein Holocaust-Museum ist, ob es ein Dokumentationsarchiv von der Größenordnung wie in Berlin ist, es ist ein öffentliches Bekenntnis.

 

Ich muss sagen - Herr Blind war mein Begleiter in New York -, im Museum of Jewish Heritage waren die Fehler, die die Alliierten begangen haben, und auch die Unterlassungen dezidiert angeführt. Man konnte nachlesen, dass sie die Schiffe der Flüchtlinge abgewiesen haben. Es stand dort schwarz auf weiß, dem war eine ganze Wand gewidmet. Oder dass es die Alliierten versäumt haben, die Konzentrationslager rechtzeitig, frühzeitig zu befreien, es war ihnen um den Sieg getan - das steht dort! Ich denke, es steht uns längst auch unser Bekenntnis zu dem an, was nicht zu unserem Ruhm gereicht, aber auch ein Teil unserer Geschichte ist.

 

Ich möchte hier zum Schluss ein Bekenntnis ablegen. Ich kann nur sagen, die SeniorInnen- und Pflegepolitik war für mich eine Pflicht. Wobei ich den Begriff "SeniorIn" nicht mag, das sage ich auch gleich dazu: Es ist für mich eine Kategorisierung, einem Alter zugeordnet zu sein, und dagegen wehre ich mich, weil mir das zu einseitig, zu wenig vielfältig ist.

 

Die Bücherei und der Prater waren meine Leidenschaften, ich gebe es zu. Aber der Aufarbeitung der Geschichte, dem Kampf um die Opfer und besonders der jüdischen Bevölkerung gehörte meine Liebe und gehört sie immer noch! (Beifall bei den GRÜNEN.) Damit waren es für mich vier wichtige Jahre, wenn auch nicht die er-folgreichsten meines Lebens, ich gebe es zu. Aber das liegt vielleicht auch am Stellenwert einer Opposition.

 

Ich wende mich jetzt nach Osteuropa. Ich werde mich auch den Projekten mit Kindern zuwenden. Da muss ich noch etwas dazusagen, weil gestern Kollegin Schöfnagel gesagt hat: Die Kinder ohne Begleitung nach Osteuropa zurückzubringen, ist oberstes Gebot, denn dort wird man sich um sie kümmern. Ich kann Ihnen nur sagen (GRin Barbara Schöfnagel: Das habe ich nicht gesagt!), ich war vor 14 Tagen in der Ukraine, und was dort läuft, ist katastrophal und bedarf wirklich noch sehr vieler Hilfe. Ich wünsche mir auch, dass Sie mit Ihrem selbstgefälligen Kultur- und Sprachverständnis nicht so agieren, wenn Sie nach Rumänien gehen, wozu ich Ihnen viel Glück wünsche. (GRin Barbara Schöfnagel: Das ist völlig falsch!)

 

Ich habe hier einen Antrag auf Zuweisung an den Herrn Stadtrat. Ich übergebe ihn zu treuen Händen und hoffe, dass er ihn verantwortungsvoll behandelt.

 

Auch wenn die Zeit schon fortgeschritten ist und nicht mehr viele von Ihnen viel Sitzfleisch haben, möchte ich als ehemalige Kulturschaffende hier trotzdem enden mit einem Gedicht - nur stellenweise zitiert -:

 

"Gegen Vergessen

 

Ich will mich erinnern

 

dass ich nicht vergessen will

 

denn ich will ich sein

 

Ich will mich erinnern

 

dass ich vergessen will

 

denn ich will nicht zuviel leiden

 

Ich will mich erinnern

 

dass ich nicht vergessen will

 

dass ich vergessen will

 

denn ich will mich kennen

 

Denn ich kann nicht denken

 

ohne mich zu erinnern

 

denn ich kann nicht wollen

 

ohne mich zu erinnern

 

denn ich kann nicht lieben

 

denn ich kann nicht hoffen

 

denn ich kann nicht vergessen

 

ohne mich zu erinnern

 

«  1  »

Verantwortlich für diese Seite:
Stadt Wien | Geschäftsstelle Landtag, Gemeinderat, Landesregierung und Stadtsenat (Magistratsdirektion)
Kontaktformular