Gemeinderat,
18. Sitzung vom 02.03.2007, Wörtliches Protokoll - Seite 8 von 104
GRin
Vassilakou. Ich bitte darum.
GRin
Mag Maria Vassilakou (Grüner Klub im Rathaus): Sehr geehrter Herr Bürgermeister! Sie haben
selbst gesagt, dass in städtischen Büchereien Hunderte von Veranstaltungen
stattfinden. Die städtischen Büchereien sind allerdings Teil des Wiener
Magistrats, deshalb meine Frage: Gibt es Richtlinien hinsichtlich der
Einladungspolitik von städtischen Büchereien? Gibt es vielleicht Empfehlungen
für die Art und Weise, wie solche Veranstaltungen abzuhalten sind, wann es
vielleicht gescheiter ist, etwas als Lesung abhalten zu lassen, wann als
Podiumsdiskussion? Oder kann wirklich, so, wie Sie es vorhin gesagt haben,
jeder machen, was er oder sie will?
Vorsitzender GR Godwin Schuster: Herr Bürgermeister, bitte.
Bgm Dr Michael Häupl: Nein, es gibt
keine Richtlinien. Aber ebenso: Nein, es kann nicht jeder eine Veranstaltung in
einer städtischen Bücherei abhalten, sondern natürlich obliegt das dem jeweils
Verantwortlichen, im gegenständlichen Fall der Leitung einer derartigen
Nebenstelle der Bibliothek, für eine solche Veranstaltung zu sorgen, aber auch
die Verantwortung dafür zu übernehmen. Das ist selbstverständlich. Wenn ein
Leiter einer solchen Nebenstelle beispielsweise jemanden einladen würde, der
etwa aus „Mein Kampf" vorliest, eine Lesung hält, dann würde er erhebliche
Probleme bekommen, und ich würde meinen, auch zu Recht. Aber ansonsten gibt es
keinerlei Richtlinien dafür.
Jeder
wird natürlich schauen - und deswegen verstehe ich das auch -, dass man mit
einem so polemischen Werk, wie es das gegenständliche von Broder ist, auch eine
entsprechende Veranstaltung machen kann. Ich habe auch gar nichts dagegen, und
es ist ja durch die Demokratie gewährleistet, dass dort natürlich auch Leute
hinkommen, die nicht die Auffassung von Broder teilen, wie beispielsweise
honorige Leute, die Österreichische Hochschülerschaft beispielsweise und
andere, und dort halt auch ihre Diskussionsbeiträge dazu liefern. Das befindet
sich für mich alles in einer demokratischen Normalität, und ich sehe eigentlich
nicht den geringsten Grund für irgendeine Aufregung.
Es
wäre ja, sage ich auch ganz offen, schon sehr viel interessanter, sich auch ein
bisschen Gedanken über die Frage zu machen: Warum diese Aufregung? Warum diese Aufregung
über dieses Buch, das ja immerhin schon vor geraumer Zeit erschienen ist, und
zwar auch in einer gewissen zeitlichen Nähe zur Haltung Deutschlands und
Frankreichs beispielsweise zum Irak-Krieg? Und da sollte man dann schon ein
bisschen darüber nachdenken, welche Zusammenhänge auch da bestehen. Das wäre
wahrscheinlich nicht ganz uninteressant.
Vorsitzender GR Godwin Schuster: Danke, Herr Bürgermeister.
Die
letzte Zusatzfrage zu dieser Frage kommt von Herrn GR Dr Wolf. Ich bitte
darum.
GR Dr Franz Ferdinand Wolf (ÖVP-Klub
der Bundeshauptstadt Wien): Herr Bürgermeister! Es wäre ja ganz
interessant, Ihre Nebenbemerkung aufzugreifen und Ihre Position zu dem Buch von
Broder: „Hurra, wir kapitulieren!" zu erfragen. Aber da das nicht
Gegenstand der Vollziehung ist, werde ich diese Frage wohl nicht stellen.
Ich will allerdings Folgendes nachfragen: Ihre
Position der Freiheit der Diskussion ist nachvollziehbar. Sorgen Sie auch in
Ihrer Fraktion, in der Sozialdemokratischen Fraktion dafür, dass alle Mitglieder
dieser Fraktion es genauso sehen wie Sie, oder gibt es hier
Interessensvertreter, die einen anderen Weg gehen, nämlich den der
Intervention?
Vorsitzender GR Godwin Schuster: Herr Bürgermeister, bitte.
Bgm Dr Michael Häupl:
Sehr geehrter Herr Gemeinderat! Zunächst zu Ihrer konkreten Frage dazu: Ich bin
ganz sicher, dass alle Mitglieder meiner Fraktion meine Position zur Freiheit
der Diskussion vollinhaltlich teilen - das ist überhaupt keine Frage. Aber dass
es Interessensvertreter jedweder Art gibt, die, sagen wir, für ihre Position
ein gewisses Lobbying betreiben, die versuchen, natürlich auch bei
Veranstaltungen ihre Positionen zu publizieren, veröffentlichen zu können - ob
nun mündlich oder schriftlich, sei einmal dahingestellt -, das, denke ich, ist
etwas, das fraktionsübergreifend zu beobachten ist. Und ich denke, dass es
wahrscheinlich auch in unserer Gesellschaft etwas ist, was auch zu einer
demokratischen Normalität zählt. Man muss ja diesen Interventionen nicht
nachgeben - das ist ja dann die Kehrseite davon.
Die Vorbemerkung, die Sie gemacht haben, ist etwas,
wo ich mir manchmal denke, unsere Geschäftsordnung ist schon ein bisschen
hemmend. Wir führen hier eine Diskussion über eigentlich eine völlige
Nebensächlichkeit, nämlich: Ist interveniert worden, dass bei einer Lesung ein
zweiter Sessel auf dem Podium steht, oder nicht - ein Thema von erlesener
Belanglosigkeit, im Grunde genommen. Wir führen eine Diskussion über die Frage:
Ist es notwendig, wenn eine Veranstaltung mit der Lesung zu einem Buch
stattfindet - ich sage jetzt nicht „provokativ" dazu -, dass zwangsläufig
dort jemand eingeladen werden muss, um die Gegenposition zu vertreten?, also
sozusagen die Freiheit der Diskussion - ein sehr viel ernsteres Thema.
Das ernsteste Thema von allen wäre aber zweifelsohne,
sich mit dem Buch von Broder zu beschäftigen, beziehungsweise mit vielen
anderen, die zu dem Thema ja auch erschienen sind. Das ist etwas, was uns die
Geschäftsordnung hier nicht erlaubt, aber in der Gesellschaft wird diese Diskussion
trotzdem stattfinden – und jetzt sage ich dazu: Zu einem Buch, das nach
Eigendefinition eine Polemik darstellt.
Und wenn man das Buch gelesen hat,
was ich zweifelsohne ja auch getan habe - ich habe mir diese Mühe gemacht -,
verschließt sich das ja auch nicht, dass es auch ein sehr polemisches Buch ist,
das natürlich zwangsläufig entsprechende gesellschaftliche Diskussionen
auslöst, nicht nur in Deutschland, obwohl es dort ja schon vor geraumer Zeit
erschienen ist und in verschiedenster Form auch rezensiert wurde, äußerst
kontrovers
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