Gemeinderat,
29. Sitzung vom 14.12.2007, Wörtliches Protokoll - Seite 75 von 117
wurden. Ich finde es auch gut, dass man diskutiert, dass immer mehr Misshandlungen aufgedeckt werden. Denn das war sicher nicht immer so. Ich bin davon überzeugt, dass es früher nicht weniger Misshandlungen, nicht weniger Gewalt gab, sondern dass diese Gewalt unentdeckt geblieben ist, dass sie im Verborgenen stattgefunden hat.
Diese Ohrfeige, die „g'sunde Watschn", die vor
10, 20, 30 Jahren sozusagen noch gesellschaftlich akzeptiert war, ist es
jetzt nicht mehr. Es ist kein Erziehungsmittel mehr. Es ist auch ins
Bewusstsein der Menschen gedrungen, dass Gewalt keine Form der Erziehung ist,
dass das nicht in Ordnung ist. Wahrscheinlich gibt es sie noch immer, aber
zumindest im Bewusstsein und auch in der Gesellschaft hat sich eine Wandlung
vollzogen. Da ist an vielen Ebenen daran gearbeitet worden, in der
Bewusstseinsarbeit zum einen, aber auch auf der rechtlichen Ebene, Änderungen
im Jugendschutzgesetz, Änderungen im Jugendwohlfahrtsgesetz, das Gewaltschutzgesetz,
das wir in Wien haben, mit zum Beispiel auch den Wegweisungen, das sozusagen in
erster Linie auf Erwachsene ausgerichtet ist, aber mittelbar natürlich auch
Kinder betrifft und auch Kinder schützt.
Es ist natürlich in diesem Bereich eine Gratwanderung.
Es ist eine Gratwanderung zu fragen: Wann darf der Staat wie in Familien
eingreifen? Wann ist es für ein Kind besser, aus der Familie herausgenommen zu
werden, von Vater und Mutter getrennt zu werden? Wann ist es sinnvoller, das
Kind in der Familie zu lassen, zu versuchen, mit der Familie zu arbeiten und
sie von außen zu betreuen? Das Wiener Jugendwohlfahrtsgesetz versucht, darauf
Antworten zu geben. Es sagt, dass immer das gelindeste Mittel anzuwenden ist.
Das heißt, zuerst soll die Familie unterstützt werden. Das Kind herauszunehmen,
ist das letzte Mittel. Dieses letzte Mittel, nämlich das Kind zu trennen, von
Vater und Mutter fremd unterzubringen, ist dann anzuwenden, wenn das Wohl des
Kindes durch körperliche oder seelische Gewalt gefährdet ist. Das klingt
ziemlich klar, ist es aber natürlich nicht, weil es nicht die Standardfamilie
gibt, weil es nicht die Standardsituation gibt, weil die Menschen
unterschiedlich reagieren, weil die Umstände von Fall zu Fall unterschiedlich
sind und oft auch nicht vorhersehbar ist, wie Menschen reagieren.
In dem Anlassfall, den Sie als Grund für Ihre
Dringliche Anfrage angegeben haben, ist das Mädchen vorher noch nie misshandelt
worden. Das ist jetzt auch schon mehrmals klargestellt worden. Zumindest ist es
weder den BetreuerInnen im Jugendamt noch der Schule noch anderen Personen im
Umfeld aufgefallen. Die Mutter war kooperativ. Das Mädchen ist in die Schule
gegangen. Es ist sozusagen gepflegt gewesen, war offensichtlich gut versorgt.
Es gab bis zu diesem Tag, bis zu diesem Bekanntwerden der Misshandlung daher
keinen Grund, das Mädchen aus der Familie herauszunehmen, dieses letzte Mittel
anzuwenden. Als das Mädchen dann geflüchtet ist, als diese Misshandlung
passiert ist, die Polizei gerufen wurde und so weiter, die Sozialarbeiter
entschieden haben, das möchte ich jetzt noch einmal betonen, dass das Mädchen
nicht mehr zur Mutter darf, sondern ins Krisenzentrum beziehungsweise in Folge
dann zu dem Bekannten, zu dem Onkel, gekommen ist, war es letztlich zu spät. Da
ist sozusagen die Frage: Wo liegt dann der Fehler? Bei wem liegt die Schuld,
dass das trotzdem passieren konnte? Und hat, abgesehen von der Mutter, am
Schluss überhaupt jemand Schuld?
Sie sagen, es liegt am System der Jugendwohlfahrt und
führen verschiedene Gründe an: zu wenig Personal, zu wenig Geld. Teilweise wird
da auch mit falschen Zahlen operiert.
Das Budget der MA 11 ist nicht gekürzt worden.
Es beträgt auch nicht, das war wahrscheinlich ein Schreibfehler,
6,5 Millionen EUR, wie in der Presseaussendung der ÖVP angegeben,
sondern es ist erhöht worden. Es ist von 155 Millionen EUR 2006 auf
über 168 Millionen EUR im Jahr 2008 erhöht worden.
Es gibt rund 1 500 MitarbeiterInnen. Heuer
sind zehn Posten dazugekommen. Nächstes Jahr werden es wieder zusätzliche fünf
sein, die im Bereich Sozialarbeit und Prävention dazugekommen sind. Also
Personal ist nicht gekürzt worden, sondern es wurde und wird mehr.
Wie die Frau Vizebürgermeisterin heute in der
Fragestunde schon gesagt hat, ist das Personal allein nicht die Antwort, es
haben sich auch die Aufgaben verändert. Es gibt zum Beispiel die
Eltern-Kind-Zentren, die in den letzten Jahren massiv ausgebaut worden sind. Es
sind andere Aufgaben weggefallen, wie zum Beispiel die Kindergartenanmeldungen
oder auch die Rechtsfürsorge, die nicht mehr von den Sozialarbeitern
durchgeführt werden.
Es sind um die 2 500 Kinder in Wien fremd
untergebracht, das heißt, in der Obsorge des Jugendamts, und das relativ
konstant, muss man sagen, über einen langen Zeitraum, über die Jahre
eigentlich, wenn man sich das anschaut. Das heißt, 2 500 Kinder, da
wird vom Wiener Jugendamt nicht weggeschaut. Es gibt ein dichtes Netz an
Kriseneltern, an Krisenzentren, an Wohngemeinschaften und auch an Pflegeeltern.
Wir alle hätten gerne, dass es mehr Pflegeeltern in Wien gibt. Auch aus diesem
Grund gibt es die Pflegeelternkampagnen, die dazu beitragen sollen, dass sich
mehrere Eltern oder mehr Menschen dazu bereit erklären.
Die Meldungen auf Verdacht des Kindesmissbrauchs und
damit die Abklärungsverfahren sind in den letzten Jahren massiv gestiegen. Das
ist auch gut so. Das heißt ja, dass die Bevölkerung sensibilisiert worden ist.
Das heißt auch, dass die Kampagnen, die die MA 11 zur Aufklärung und zum
Kinderschutz macht und die wir alle kennen, mit Ostbahn-Kurti, auch greifen,
das sozusagen auch in der Bevölkerung greift.
Weil die Frau GRin Matiasek gesagt hat, besser einmal
zu viel nachgeschaut als sozusagen einmal zu wenig: Von diesen über
11 000 Abklärungsverfahren, wo nachgeschaut wird, was denn da dran
ist, sind 25 bis 30 Prozent, wo dann wirklich Maßnahmen gesetzt werden.
Das ist jetzt mehr als einmal zu viel sozusagen nachgeschaut. Das ist gut so.
Es wird hier auch sehr viel getan.
Natürlich, das glaube ich auch,
gibt es Veränderungsbedarf. Den gibt es laufend. Die Arbeit der
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